# taz.de -- Vietnamesen in Deutschland: Unauffällig an die Spitze | |
> Die öffentliche Diskussion über Integration wird bestimmt von Geschichten | |
> über gescheiterte Migranten. Vor allem bei den Vietnamesen gibt es | |
> auffällig viele Erfolgsbiografien. | |
Bild: Aufbruch von Hanoi: Junge verabschiedet Großmutter mit Deutschlandflagge. | |
Sein Kaffee duftet ein wenig nach Zimt. Hoang Quang lächelt und nimmt einen | |
großen Schluck aus einem weißen Plastikbecher, gefüllt mit vietnamesischem | |
Kaffee. Er sitzt in seinem Leipziger Textilgeschäft hinter einem kleinen | |
Tisch, auf dem eine alte Kasse steht, auf seinem Schoß liegt die Bild. Als | |
ein Kunde den Laden betritt, springt er auf: "Kann ich helfen?" | |
Hoang Quang, 57, ist einer von rund 85.000 Vietnamesen in Deutschland. | |
Durch Fleiß, Lerneifer und Hartnäckigkeit sind viele von ihnen inzwischen | |
in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen. Philipp Rösler, | |
Gesundheitsminister mit vietnamesischen Wurzeln, ist vielen ein Vorbild. | |
Allerdings gibt es innerhalb der vietnamesischen Gemeinde in Deutschland | |
große Unterschiede: Eine große Gruppe der Vietnamesen ist Ende der | |
Achtzigerjahre als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen, sie zählten damals | |
zur Elite ihres Landes und auch heute noch haben sie oft ungleich bessere | |
Voraussetzungen als vietnamesische Asylbewerber. | |
Auch Hoang Quang kam Ende der Achtzigerjahre als Vertragsarbeiter in die | |
DDR. Allein zwischen 1949 und 1961 haben 2,7 Millionen Menschen die DDR | |
verlassen. Menschen, die dem Land fehlten. Günstige Arbeiter aus | |
"sozialistischen Bruderländern" sollten die ostdeutsche Planwirtschaft | |
stützen. Rund zwei Drittel dieser Vertragsarbeiter waren Vietnamesen. Ihre | |
Hilfe wurde dringend gebraucht, dennoch unternahm man von offizieller Seite | |
nur sehr wenig, damit es den Vietnamesen in der neuen Heimat gut geht. | |
"Die Verträge der DDR-Gastarbeiter waren zum Teil menschenverachtend", sagt | |
die Integrationsbeauftragte Brandenburgs, Karin Weiss. "Kontakte zwischen | |
der ostdeutschen Bevölkerung und den Vietnamesen waren nicht erwünscht. | |
Wenn Vertragsarbeiterinnen schwanger wurden, konnten man ihnen kündigen." | |
Unter keinen Umständen sollten die Vertragsarbeiter ein unbegrenztes | |
Bleiberecht erhalten. So warteten auch Hoang Quang und seine Frau mit ihrem | |
Kinderwunsch bis nach der Wende. | |
Als die Mauer gefallen war, blieb zunächst unklar, ob die Vertragsarbeiter | |
aus der DDR überhaupt im wiedervereinigten Deutschland bleiben durften. Im | |
Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR war versäumt worden, ihren | |
Aufenthaltsstatus verbindlich zu regeln. | |
Gleichzeitig stieg nach der Wende die Arbeitslosigkeit in den ostdeutschen | |
Bundesländern rasant an. Mit einem Mal waren die 60.000 vietnamesischen | |
Vertragsarbeiter überflüssig. Die Regierung bot ihnen Rückflüge in ihre | |
Heimatländer an. Doch viele Vietnamesen entschieden sich, in Deutschland zu | |
bleiben, da sie hier für ihre Kinder bessere Chancen als in der alten | |
Heimat sahen. Jahrelang lebten sie so in einer rechtlichen Grauzone, ohne | |
sichere Aussichten auf ein Bleiberecht. Wegen der schwierigen Lage auf dem | |
Arbeitsmarkt und mangelnden Deutschkenntnissen blieb ihnen oft nichts | |
anderes übrig, als sich selbständig zu machen - meist mit einem | |
Straßenstand, da das Geld für eine Ladenmiete nicht reichte. | |
Auch Hoang Quang machte sich mit einem Straßenstrand selbständig. Anfang | |
der Neunzigerjahre verkaufte er Textilien auf dem Bayerischen Platz in | |
Leipzig. "Bei Kälte wie bei Regen", sagt er. Neben Indern, Pakistanern und | |
anderen Vietnamesen baute Hoang mit seiner Frau morgens seinen Stand auf - | |
und abends wieder ab. | |
Dann, zehn Jahre nach dem Fall der Mauer, bekamen die meisten Vietnamesen | |
eine Aufenthaltsbefugnis. Als Hoang Quang sein Dokument erhielt, gründete | |
er sein Textilgeschäft. | |
Wieder geht die Tür auf und Hoangs Sohn Viet betritt den Laden. Er trägt | |
eine Jogginghose und eine Lederjacke. In seinem linken Ohr blinkt ein | |
Ohrring. Seinen Vater überragt Viet um einen halben Kopf. Fünfmal die Woche | |
trainiert er für den Fußballverein RasenBallsport Leipzig. Seine | |
schulischen Leistungen leiden darunter nicht - er hat einen | |
Notendurchschnitt von 1,8. "Nach dem Abitur in zweieinhalb Jahren will ich | |
Informatik studieren", sagt Viet. Sein Vater lächelt. | |
Fast 60 Prozent der vietnamesischen Schüler besuchten 2008 ein Gymnasium. | |
Dagegen kommen alle in Deutschland lebenden Migranten nur auf knapp 20 | |
Prozent. "Bildung hat in der vietnamesischen Kultur einen extrem hohen | |
Stellenwert", sagt Integrationsbeauftragte Karin Weiss. "Fährt man durch | |
ein vietnamesischen Dorf, ist das schönste Gebäude die Schule." Dennoch ist | |
sie vorsichtig bei der Interpretation solcher schulischen Vergleichszahlen: | |
Zwar könne man sagen, dass die Kinder aus Vertragsarbeiterfamilien - am | |
Bildungsgrad gemessen - verhältnismäßig gut integriert sind, allerdings | |
treffe dies eben nicht auf alle Vietnamesen in Deutschland zu. Seit mehr | |
als zehn Jahren gehört Vietnam zu den zehn Ländern mit der höchsten Anzahl | |
an Asylbewerbern in Deutschland. "Nicht selten haben Asylsuchende aus | |
Vietnam dieselben Probleme wie andere Migranten in Deutschland auch", sagt | |
Weiss, Schwierigkeiten mit der Sprache und Probleme auf dem Arbeitsmarkt | |
erschweren den Start in Deutschland. | |
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch bei den Asylsuchenden aus | |
Vietnam Erfolgsgeschichten, Thao Nguyen ist eine von ihnen. Ihre Eltern | |
kamen 1990 als Asylbewerber nach Stolzenau in Niedersachsen. Von Anfang an | |
erkannten Thaos Eltern die Notwendigkeit, dass ihre beiden Töchter Deutsch | |
lernen. "Noch bevor ich zur Schule kam, hatte ich Unterricht bei einer | |
pensionierten Deutschlehrerin", sagt sie. Heute strebt die 18-Jährige ein | |
Abitur "mit einer Eins vor dem Komma" an. Und das, obwohl die Freizeit der | |
engagierten Jahrgangssprecherin mit Leistungskursen Mathematik, Chemie und | |
Geschichte ohnehin knapp bemessen ist: Neben ihrem Aushilfsjob bei einem | |
Discounter spielt Thao Saxofon, Fußball und Tennis. Zudem ist Thao | |
Stipendiatin der START-Stiftung, die gezielt begabte Schüler mit | |
Migrationshintergrund fördert. Der Anteil der vietnamesischen Stipendiaten | |
liegt im Osten Deutschland bei rund 30 Prozent. Warum einige Nationalitäten | |
innerhalb der Stiftung relativ gesehen stärker vertreten sind als andere, | |
hat sich Geschäftsführer Mostapha Boukllouâ auch schon oft gefragt. Er | |
vermutet, dass vor allem die Erwartungshaltung der Eltern eine Rolle | |
spielt, deren akademische Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt wurden. | |
"Sie möchten, dass ihre Kinder das schaffen, was ihnen selbst verwehrt | |
geblieben ist." | |
Bui Huy, Vorsitzender des "Vereins der Vietnamesen Leipzig", sieht für den | |
Fleiß und Lerneifer seiner Landsleute ganz andere Gründe: "Viele besitzen | |
Familienangehörige in Vietnam, die auf Zahlungen ihrer Verwandtschaft in | |
Deutschland angewiesen sind. Vietnam ist ein armes Land", sagt er. Auch die | |
These, dass Vietnamesen eine Affinität zu naturwissenschaftlichen Fächer | |
haben, empfindet der Ingenieur nicht nur als Klischee. "Wir legen großen | |
Wert darauf, dass unsere Kinder Formeln nicht in Büchern nachschlagen, | |
sondern sie auswendig lernen." Integrationsbeauftragte Karin Weiss sieht | |
darin allerdings eher einen Ausdruck für die Vorliebe von vielen Migranten | |
"für handfeste Berufe". Ob Medizin, Mathematik oder auch Management: All | |
diese Fächer ließen später eine hohe gesellschaftliche Stellung erwarten | |
und seien deshalb für Migranten besonders attraktiv. | |
Bei aller Euphorie über den Integrationserfolg darf man allerdings nicht | |
vergessen, dass die Vietnamesen in Deutschland auch schwere Zeiten | |
durchgemacht haben: Zollten die Menschen in der DDR den Vietnamesen | |
zunächst Respekt für ihren Fleiß, nahmen sie später in der Zeit des | |
wirtschaftlichen Umbruchs die Vietnamesen eher als Arbeitsplatzkonkurrenten | |
wahr. Nicht selten wurden sie als "Fidschi" beschimpft. Die | |
Fremdenfeindlichkeit fand ihren Höhepunkt 1992 in den dreitägigen | |
Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen, bei denen mehr als 100 | |
Vietnamesen um ihr Leben bangen mussten. In unmittelbarer Nähe zur | |
"Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber" zündeten Neonazis am 24. August | |
unter dem Beifall von zeitweise bis zu 2.000 Schaulustigen ein Wohngebäude | |
an, in dem etwa 120 Vietnamesen untergebracht waren. Die Vietnamesen | |
retteten sich auf das Dach und konnten von dort ungesehen über ein | |
Nachbargebäude fliehen. | |
Trotz dieser Ereignisse fühlt sich Thao Nguyen heute in Deutschland wohl. | |
Den deutschen Pass hat sie schon beantragt. Ab Herbst dieses Jahres möchte | |
sie Internationales Management studieren. "Am liebsten in Mannheim" - laut | |
einigen Hochschulrankings die beste deutsche Universität auf diesem Gebiet. | |
Auch die Familie Hoang hat sich durchgebissen: Als im Jahr 2008 das | |
Textilgeschäft von Hoang Quang nicht gut lief, gründete seine Frau ein | |
Nagelstudio - direkt neben an. Der Terminkalender ist fast immer voll. | |
22 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Patricio Farrell | |
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