# taz.de -- Robert Habeck über Tschernobyl: Der Sommernachts-Alptraum | |
> Schleswig-Holsteins Energieminister Robert Habeck (Grüne) spricht über | |
> die Erinnerungen eines 16-Jährigen, den Abriss von AKW, die Suche nach | |
> einem Endlager und das Fliegen ohne Landebahn. | |
Bild: Will Atomausstieg unumkehrbar machen: Robert Habeck. | |
taz: Herr Habeck, als Tschernobyl explodierte, waren Sie 16. Haben Sie | |
Erinnerungen daran? | |
Robert Habeck: Wir haben damals in der Schule Shakespeares | |
"Sommernachtstraum" aufgeführt. Nach der Vorstellung tröpfelte es ein | |
bisschen, und alle Leute hatten Angst und schützen sich mit allem, was sie | |
hatten, Jacken und Plastiktüten, um nichts vom radioaktiven Regen | |
abzubekommen. Ich war damals unendlich verliebt, aber in dem Moment war ich | |
sicher, dass ich niemals glücklich mit jemandem leben und niemals Vater | |
werden würde, weil wir jetzt alle sterben müssten. Es war echt ein | |
gespenstischer Abend. | |
Es folgte ein Sommer, in dem kaum jemand ungeschützt ins Freie ging oder an | |
den Strand, und das hier an der Ostsee. | |
Die Spielplätze waren verwaist, Kinder durften nicht am Strand spielen. An | |
leere Gemüseregale im Supermarkt kann ich mich auch erinnern. Es waren | |
Wochen, die mich politisch stark geprägt haben, natürlich vor allem in | |
meiner Ablehnung der Atomenergie. Seitdem denke ich, dass nicht alles, was | |
technisch machbar ist, auch beherrschbar ist. Moderne Gesellschaften | |
brauchen solch eine Grundskepsis. | |
Noch heute sind in Süd- und Ostdeutschland Pilze, Beeren und viele | |
Wildtiere hoch belastet. In Sachsen wurden 2013 fast die Hälfte der | |
erlegten Wildschweine - 297 von 752 Tieren - in Sondermüllanlagen | |
verbrannt, weil das Fleisch kontaminiert war. | |
Das deutet an, in welchen Zeiträumen wir denken müssen. Tschernobyl ist | |
schon 29 Jahre her - oder besser: erst 29 Jahre? - und die Folgen sind noch | |
immer so akut, die Gefahren gegenwärtig. Und in der Endlagersuchkommission | |
suchen wir nach Wegen für eine sichere Lagerung für eine Million Jahre. | |
Die Konsequenzen wurden aber nicht damals gezogen, sondern erst vor vier | |
Jahren nach Fukushima. Warum so spät? | |
Das würde ich so nicht stehen lassen. Wir hatten ja bereits im Jahr 2000 | |
unter der rot-grünen Bundesregierung den Atomausstieg beschlossen, das wird | |
gerne verdrängt. Nur für wenige Monate hatte Frau Merkel ihn ausgesetzt, um | |
dann nach Fukushima plötzlich die Energiewende auszurufen. Aber es gab | |
schon vorher eine politische Mehrheit für den Atomausstieg. Nur an der | |
Umsetzung haperte es lange gewaltig. | |
Aber Fukushima bewies, dass auch in vermeintlich sicheren Atommeilern ein | |
GAU - der größte anzunehmende Unfall - passieren kann, nicht nur in den | |
angeblichen Schrottreaktoren in Osteuropa. | |
Alles, was Menschen bauen, kann kaputt gehen oder zerstört werden. | |
Schneller und krasser ist selten ein politischer Irrtum korrigiert worden. | |
Ich glaube allerdings, das ist weniger einer neuen Einsicht von Frau | |
Merkel, als vielmehr ihrem Gespür für drohende politische Niederlagen | |
geschuldet. Frau Merkel wäre heute nicht mehr im Amt, wenn sie nach | |
Fukushima nicht eingelenkt hätte. | |
Sie haben die Atomaufsicht über das AKW Brokdorf, das noch bis Ende 2021 in | |
Betrieb sein soll. Ist es möglich, das früher abzuschalten? | |
Hoffnung gibt es. Die Energiewende macht Atomkraft zu einer immer teureren | |
Art der Stromgewinnung. Möglicherweise rechnet sich Brokdorf in absehbarer | |
Zeit für den Betreiber nicht mehr. Zweitens sind meiner Meinung nach die | |
Sicherheitsanforderungen, die das Oberverwaltungsgericht Schleswig für das | |
Zwischenlager Brunsbüttel genannt hat, an alle Zwischenlager und AKW | |
anzulegen. Auch an Brokdorf. | |
Das entspricht der Forderung von Greenpeace, dem AKW Brokdorf die | |
Betriebsgenehmigung zu entziehen, weil es vor terroristischen Angriffen | |
nicht sicher sei. Werden Sie das tun? | |
Wenn es so einfach wäre. Wir prüfen das intensiv, aber die rechtlichen | |
Hürden sind extrem hoch. Im Zweifel wäre der Betreiber dann berechtigt, | |
wegen Einnahmeausfalls vom Staat Schadensersatz zu verlangen. | |
Die Initiative Brokdorf-akut hat in dieser Woche eine Sammeleinwendung von | |
840 BürgerInnen gegen den geplanten Abriss des Atommeilers Brunsbüttel | |
vorgelegt. Wie gehen Sie damit um? | |
Die Einwendungen richten sich nicht gegen den Abriss, sondern plädieren für | |
höhere Sicherheiten beim Abriss. Mein politischer Wille ist, das Kapitel | |
Atomkraft bei uns zu beenden. Und dazu gehört, den Meiler Brunsbüttel | |
abzureißen - und Krümmel und Brokdorf ebenfalls möglichst rasch. Aber | |
genauso klar ist, dass man den Rückbau so sorgfältig und gut wie möglich | |
planen und durchführen muss. Dafür werden wir alle Einwendungen intensiv | |
prüfen. | |
Die Einwender argumentieren, die vom Betreiber Vattenfall vorgelegte | |
Planung für den Rückbau sei "voller unnötiger Belastungen für Mitarbeiter, | |
Anwohner und Umwelt". Der Konzern wolle "möglichst viel Deponieraum zu | |
sparen und dafür Menschen und Natur als Billigdeponie zu missbrauchen". | |
Finden Sie das nachvollziehbar? | |
Der Rückbau ist ein Riesenprojekt und löst natürlich Sorgen aus. Wir und | |
auch Sachverständige schauen uns die inhaltlichen Punkte der Einwendungen | |
genau an und beziehen sie in unsere Bewertung ein. Es gibt keinen | |
Automatismus, dass genau das genehmigt wird, was beantragt ist. Das sind | |
zwei paar Schuhe. Aber dass der Meiler weg muss, steht für mich außer | |
Frage. | |
Und wohin mit den Brennstäben aus den Reaktoren? Das | |
Bundesverwaltungsgericht hat das Zwischenlager am AKW Brunsbüttel für | |
rechtswidrig erklärt. Da dürfen Sie nichts mehr unterbringen. | |
Die Brennstäbe müssen für den Rückbau raus aus dem Reaktordruckbehälter in | |
Brunsbüttel, das hat für mich hohe Priorität. Als relativ sicherster | |
Lagerort kommt das Zwischenlager Brokdorf in Frage. Wenn wir einen zügigen | |
Rückbau wollen, dürfte das der schnellste Weg sein, aber die Entscheidung | |
fällen letztlich die Betreiber der beiden Standorte. Wenn diese Lösung | |
nicht gewollt ist von Brokdorf-akut, dann soll die Initiative gern eine | |
andere vorschlagen. Ich nehme alle Bedenken und Argumente ernst. Was ich | |
aber nicht akzeptiere: wenn man nicht sagt, wie es stattdessen gehen soll. | |
Dann verliert man mich als Partner. | |
Wann wird es in Deutschland ein sicheres Endlager geben? | |
Ich halte es für nicht unmöglich, dass es 2050 ein Endlager geben wird. Wie | |
sicher das Endlager tatsächlich sein mag, kann nur auf dem dann aktuellen | |
Stand von Wissenschaft und Technik beantwortet werden. Deshalb müssen wir | |
die Möglichkeit der Fehlerkorrektur und der Rückholbarkeit zwingend mit | |
einplanen. | |
Sie sind Doktor der Philosophie. Können Sie erklären, warum Menschen mit | |
diesem atomaren Feuer spielen, ohne zu wissen, wie die Entsorgung aussieht? | |
Die Grundspannung ist die gleiche wie beim Fracking oder bei | |
genmanipulierter Nahrung. Gesellschaften begrüßen im Grundsatz den | |
Fortschritt, denn er verheißt Wohlstand. Aber wenn daraus ein blinder | |
Fortschrittsglaube erwächst, der die Dinge nicht zu Ende denkt, der sich | |
aber für alternativlos erklärt, führt das in eine Sackgasse. Das Innehalten | |
und die Überprüfung all dessen, was wir tun, darauf, ob es auch getan | |
werden darf und sollte, passiert viel zu selten. Da fehlt die Orientierung, | |
die Wertediskussion. | |
Es gibt den Vergleich der Atomkraft mit dem Fliegen ohne Landebahn. | |
Genau dieses Bild zeigt den Irrsinn. Kein Flugzeug würde unter solchen | |
Bedingungen starten. Die Atommeiler in Betrieb zu nehmen ist eine sehr | |
spezielle Form von blindem Vertrauen gewesen. | |
Was tun Sie am am Tschernobyl-Gedenktag, dem 26. April 2015? | |
Ich werde dieses Mal leider nicht bei der Demo in Brokdorf sein. Aber ich | |
werde mich mit Sicherheit daran erinnern, wie gespenstisch das damals war. | |
Deshalb müssen wir den Atomausstieg unumkehrbar machen. | |
26 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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