| # taz.de -- Darf nicht als Zahnarzt arbeiten: Der perfekte Deutsche | |
| > Er sagt: "Ich liebe die Demokratie in diesem Land", ist gut ausgebildet, | |
| > fleißig, will arbeiten. Zähne behandeln darf Sherif Mikhail in | |
| > Deutschland trotzdem nicht. | |
| Bild: Sherif Mihhail: Studium, Facharztabschluss und mehrjährige Berufserfahru… | |
| Wenn alle Deutschen wären wie Sherif Mikhail, dann könnten sie ziemlich | |
| zufrieden mit sich sein. Der 42-Jährige lernte fleißig, er arbeitet viel | |
| und gern, und der Ägypter sagt Sätze wie: "Ich liebe die Demokratie in | |
| diesem Land." | |
| Aber der deutsche Staat und Sherif Mikhail, geboren in Kairo, gestrandet in | |
| Gelsenkirchen, das ist seit Jahren schon eine sehr verfahrene | |
| Angelegenheit. Genau genommen: seit der Zahnarzt und Oralchirurg hier | |
| arbeiten will. Sherif Mikhail findet - kurz gesagt -, dass er gut genug | |
| ausgebildet ist, um die Zähne der Menschen zu behandeln. Die | |
| Zahnärztekammer findet - kurz gesagt -, dass sein Studium und zwei | |
| absolvierte Facharztausbildungen nicht ausreichen, um deutsche Münder zu | |
| verarzten. | |
| Sherif Mikhail hat fünf Jahre in Ägypten Zahnmedizin studiert, danach | |
| arbeitete er fünf Jahre als wissenschaftlicher Assistent an der Uni - und | |
| behandelte währenddessen Patienten. Anschließend machte er seinen Facharzt | |
| für Zahnchirurgie und hatte eine eigene Praxis. | |
| Er wäre das perfekte Beispiel für gelungene Integration. Sherif Mikhail | |
| könnte eine jener Vorzeigeeinwanderer sein, die Politiker gern als Beleg | |
| für erfolgreiche Migrations- und Bildungspolitik auf die Bühne stellen. | |
| Könnte. | |
| Denn Sherif Mikhail ist auch das perfekte Beispiel eines | |
| Vorzeigeeinwanderers, den man auf die Bühne stellen könnte für eine | |
| misslungene Migrations- und Bildungspolitik. | |
| Als christlicher Kopte gehört er zu einer diskriminierten Minderheit in | |
| Ägypten. Für diese ist es sehr schwierig, Karriere zu machen oder gar | |
| öffentliche Ämter zu besetzen. Deswegen wollte er weg, und 1998 kam er mit | |
| einem Stipendium nach Deutschland - da war er 31. | |
| Die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen kam zu dem Ergebnis, dass | |
| die ägyptische Ausbildung der deutschen formal gleichzustellen sei - so | |
| konnte Mikhail einen Facharzt als Oralchirurg in Lübeck machen, | |
| anschließend promovierte er - und währenddessen hat er immer Patienten | |
| behandelt. Doch dann kam die Sache mit der Zahnärztekammer und der | |
| Bezirksregierung. | |
| 2005 - nach Beendigung seiner Promotion - entzog sie ihm seine | |
| Berufserlaubnis. Er klagte, aber das Oberverwaltungsgericht Münster folgte | |
| dem Standpunkt der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe: kein deutsches Studium, | |
| kein gültiger Abschluss. Der Staat, der Mikhail seine Ausbildung | |
| finanzierte, ihn jahrelang hat behandeln lassen, wollte ihn nicht mehr. | |
| "Wie kann einem so etwas passieren in einem demokratischem Land?", fragt | |
| Sherif Mikhail. | |
| Ja, wie eigentlich? | |
| Sherif Mikhails Geschichte ist kein Einzelfall. Seit Jahren schon warnen | |
| viele Wissenschaftler und einige Politiker vor den gravierenden Folgen | |
| einer Abwanderung von Fachkräften. Während andere Länder von der deutschen | |
| Bildungselite profitieren, machen gut ausgebildete Ausländer einen Bogen um | |
| die Bundesrepublik. Der Migrationsforscher Klaus Bade erklärt das Dilemma | |
| an dem Beispiel eines befreundeten Ingenieurs. Als dieser Anfang der | |
| 90er-Jahre die Ukraine verließ und nach Deutschland kam, war er etwa um die | |
| 40 Jahre alt und hatte gerade ein hochkarätig besetztes Projekt zum Thema | |
| Kältetechnik geleitet. Sein Examen wurde in Deutschland nicht anerkannt. | |
| "So etwas nennt man Verschleuderung von Humankapital", sagt Bade. "Wir sind | |
| dumm genug, qualifizierte Zuwanderer zu verprellen." | |
| Zudem werden die ausländischen Qualifikationen häufig abgewertet, wobei | |
| sich die Regelungen je nach Einwanderergruppe auch noch unterscheiden. | |
| Unübersichtliche Zuständigkeiten, fehlende Ansprechpartner sowie die starke | |
| Lobby der Berufsverbände: Der Zugang zu Beschäftigung wird vielen Migranten | |
| äußerst schwer gemacht. Fachkräfte gehen oft lieber nach Australien oder in | |
| die Schweiz, in die USA oder in jüngster Zeit auch nach Großbritannien. | |
| Diese Länder verzichten weitgehend auf das undurchsichtige Gestrüpp von | |
| Sonderregelungen, die das deutsche Zuwanderungsrecht auszeichnen und die | |
| Menschen wie Sherif Mikhail zum Verhängnis werden. | |
| Denn die Tatsache, dass sein ägyptisches Studium hier anerkannt wurde, auch | |
| seine Ausbildung und Arbeit in Lübeck änderten nichts an dem Urteil aus | |
| Münster. Weil es sich bei der Oralchirurgie, so der Richter, um ein eng | |
| begrenztes Thema handele. Daher sei Sherif Mikhail eine sogenannte | |
| Gleichwertigkeitsprüfung bei der Zahnärztekammer hinsichtlich seines | |
| Ausbildungsstandes zuzumuten. | |
| Also legte der Zahnarzt die Prüfung ab, den schriftlichen und den | |
| praktischen Teil bestand er, durch die mündliche fiel er durch. Wie das | |
| einem Mediziner mit mehrjähriger Berufserfahrung passieren konnte? "Das ist | |
| kein Zufall", glaubt Sherif Mikhail. "Für die Zahnärztekammer ist es | |
| wichtig, möglichst wenigen Konkurrenten eine Zulassungen zu geben." | |
| Martina Lösser, Vorstand der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe, droht: "Wenn | |
| er das immer weiter betreibt, werden wir die Justiziare unserer Kammer | |
| beauftragen, gegen diese Vorwürfe vorzugehen." | |
| Der kann die Prüfung noch zweimal antreten - er will aber nicht. Er hat | |
| nach einem Studium in Ägypten, einem Facharztabschluss dort und einem hier, | |
| nach der Behandlung vieler Patienten in beiden Ländern, einer deutschen | |
| Promotion und einer fast bestandenen Gleichwertigkeitsprüfung einfach | |
| genug. Er will sich nicht noch einmal prüfen lassen. Das mag man vernünftig | |
| finden oder nicht. Aber Sherif Mikhail hat genug. Inzwischen glaubt er, | |
| dass "die mich sowieso durchfallen lassen". | |
| Die Kammer pocht also auf die Regel, Sherif Mikhail auf eine Ausnahme, und | |
| es sieht ganz danach aus, dass er verliert. | |
| Für ihn gibt es gerade nicht allzu viele Möglichkeiten. Er bezieht jetzt | |
| Hartz IV. Ob er denn keine andere Arbeit ausüben könne? "Ich liebe meinen | |
| Beruf, er ist mein Leben. Man kann den Menschen ihre Schmerzen nehmen", | |
| sagt er mit trotziger Stimme. Sherif Mikhail hat 1-Euro-Jobs angenommen, | |
| Kindern in Schulen Zahnhygiene gezeigt, in Privatinstituten | |
| Zahnarzthelferinnen beraten. Er war mit Hilfsorganisationen im Ausland, um | |
| zu behandeln, zuletzt in Rumänien, demnächst an der Elfenbeinküste. | |
| Während des Gesprächs schaut er einen auffällig unauffällig auf das Gebiss | |
| und gibt hinterher Ratschläge, woran man gute Zahnärzte erkennt. | |
| Gleichzeitig warnt er: "Für viele Zahnärzte sind die Patienten nur | |
| Geldesel." | |
| Der Schwebezustand nimmt ihn nervlich mit, er leidet unter Schlafstörungen. | |
| Ohne Zuversicht kein Aufstehen am Morgen, kein Durchhalten den ganzen Tag, | |
| kein Glaube an die berufliche Rückkehr. | |
| Er hat bei der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe um Unterstützung gebeten - | |
| und, wie er sagt, nur Abwehr und Arroganz erlebt. "Warum sind Sie nach | |
| Ihrer Ausbildung in Deutschland nicht zurück nach Ägypten", habe ihn der | |
| damalige Vorstand angeherrscht | |
| Das war der Moment, so erzählt Mikhail, in dem er sich wie ein "Parasit" | |
| gefühlt habe. "Muss ich bestraft werden, weil ich bleiben möchte?", fragt | |
| er. "Eigentlich fühle ich mich als Deutscher." Eigentlich. "Denn mir wird | |
| immer wieder das Gefühl gegeben, ein Fremdkörper hier zu sein." Er will | |
| kein Hartz IV, dem deutschen Wohlfahrtsstaat nichts abfordern. Sherif | |
| Mikhail will arbeiten. | |
| Er ist in Deutschland gelandet und hat irgendwann beschlossen: Hier ist | |
| meine Heimat, hier will ich dazugehören. Er ist deutscher Staatsbürger. Er | |
| sagt, er denke deutsch. Er spricht die Sprache akzentfrei, in seiner | |
| Wohnung stehen ausschließlich deutsche Bücher. Migration sei "wie ein | |
| Barometer für den Standort Deutschland", sagt der nordrhein-westfälische | |
| Integrationsminister Armin Laschet (CDU): "Attraktive Länder haben | |
| Einwanderer, weniger attraktive haben Auswanderer." | |
| Wegen solcher Aussagen hat Sherif Mikhail im Jahr 2009 an Laschet | |
| geschrieben. Eine Antwort erhielt er nicht. Daraufhin bat er auch Thomas | |
| Kufen (CDU), den Integrationsbeauftragten in Nordrhein-Westfalen, um Hilfe. | |
| Im November letzten Jahres bekam er eine Antwort: "Lassen Sie mich Ihnen | |
| zunächst meine Hochachtung zum Ausdruck bringen, für Ihre Leistungen auf | |
| Ihrem beruflichen Fachgebiet. Sie haben hierfür viele Entbehrungen auf sich | |
| nehmen müssen, um hier in Deutschland einen Neustart zu wagen", heißt es in | |
| dem Brief. | |
| Und weiter: "Auch wir wissen, wie schwierig und zum Teil sehr kompliziert | |
| die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen und beruflichen | |
| Qualifikationen in Deutschland ist." Am Ende schließlich wird Mikhail | |
| zugesichert "dass wir uns mit dem Bundesamt gemeinsam bemühen werden, Ihre | |
| Fragen der Berufserlaubnis einer Klärung näher zu bringen." Passiert ist | |
| bis heute nichts. | |
| 6 May 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Cigdem Akyol | |
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