# taz.de -- Daniel Görs über Datenlöschung im Netz: „Es werden Maulkörbe … | |
> Wer Peinliches aus dem Netz verschwinden lassen will, kann Webmaster | |
> kontaktieren, Suchmaschinen optimieren und Links bei Google löschen | |
> lassen, sagt PR-Berater Görs. | |
Bild: Es gibt Auftritte, die mancher gerne vergessen würde: Heide Simonis, die… | |
taz: Herr Görs, wie viele Löschaufträge bekommen Sie, seit der Europäische | |
Gerichtshof (EuGH) entschied, dass Internet-Nutzer bei der Suchmaschine | |
Google die Löschung von Links beantragen können? | |
Daniel Görs: Direkt nach dem Urteil im Mai/Juni vorigen Jahres war es | |
extrem. Da haben wir täglich Anfragen bekommen – rund 20 pro Woche. Das | |
waren Menschen, die sehr dringend Dinge gelöscht haben wollten. Auch Google | |
bekam binnen des ersten Monats 40.000 Lösch-Anträge, es sollen 20 Stück pro | |
Minute gewesen sein. Da hatten auch wir unseren ersten Peak. Inzwischen hat | |
sich das eingependelt, und derzeit bekommen wir rund drei Aufträge pro | |
Monat. | |
Welche Rolle spielen Agenturen wie Ihre bei dem Löschvorgang? | |
Wenn jemand zu uns kommt und einen Eintrag aus dem Internet löschen lassen | |
möchte, schlagen wir folgende Maßnahmen vor: Einmal, dass man sich selbst | |
um seine Online-Reputation kümmert und stetig kontrolliert, wo es negative | |
Inhalte, Verlinkungen, Fotos, Videos über einen gibt. Da empfehlen wir, | |
dass man gegebenenfalls mit dem Webmaster, also demjenigen, der im | |
Impressum als Webseiten-Betreiber genannt wird, Kontakt aufnimmt und ihn | |
bittet, Dinge, die nicht stimmen, zu löschen. Oft lassen diese Webmaster | |
mit sich reden, besonders bei älteren Informationen. Der zweite Schritt | |
wäre die Suchmaschinen-Optimierung. Das heißt, man sorgt dafür, dass | |
problematische Links in der Trefferliste der Suchmaschine möglichst auf | |
einer der hinteren Seiten erscheinen, die die meisten gar nicht ansehen. | |
Wie schafft man das? | |
Indem man zum Beispiel eine eigene Website mit möglichst vielen „trusted | |
links“, also zum Beispiel Links von Universitäten, Instituten, Medien | |
anlegt und sie oft aktualisiert. Das führt dazu, dass Google sie für | |
relevant hält und diese positiven Links nach oben stellt, sodass die | |
problematischen Links nach hinten rutschen. Wichtig ist auch, dass man bei | |
den Social Media Networks wie Xing und Linkedin einen guten Lebenslauf | |
hinterlegt, mit vielen positiven Links. Auch das bewirkt, dass der | |
Google-Algorithmus - das sind die 212 Kriterien, anhand derer Google die | |
Reihenfolge der angezeigten Treffer festlegt - sie nach vorn zieht. | |
Und wie funktioniert die direkte Lösch-Anfrage bei Google? | |
Mit Hilfe des von Google im Internet bereitgestellten Formulars. Dort muss | |
man exakt jede einzelne URL-Adresse nennen, zu der der Link gelöscht werden | |
soll. Und man muss eine stichhaltige Begründung liefern. Es kann sein, das | |
Google dann tatsächlich schnell löscht. Vielleicht sagen die aber auch: Das | |
ist nicht eindeutig. Dann bleibt dem Betreffenden nur der Weg zum | |
Rechtsanwalt. | |
Anhand welcher Kriterien entscheidet Google? | |
Das sagen sie nicht. Sie halten sich an das EuGH-Urteil, demzufolge ein | |
Recht auf Löschung besteht, wenn die Persönlichkeitsrechte des | |
Antragstellers verletzt werden und/oder die Informationen älter als zwei | |
Jahre sind und/oder nicht mehr ihrem ursprünglichen Zweck entsprechen. | |
Das gilt für alle gleichermaßen? | |
Im Prinzip ja, im Detail gibt es schon Unterschiede. Bei Otto | |
Normalverbraucher hat Google kaum Interesse daran, einen Suchtreffer mit | |
einem veralteten Blog-Beitrag aufrecht zu erhalten. Bei Personen des | |
öffentlichen Lebens sieht das schon anders aus. Google möchte ja ein hohes | |
Suchvolumen, will die beste Suchmaschine der Welt sein – also alle | |
relevanten Ergebnisse zeigen. Deshalb prüfen sie bei Personen des | |
öffentlichen Lebens wie Politikern oder Sportlern schon intensiver, ob sie | |
löschen oder nicht. | |
Und wo verläuft die Grenze zwischen Persönlichkeitsrechten und | |
Befindlichkeit? | |
Die ist juristisch schwer zu ziehen, und deshalb gibt es nur | |
Einzelfallentscheidungen. Überhaupt ist es immer schwierig, wenn Juristen | |
aufs Internet treffen. Ich kenne nicht eine einzige | |
Internet-Rechtssprechung der letzten fünf Jahre, die nicht ausgehebelt | |
werden könnte, am Ziel vorbeischösse oder kontraproduktiv wäre. Da sollen | |
zum Beispiel Persönlichkeitsrechte geschützt werden, aber stattdessen | |
werden Maulkörbe verteilt. | |
Abgesehen davon bezieht sich das EuGH-Urteil nur auf Google in Europa. | |
Ja. Allerdings ist Google nicht nur weltweit Marktführer, sondern hat etwa | |
in Deutschland Nutzerzahlen von 90 Prozent, sodass da schon ein großer | |
Bereich abgedeckt wird. Aber es gibt natürlich noch andere Suchmaschinen | |
wie Bing oder Yahoo sowie Meta-Suchmaschinen. Für sie gilt das Urteil des | |
EuGH nicht, das durch die Klage eines Einzelnen zustande kam und durch die | |
Causa Bettina Wulf noch mal gepusht wurde. Das Urteil ist ja keine | |
Sippenhaft gegen Suchmaschinenbetreiber. Außerdem erfasst der | |
EuGH-Richterspruch nur 28 EU-Länder sowie Irland, Norwegen, Liechtenstein | |
und die Schweiz. Er gilt nicht für [1][google.com], das weiterhin weltweit | |
Zugriffsmöglichkeit bietet. Denn die Google-Zentrale sitzt in den USA und | |
fühlt sich aufgrund des EU-Urteils nicht verpflichtet, Dinge zu sperren | |
oder zu löschen. | |
Dann ist es ja sinnlos, Dinge bei Google für Europa löschen zu lassen. | |
Es ist schon sinnvoll. Denn Google führt Sie auf die Suchmaschine, die der | |
IP-Adresse ihres Landes entspricht. Wenn ich also in Hamburg | |
[2][google.com] eingebe, werde ich auf [3][google.de] geleitet. Aber wenn | |
man sich im Internet auskennt, kann man falsche IP-Adressen eingeben, um | |
trotzdem auf [4][google.com] zu gelangen. Dafür gibt es Programme. Aber das | |
machen nur wenige. | |
Dann gibt es noch Social Media. | |
Ja, und deren Bedeutung wächst ständig. Mehr als jeder zweite Deutsche ist | |
inzwischen bei Facebook. Dass dort Inhalte, Verlinkungen, Fotos, Videos | |
verbreitet werden, verhindert das EuGH-Urteil gegen Google nicht. Denn | |
Facebook ist ein geschlossenes System, und dort gelten die internen | |
Nutzungsrichtlinien. Da sieht man: Ein Gigant wurde in die Schranken | |
gewiesen. Aber ein weiterer Gigant – Facebook – ist in dieser Hinsicht noch | |
relativ frei. Auch wenn auf Twitter Links oder Inhalte über mich | |
weiterempfohlen werden, hat das eine große Reichweite. Deshalb muss ich | |
darauf achten, dass ich immer mal ein sogenanntes „Vanity-Googeln“ mache, | |
also öfter meinen Namen oder den meiner Firma google, um zu wissen, was im | |
Netz, auch im Social Web, über mich steht. | |
Und was für Menschen kommen mit Lösch-Anträgen in Ihre Agentur? | |
Unser Kundenkreis besteht zum Großteil aus Unternehmen der Immobilien- und | |
Finanzbranche. Bei Lösch-Anfragen geht es zum Beispiel mal um einen | |
Bauträger, der vor zehn Jahren mit einem anderen Partner insolvent gegangen | |
ist, dann aber weitergemacht hat. Trotzdem haftet ihm diese Insolvenz noch | |
an, und das möchte er nicht mehr verlinkt haben. | |
Kommen auch Einzelpersonen? | |
Ja. Regionalpolitiker zum Beispiel – oder einstige Ehepartner, die einen | |
Rosenkrieg führen. Manchmal kommen auch besorgte Eltern, deren Kinder | |
Abitur gemacht haben und die sich jetzt bewerben wollen. Im Internet haben | |
sie aber im Lauf der Jahre allerlei Party-Fotos, Late-Night-Tweets und | |
andere Jugendsünden verbreitet. Das soll ein künftiger Personalchef | |
natürlich nicht sehen. | |
Aber letzte Sicherheit gibt es nicht. | |
Nein. Wenn ein Unternehmen zum Beispiel mal verdächtigt wurde, die Trave | |
verschmutzt zu haben und diesen Link löschen lässt: Dann existiert ja immer | |
noch die Berichterstattung drum herum: dass es mal den Vorwurf der | |
Verschmutzung gab. Oder denken Sie an Altkanzler Schröder, von dem man | |
nicht mehr behaupten darf, er färbe sich die Haare. Durch diese Klage wurde | |
das Thema erst publik. So etwas muss man gut abwägen, und das sagen wir den | |
Kunden auch. | |
Verweigern Sie auch Lösch-Aufträge? | |
Ja. Wenn es im Rosenkrieg erkennbar darum geht, den anderen schlecht zu | |
machen, lehnen wir ab. Ansonsten immer dann, wenn der Auftrag dem | |
Pressekodex und dem Kodex der Public-Relations-Gesellschaft widerspricht | |
oder gegen geltendes Recht verstößt. Wir lehnen auch ab, wenn der Antrag | |
unserer Ansicht nach chancenlos ist. | |
Direkt nach dem EuGH-Urteil waren die Lösch-Aufträge ein Riesengeschäft für | |
Agenturen. Gab es da auch Wildwuchs? | |
Dass es ein Riesengeschäft ist, bezweifle ich. Es ist ein Zusatzgeschäft, | |
aber es bringt die Branche nicht zum Explodieren. | |
Woran erkennt der Kunde, ob eine Agentur seriös ist? | |
Einerseits an den Referenzen auf der Website, andererseits an der | |
Erstberatung, die seriöse Agenturen stets kostenlos anbieten. Wenn eine | |
Agentur sagt, das alles sei kein Problem, man habe einen guten Draht zu | |
Google, sollte der Kunde hellhörig werden. Auch wenn es heißt: „Für 149 | |
Euro bieten wir das Komplett-Paket – alles wird gelöscht, und Sie sind in | |
zwei Wochen überall auf Platz eins in den Suchergebnislisten“, ist das | |
hochgradig unseriös. Unser Stundensatz beginnt zum Beispiel bei 125 Euro. | |
Außerdem dauert es sechs Monate, bis eine Suchmaschinen-Optimierung ihre | |
Wirkung entfaltet, und das muss man dem Kunden sagen. Es gibt allerdings | |
manipulative Methoden, durch die man in den Suchmaschinen kurzfristig nach | |
vorn rutscht. Google merkt das aber schnell, und dann fliegen Sie komplett | |
aus dem Index. | |
Und wie bewerten Sie persönlich das EuGH-Urteil? Öffnet es nicht der Zensur | |
Tor und Tür? | |
Wenn etwas nachweisbar falsch ist und zu Unrecht verbreitet wurde, finde | |
ich in Ordnung, dass es gelöscht wird. Es ist ja nicht komplett aus dem | |
Netz weg, denn das Internet vergisst nicht. Wenn man etwas sucht, mit mehr | |
oder weniger Aufwand, findet man es auch. Insofern ist es keine komplette | |
Zensur. | |
Freut Sie das? | |
Ich bilde mir meine Meinung gern selbst. Deshalb finde ich es gut, dass | |
ich, wenn ich die Mechanismen des Internets kenne, an die Informationen | |
herankommen kann. | |
16 May 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://google.com | |
[2] http://google.com | |
[3] http://google.de | |
[4] http://google.com | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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Internet | |
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