| # taz.de -- Serie über erfolgreiche Migranten: Allein in der Nähe der Macht | |
| > Ali Aslan arbeitet im Bundesinnenministerium und soll anderen | |
| > Deutschtürken die Integrationspolitik verkaufen. In seinem Leben ging es | |
| > bislang nur in eine Richtung - nach oben. | |
| Bild: Ali Aslan ist einer der wenigen Deutschtürken im Haus, die es ins Umfeld… | |
| BERLIN taz | Ali Aslan kennt diese Situation. Mit 19 anderen | |
| "German-Israeli young Leaders", die die Bertelsmann-Stiftung zu einem | |
| Austausch eingeladen hat, sitzt er unter vergoldetem Stuck und üppigen | |
| Kronleuchtern im Fechelmsaal des Artotel in Berlin-Mitte. Vorne spricht der | |
| Historiker Hayrettin Aydin von der Universtität Bremen über Immigration, | |
| Integration und nationale Identität. | |
| Es dauert nicht lange, da ist Aydin bei der Frage der doppelten | |
| Staatsbürgerschaft - und beim ehemaligen Bundesinnenminister Wolfgang | |
| Schäuble. Dieser, sagt der Historiker kritisch, habe schon in den | |
| 80er-Jahren den Doppelpass verdammt, weil man aus seiner Sicht nur einem | |
| Land gegenüber loyal sein könne. Viele der "German-Israeli young Leaders" | |
| wenden sich Ali Aslan zu. Der 37-jährige Deutschtürke - Jeans, hellblaues | |
| Hemd, spitze schwarze Schuhe, Drei-Tage-Bart - grinst. Es ist Oktober 2009, | |
| Schäuble ist noch Innenminister. Und Aslans Chef. | |
| Das Bundesinnenministerium hat über 1.500 Mitarbeiter, der 37-jährige Ali | |
| Aslan ist einer der wenigen Deutschtürken im Haus. Und der einzige, der es | |
| in die Nähe des Ministers geschafft hat. Eines Ministers, der für manche | |
| Deutschtürken ein Feindbild ist. Denn Schäuble hat das Zuwanderungsgesetz | |
| verschärft, den Familiennachzug aus der Türkei erschwert und zahlreichen | |
| Türken das Gefühl gegeben, nicht erwünscht zu sein. | |
| Dieses Gefühl soll Ali Aslan abbauen. Vor allem aber soll er helfen, die | |
| Muslime besser zu integrieren. Zu diesem Zweck hat Schäuble 2006 die | |
| Deutsche Islam Konferenz ins Leben gerufen. Aslan gehört zum DIK-Team des | |
| Ministeriums. | |
| Wie aber landet ein junger Deutschtürke ausgerechnet im Innenministerium? | |
| Wer sich Aslans Lebenslauf erzählen lässt, bekommt eine Erfolgsgeschichte | |
| zu hören. Eine Geschichte, die wenig mit Rütli-Schule, Zwangsheirat und | |
| anderen Negativklischees von Deutschtürken zu tun hat. "Ich bin keine | |
| Ausnahme", sagt Aslan. "Aus meinem Umfeld weiß ich, dass eine große Zahl | |
| von Türken viel besser integriert ist, als dargestellt wird." | |
| Im dunklen Anzug sitzt er in einem Coffee-Shop mit altmodischen Sesseln und | |
| orangenen Stehlampen unweit des Ministeriums in Berlin-Moabit. Weil es in | |
| seinem Büro am Wochenende einen Rohrbruch gab, hat er das Treffen hierher | |
| verlegt. Er bringt Cappuccino für den Besuch, er selbst trinkt nichts. | |
| Ali Aslan ist in der Türkei geboren; als er neun Monate alt war, zog die | |
| Familie - der Vater Gynäkologe, die Mutter Rechtsanwältin - nach | |
| Deutschland. Der Vater hatte eine Stelle an einer Klinik in Dortmund | |
| angenommen, einige Jahre später wechselte er an eine andere in der Nähe von | |
| Hamburg. Die Familie lebte im schleswig-holsteinischen Geesthacht in der | |
| Nähe des Atomkraftwerks Krümmel. Dort ging der Arztsohn erst zur | |
| Grundschule, später auf das Gymnasium. Probleme gab es nicht. "Bildung | |
| wurde in meiner Familie großgeschrieben", sagt Aslan. "Meine Eltern waren | |
| entsprechend engagiert. Sie haben keinen Elternabend verpasst und sehr | |
| darauf geachtet, dass ich meinen schulischen Pflichten nachkomme." | |
| Seine Leidenschaft aber galt dem Fußball. Mindestens dreimal in der Woche | |
| hat er trainiert, hinzu kamen die Spiele am Wochenende. "Fußball | |
| verbindet", sagt er. Durch den Sport sei sein Freundeskreis "ethnisch, aber | |
| auch sozial" gemischt gewesen. Aslan kickte sich im örtlichen Fußballclub, | |
| dem VfL Geesthacht, nach oben. "Dann wurde ich vom FC St. Pauli für dessen | |
| A-Jugend-Regionalliga-Mannschaft rekrutiert." Mit 17 zog der junge Mann - | |
| ohne die Eltern und die ältere Schwester - nach Hamburg. Er wollte | |
| Fußballprofi werden. "Aber für den letzten entscheidenden Schritt hat es am | |
| Ende nicht gereicht." Eine Erfahrung, die der Arztsohn bislang nicht oft | |
| gemacht hat. | |
| Die Eltern waren froh über diese Entwicklung, der Vater favorisierte | |
| ohnehin ein Auslandsstudium für seinen Sohn. "Er wollte, dass ich meinen | |
| Horizont erweitere und mein Englisch perfektioniere." Ali Aslan zog in die | |
| USA, studierte zunächst in Boston, dann in Washington und New York. An den | |
| Eliteunis Georgetown und Columbia machte er je einen Master in Journalismus | |
| und Internationaler Politik. Dann volontierte er im Washington-Büro des | |
| Nachrichtenkanals CNN, später wechselte er zur American Broadcasting | |
| Company, einem der drei großen US-Fernsehnetzwerke. Für dessen | |
| Nachrichtensendung arbeitete er bis 2002 als Reporter in New York. Die | |
| Wohnung teilte er sich mit einer Freundin, die aus Israel stammt. | |
| Die Anschläge vom 11. September hat Aslan in New York in unmittelbarer Nähe | |
| miterlebt. Fragt man ihn aber nach einer Zäsur in seinem Leben, spricht er | |
| nicht von 9/11. Er sagt: "Mölln und Solingen, das war eine Zäsur für viele | |
| Deutschtürken." Bei den Brandanschlägen auf von türkischen Familien | |
| bewohnte Häuser kamen im November 1992 und Mai 1993 insgesamt acht Menschen | |
| ums Leben. Aslan lebte bereits in den USA, von den Anschlägen erfuhr er aus | |
| den Medien. "Der Anschlag hat tiefe Spuren der Verunsicherung in der | |
| türkischstämmigen Bevölkerung hinterlassen." Während in Deutschland manch | |
| türkischer Jugendliche über Selbstverteidigung nachdachte, setzte Aslan | |
| sein Studium in Boston fort. | |
| Über eine ehemalige Kommolitonin landete Aslan 2003 beim Channel News Asia, | |
| dem asiatischen Pendant von CNN. Drei Jahre berichtete er für den | |
| Fernsehsender aus Istanbul und über die Fußballweltmeisterschaft aus | |
| Berlin. Dann kam das Angebot aus dem Innenministerium. | |
| "Meinen Beruf als Journalist aufzugeben, ist mir nicht leichtgefallen", | |
| sagt Aslan. "Aber es hat mich gereizt, zurückzukommen und die deutsche | |
| Integrationspolitik mitzugestalten." Diese sei mit der DIK und dem | |
| Integrationsgipfel zu einem Schwerpunkt der Bundespolitik bestimmt worden. | |
| Bislang hatte Aslan sich nie gezielt mit dem Thema beschäftigt. "Aber wenn | |
| beide Elternteile einen Migrationshintergerund haben, kann man sich ihm | |
| nicht entziehen". Auch wieder näher bei den Eltern zu sein, fand Aslan | |
| attraktiv. Seine Schwester, die wie er vier Sprachen spricht, arbeitete | |
| inzwischen als Wirtschaftsberaterin für ein großes Unternehmen in Istanbul. | |
| Gebunden war und ist Aslan nicht. Partnerschaft? Familie? "Das war bisher | |
| mit meinem Nomadenleben nicht vereinbar." | |
| Er nahm das Angebot des Innenministeriums an und wurde vor allem für die | |
| Medien-Arbeitsgruppe der DIK zuständig. Mit dem Islam hatte Aslan vor | |
| seiner Arbeit für die DIK beruflich nicht viel zu tun - und auch privat | |
| definiert er sich, wie er sagt, nicht in erster Linie über die Religion. | |
| In der deutschtürkischen Community erntet Aslan Anerkennung für seinen Job, | |
| nicht viele Migranten haben es auf solche Posten geschafft. Manchmal aber | |
| wird er auch kritisch beäugt, weil er im CDU-geführten Innenministerium | |
| arbeitet. Die ablehnende Haltung der Deutschtürken gegenüber der Union | |
| sitzt tief. Die DIK aber wird bei der Kritik häufig ausgespart. | |
| Fragt man Aslan nach seinen Positionen zu Themen, bei denen er vielleicht | |
| nicht auf Ministeriumslinie liegt, weicht er aus. Zum Zuwanderungsgesetz | |
| will er sich nicht äußern, bei der doppelten Staatsbürgerschaft verweist er | |
| diplomatisch auf seine Zeit in den USA, wo er trotz vieler Doppelstaatler | |
| keine Loyalitätsprobleme bemerkt habe. Illoyal will er auf keinen Fall | |
| sein. Entsprechende Aussagen würde die Pressestelle des Ministeriums, die | |
| nach ihm alle Zitate noch einmal sehen will, auch gar nicht durchlassen. | |
| Mit seiner Arbeit will Aslan auch das Bild der Türken ändern, das in der | |
| deutschen Öffentlichkeit vorherrscht. "Probleme bei der Integration müssen | |
| klar benannt werden, aber sie müssen auch mit Fakten unterlegt und | |
| vernüftig analysiert werden", sagt er. "Aber leider ist die Debatte häufig | |
| von Klischees geprägt." | |
| Im Innenministerium gilt Aslan als Schäuble-Mann, sein direkter Chef ist | |
| mit diesem ins Finanzministerium gewechselt. Über Schäubles Parteifreund | |
| und Nachfolger, Bundesinnenminister Thomas de Maizière, sagt Aslan nicht | |
| viel, über die eigenen Zukunftspläne will er nichts in der Zeitung lesen. | |
| Nur so viel wird klar: Aslan will langfristig in Berlin bleiben- oder nach | |
| Istanbul gehen. Dorthin ziehe es ohnehin viele junge, erfolgreiche | |
| Deutschtürken. | |
| Davon spricht Aslan auch beim Treffen der "German-Israeli young Leaders" im | |
| schicken Berliner Artotel. Grund für die Sehnsucht nach der alten Heimat | |
| der Eltern sei auch "ein Gefühl der Zurückweisung in der neuen". Dieses | |
| Gefühl dürfte Aslan selbst nicht häufig haben. Sieht man von St. Pauli | |
| einmal ab, musste er kaum Zurückweisungen einstecken. Damals hatte er mit | |
| seinem Auslandsstudium bereits einen Plan B für seine Zukunft in der | |
| Tasche. Das dürfte heute nicht anders sein. | |
| 15 Feb 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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