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# taz.de -- Verhandlung zum Tod von Tugce A.: „Es tut mir sehr leid“
> Zu Beginn des Prozesses um den Tod der Studentin Tugce A. entschuldigt
> sich der Täter bei ihrer Familie. Er gesteht und wirkt unsicher.
Bild: Der Prozessauftakt im Landgericht Darmstadt.
DARMSTADT taz | Es sind verwischte Flecke, sich verdichtende und
auseinander strebende Punkte, die auf den Überwachungsvideos von der Nacht
auf den 15. November 2014 zu sehen sind. Es sind Bilder jener Nacht, in der
Tugce A. erst auf den Kopf geschlagen wurde und dann ins Koma fiel, weil
ihr der Angeklagte Sanel M. einen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht
gegeben haben soll. Wenige Tage später, an ihrem 23. Geburtstag, starb
Tugce A. an ihren Verletzungen.
In der Jugendkammer des Landgerichts Darmstadt fand am Freitag der erste
Verhandlungstag statt. Der Fall hatte Ende 2014 bundesweit Aufsehen erregt,
weil Tugce A. Zivilcourage gezeigt hatte. Vor dem Streit auf dem Parkplatz
eines Schnellrestaurants soll sie auf der Damentoilette in eine
Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe um Sanel M. und zwei Mädchen
eingeschritten sein. Sie soll die jungen Männer aufgefordert haben, die
Toilette zu verlassen. Kurz darauf gerieten Sanel M. und Tugce A. auf dem
Parkplatz erneut aneinander.
Die Staatsanwaltschaft soll herausfinden, ob Sanel M. so auf Tugce A.
eingeschlagen hat, dass ihm die möglicherweise tödlichen Konsequenzen
hätten bewusst sein müssen. Die Anklage lautet Körperverletzung mit
Todesfolge. Dem 18-Jährigen drohen, wird er als reif genug befunden und
nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt, bis zu 15 Jahre Haft. Wird er nach
Jugendstrafrecht schuldig gesprochen, kann er sechs Monate bis zehn Jahre
bekommen.
Sanel M. sah zu Prozessauftakt anders aus, als ihn bisherige Zeitungsbilder
zeigen: Sein Oberkörper wirkte nicht mehr so breit, er wirkte jünger als
18. Auch sein Lächeln ist verschwunden, stattdessen erscheint der
Angeklagte blass und unsicher.
Er gesteht, gleich zu Beginn. Seine Stimme ist brüchig, der Rücken rund:
„Ich habe Tugce in der Tatnacht eine Ohrfeige gegeben. Dann ist sie
umgefallen. Es tut mir unendlich leid“, sagt er. Er entschuldigte sich bei
der Familie: Er habe niemals mit dem Tod der Studentin gerechnet. Der
leitende Oberstaatsanwalt, der Sanel M. gegenübersaß, berichtete
anschließend, er habe den Angeklagten weinen sehen.
## Der Werdegang des Angeklagten
Die Schuld an der Eskalation Tugce A. zuzuschieben, wird wohl die Strategie
der Verteidigung sein. Doch an diesem Tag geht es hauptsächlich um den
Angeklagten und seinen Werdegang. Und um die Frage nach Alkohol und
Aggressivität. „Gelegentlich, so einmal im Monat“, trinke er Alkohol, gibt
M. an. „Aber nur antrinken“, betont er. Was das für ihn heißt? Drei bis
fünf 0,2- bis 0,25-Gläser Whiskey mit Cola oder einem Energydrink im
Verhältnis 1:3. Die Zahlen weiß er ganz genau. Und ja, es sei ihm bewusst,
dass er leichter reizbar ist, wenn er angetrunken sei.
Nicht nur die verschwommenen Bilder der Überwachungskamera, die der Richter
zeigt, wirken abstrakt. Auch der Prozess hat etwas Surreales. Auch weil von
Anfang an die Rollen in der öffentlichen Wahrnehmung klar verteilt
scheinen: die Heldin und der Schuft. Einige Menschen, die ihre Solidarität
mit Tugce A. zeigen wollen, sind zum Gericht gekommen. Sie tragen T-Shirts
mit dem Bildnis einer hübschen jungen Frau auf weißem Grund. Ein Name steht
nicht darauf, aber jeder weiß, wer sie ist.
An den kommenden neun Prozesstagen muss der Richter Spuren der Tat
zusammentragen und schließlich ein Urteil fällen.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit fand am Freitagnachmittag die
Vernehmung der beiden zum Tatzeitpunkt unter 14-jährigen Mädchen statt,
denen die Verstorbene auf der Toilette des Schnellrestaurants zur Seite
gesprungen war.
In den nächsten Wochen soll es weitere, insgesamt bis zu sechzig
Zeugenvernehmungen geben.
24 Apr 2015
## AUTOREN
Alina Leimbach
## TAGS
Sexismus
Zivilcourage
Tugce Albayrak
Tugce-Prozess
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Körperverletzung
Offenbach
Tugce
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