# taz.de -- HSV: Beiersdorfer oder Abgrund | |
> Wieder steht der Hamburger Fußballverein vor dem Abstieg. Doch diesmal | |
> ist Dietmar Beiersdorfer Vereinsboss und Anker in der Not. | |
Bild: Wie sich Anhänglichkeit darstellt: Fantum, bekundet im Hamburger Stadtbi… | |
HAMBURG taz | Wer in diesen Tagen als Zeitungsredakteur einen Text über den | |
HSV freigeben muss, steht vor einem ähnlichen Problem wie der Sendeleiter | |
der ARD bei der Abnahme der Neujahrsansprache des Bundeskanzlers: Er muss | |
höllisch aufpassen, keine Worte aus dem Vorjahr in die Welt zu schicken. | |
Etwa diese: „Sollte es am Ende wirklich mit dem Klassenerhalt klappen, | |
werden sie sich alle an diesen Abend erinnern. Was für ein Kampf, was für | |
ein Sieg. Und 90 Minuten, die jeden der 49.575 Fans im Volkspark von den | |
Sitzen riss.“ Die stammen nämlich nicht aus einer Nachbetrachtung des | |
3:2-Sieges gegen den FC Augsburg am letzten Samstag, sondern beschreiben | |
den 2:1-Sieg gegen Bayer Leverkusen am 29. Spieltag der Vorsaison, der | |
ebenfalls als „Brustlöser“ empfunden wurde. Wieder steht der HSV wenige | |
Spieltage vor Saisonende auf dem Relegationsplatz der Bundesliga-Tabelle | |
und ist in großer Gefahr, erstmals in seiner Geschichte abzusteigen. | |
Und doch gibt es feine Unterschiede, die sich auf das Endergebnis auswirken | |
könnten – in beide Richtungen allerdings: in die des direkten | |
Klassenerhalts, aber auch in die des Abstiegs. Bedrohlich ist vor allem die | |
Tatsache, dass es diesmal kein Schneckenrennen um den Klassenerhalt geben | |
wird, in dem die Gegner genauso wenig punkten wie der HSV, der im letzten | |
Jahr die letzten fünf Spiele verlor. Hoffnung kann den HSV-Fans dagegen | |
machen, dass es diesmal keinen Zweifrontenkampf gibt wie im letzten | |
Frühjahr, als intern um die Ausgliederung der Profiabteilung gerungen wurde | |
und die Teile der aktiven Fanszene vor dem Rückzug standen. Zumindest auf | |
diesem Kampfplatz sind die Fronten geklärt: Der HSV-Anhang hatte eine | |
knappe Saison lang Zeit, sich auf das Fehlen der Fangruppe der Ultras | |
einzustellen. Mittlerweile kriegen die verbliebenen Fangruppen wieder einen | |
Support hin, der die Spieler auch erreicht. | |
Vor dem Sieg gegen Augsburg hatte sich allerdings eine Untergangsstimmung | |
breit gemacht, die es in Ansätzen zwar auch schon im letzten Jahr gab, die | |
sich diesmal aber zum Fatalismus steigerte. Manch einer schien zumindest | |
klammheimlich zu denken: „Dann steigt doch endlich ab und nervt uns nicht | |
jedes Jahr mit dem gleichen ’Der Dino darf nicht sterben‘-Kitsch.“ In | |
wohlgesetzten Worten klang das dann so wie beim HSV-Mäzen Alexander Otto. | |
„Aber wenn man wie zuletzt chronisch mit dem Rücken zur Wand steht im | |
Abstiegskampf, werden häufig kurzfristige Entscheidungen getroffen“, sagte | |
der Unternehmer dem Handelsblatt. „Ein Abstieg würde zumindest die Chance | |
eröffnen, wirklich nochmal neu und ohne Druck Aufbauarbeit zu leisten.“ | |
Das war allerdings vor dem vergangenen Wochenende. Inzwischen hat Otto via | |
HSV-Pressestelle mitgeteilt, dass er sich wünsche, „dass der HSV als | |
letztes verbliebenes Gründungsmitglied in der Bundesliga bleibt“ und dass | |
er „nach dem kämpferischen Augsburg-Spiel und der grandiosen Stimmung im | |
Stadion“ auch fest daran glaube. | |
Unabhängig davon, wohin die bipolare Stimmungslage beim HSV nach dem Spiel | |
bei Mainz 05 diesen Samstag ausschlägt – der Wunsch eines wirklichen | |
Neubeginns ist in den Köpfen. Mancher muss an den Machtverlust der | |
Hamburger SPD denken, aus dem die Partei gestärkt hervorging. Dass die | |
Vorstellung, auch beim HSV führe der Weg zum Neubeginn nur über die Zweite | |
Liga, keine Panik mehr auslöst, hat vor allem mit Dietmar Beiersdorfer zu | |
tun. Seit der Ex-Spieler und Ex-Sportchef auf dem Chefsessel sitzt, gibt es | |
eine Art Grundvertrauen, dass der Abstieg keinen Absturz bedeuten muss. | |
Beiersdorfer symbolisiert beide Pole, zwischen denen sich der Klub so | |
schwer entscheiden kann, das Bodenständige des ehemaligen Kiez-Bewohners | |
und das Weltmännische des ehemaligen St.-Petersburg-Managers. Und er | |
vermittelt das Bild von jemandem, der endlich angekommen ist und nicht | |
gewillt scheint, sich von der ersten Krise davonpusten zu lassen. | |
Dabei hat die erneut prekäre Lage viel mit seinen Entscheidungen in den | |
letzten acht Monaten zu tun. Als wolle er möglichst schnell seinen Ruf des | |
Zauderers loswerden, baute Beiersdorfer in hohem Tempo die sportliche | |
Führung um und ging mit den Millionen des HSV-Sponsors Kühne auf | |
Shopping-Tour wie einst in St. Petersburg mit der Gazprom-Kohle. Überzeugt | |
hat bislang keine der Neuverpflichtungen, der Kader ist mit 52 Millionen | |
Euro wesentlich teurer als geplant. | |
Vor allem versäumte es Beiersdorfer, eine Trainerpersönlichkeit zu | |
installieren, die aus diesem zusammengestückelten Ensemble von Altstars, | |
Aussortierten und Hoffnungsträgern eine Einheit formen konnte. Für die | |
Königsposition hatte er schon früh Thomas Tuchel im Visier, der erst ab der | |
kommenden Saison wieder arbeiten will. Die Wartezeit wollte er | |
offensichtlich mit Bordmitteln überbrücken. Erst als dieses Experiment zur | |
Lachnummer wurde, zog er die Reißleine und verpflichtete mit Bruno Labbadia | |
einen erfahrenen Trainer. | |
Jeder andere Vereinsboss wäre für diesen Schlingerkurs abgestraft worden. | |
Beiersdorfer kriegt jetzt zwar von der Presse sein altes Zauderer-Image | |
angepappt und muss mit dem Gerücht leben, Aufsichtsratschef und | |
Kühne-Adlatus Karl Gernandt habe ihn unter Druck gesetzt, Labbadia zu | |
holen, der Ton bleibt aber gemäßigt, ernsthaft infrage gestellt wird | |
Beiersdorfer nicht. Jeder weiß: Einen Abstieg kann der HSV überstehen. Aber | |
ohne Beiersdorfer droht der Abgrund. | |
3 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Ralf Lorenzen | |
## TAGS | |
Fußball-Bundesliga | |
HSV | |
Abstiegsangst | |
Fußball | |
Fußball | |
Real Madrid | |
Fußball | |
St. Pauli | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Abstiegskampf Fußball-Bundesliga: Der HSV – in Angst erstarrt | |
Gegen den SC Freiburg holen mutlose Hamburger einen Punkt. Torwart Adler | |
spricht von Spaß im Abstiegskampf. Das sieht Trainer Labbadia anders. | |
St. Pauli: Pfeifen am Millerntor | |
Ein neuer Präsident, ein neuer Sportchef und ein neuer Trainer – sie alle | |
konnten nicht verhindern, dass dem Zweitligisten die Drittklassigkeit | |
droht. | |
Kolumne Press-Schlag: Sepp grätscht dazwischen | |
Regeln gelten auch für Barça, Atlético und Real. Von der Transfersperre bis | |
zum Verbot des „Third-Party-Ownership“ – auf die spanischen Klubs kommt | |
einiges zu. | |
VfL Wolfsburg – Hannover 96: Müde Wölfe verspielen 2:0-Führung | |
Nach einem 2:2 im Niedersachsen-Clasico hofft Hannover 96 auf den | |
Klassenerhalt. Der VfL Wolfsburg bangt um die direkte | |
Champions-League-Qualifkation. | |
Schwerpunkt: Bundesliga-Abstiegsangst: Zwischen Bangen und Hoffen | |
Der Hamburger Fußball droht in nächsten Saison nur noch zweit- und | |
drittklassig zu sein. Aufregen tut sich niemand mehr – das Maß des Leidens | |
ist voll. |