# taz.de -- Fatmire Bajramaj über ihre Fußballkarriere: "Ich liebe einfach de… | |
> Vom Flüchtling zum Fußballstar: Lira Bajramaj über Männerwelten und den | |
> Mut zum Angriff. Ich bin die typische Straßenfußballerin, sagt die | |
> deutsche Nationalspielerin. | |
Bild: Deutschland - USA: Die deutsche Nationalspielerin Fatmire Bajramaj (l) wi… | |
taz: Frau Bajramaj, Sie sind sicher höllisch genervt! | |
Fatmire "Lira" Bajramaj: Wieso? | |
Na ja. Neben Mesut Özil sind Sie Deutschlands neue Fußballvision: jung, | |
dynamisch, Einwanderin und Muslimin. Sie schießen im Nationaltrikot für | |
Deutschland Tore. Wie lebt es sich so als Projektionsfläche? | |
Ach, nun machen Sie mal halblang. Ich bin doch keine Projektionsfläche, | |
sondern vielleicht eine schöne Geschichte. Natürlich, viele sehen in mir | |
eine gelungene Integrationsgeschichte - aber hinter der Geschichte steht | |
doch hoffentlich auch der Mensch Lira Bajramaj. | |
Halblang ist gut: Sie sind 21 Jahre alt und haben schon eine Autobiografie | |
geschrieben. | |
Zugegeben. Ich hätte auch eher gedacht, dass man so was erst am Ende seiner | |
Karriere tut. Aber der Verlag, der mich angesprochen hat, fand meine | |
Geschichte so interessant, dass ich mich nur schwer verweigern konnte. Und | |
ich kannte ja dieses Interesse an meinem Leben auch schon vorher. Mir haben | |
schon immer Leute gesagt: "Lira, erzähl mal vom Kosovo, von deinem Glauben, | |
erzähl mal was von dir." | |
Vom Fußballprofi zur Geschichtenerzählerin - das ist ja nicht unbedingt | |
naheliegend. | |
Ich bin auch keine Geschichtenerzählerin. Mit meinem Buch will ich anderen | |
Flüchtlingen und Migranten Mut machen, die weniger Glück hatten als ich. | |
Ich will ihnen zeigen, dass man es zu etwas bringen kann, wenn man an sich | |
glaubt und einen starken Willen hat. | |
Also doch Projektionsfläche: Lira, die Frau, die zeigt, dass alles möglich | |
ist … | |
Hören Sie, ich weiß aus eigener Erfahrung, dass zum Beispiel gegen | |
Rassismus oft nur flinke Beine helfen. Aber ich habe eben auch gelernt, was | |
es heißt, gegen Rollenbilder und Stereotypen anzutreten. Das hat mit | |
Projektionsfläche nichts zu tun, sondern mit meiner eigenen Erfahrung. | |
Erzählen Sie! | |
Ich bin 1992 als Flüchtling mit meiner Familie aus dem Kosovo nach | |
Deutschland gekommen, da war ich vier Jahre alt. Das Land war gebeutelt, | |
mein Vater wurde von der serbischen Polizei gesucht, und eines Tages | |
mussten wir Hals über Kopf fliehen. Mein Vater sagte zu meiner Mutter: | |
"Mach die Kinder fertig und nimm das Nötigste mit, wir hauen ab!" Mit uns | |
Kindern hat er gar nicht gesprochen. Wir waren ja auch noch ganz klein. | |
Mein älterer Bruder war sieben Jahre alt, ich vier und der jüngste von uns | |
war ein Jahr alt. | |
Sie sind dann nicht unbedingt freundlich empfangen worden in Deutschland. | |
Na ja, wir wurden in einem Asylantenheim mit vielen anderen Kosovo-Albanern | |
untergebracht. Im Kindergarten war ich die einzige Ausländerin, da wollte | |
niemand mit mir spielen. Ich weiß also, was Verständigungsprobleme sind. | |
Das merkt man Ihnen aber kaum an. Im Gegenteil: Heute will niemand mehr | |
gegen Sie spielen. | |
Hätte mich meine Erzieherin nicht immer wieder zur Seite genommen und mir | |
alles gesondert erklärt, hätte ich schlechte Karten gehabt. Ich muss ihr | |
heute dankbar für ihre Fürsorge sein. Mit der deutschen Sprache kamen dann | |
auch die deutschen Freunde. Aber ich hatte eben auch nicht nur Freunde. | |
Was meinen Sie damit? | |
Natürlich bin ich mit rassistischen Sprüchen groß geworden: "Du | |
Zigeunerin", "Geh zurück dorthin, wo du herkommst", das habe ich früher | |
täglich gehört. | |
Sie waren in einer neuen Welt und sind auf Ablehnung gestoßen. Wie sind Sie | |
damit umgegangen? | |
Am Anfang haben mein Bruder und ich gar nicht verstanden, was da überhaupt | |
los ist: Warum tragen die Leute ne Glatze? Warum haben die so komische | |
Sachen an? Warum glotzen die so dämlich? Irgendwann haben wir dann gelernt, | |
uns zu wehren. Mal mit Sprüchen, aber es gab auch Schlägereien. Dann | |
standen da häufig mein Bruder und ich alleine gegen viele Männer. Und da | |
nimmst du natürlich auch mal die Beine in die Hand. Weil mein Bruder nicht | |
so schnell wie ich war, musste ich allerdings damals schon manchmal das | |
Tempo drosseln. Männer halt. | |
Sie haben es den Jungs dann auch auf dem Bolzplatz gezeigt. Wie sind Sie | |
zum Fußball gekommen? | |
Ich war ja früher immer mit meinen Brüdern unterwegs - und was machen | |
Jungs? Fußball spielen. Da habe ich dann mitgemacht, und irgendwann war ich | |
einfach besser als die anderen. Das hat Spaß gemacht. Vielleicht auch, weil | |
es Anerkennung brachte. Wenn wir in der Grundschule Fußball gespielt haben, | |
wurde ich immer als Erste ausgewählt, noch vor den Jungs. | |
Sie sind auch heute noch in einer Männerdomäne unterwegs. Im Fußball sind | |
Frauenprofis noch viel zu häufig die exotischen Ausnahmen. Gegen welche | |
Widerstände mussten Sie - auch in Ihrem privaten Umfeld - antreten, um mit | |
Ihrem Sport akzeptiert zu werden? | |
Wissen Sie, ich habe zunächst heimlich Fußball gespielt. Für meinen Vater | |
war ich die Prinzessin der Familie. Er wollte mich schauspielern, singen | |
oder tanzen sehen. Das habe ich auch immer alles gemacht. Aber dass ich | |
nebenbei mit den Jungs im Verein Fußball spielte, habe ich ihm einfach | |
verheimlicht. Ich hatte immer eine andere Ausrede, warum ich aus dem Haus | |
ging. Ein Jahr lang hat mein Vater das gar nicht mitbekommen. Meine Mutter | |
hat da auch mitgemacht. Irgendwann aber hat er mich dann erwischt. | |
"Erwischt" beim Fußballspielen? | |
Ja. Und er war natürlich sauer, dass ich ihn angelogen hatte. Aber dann hat | |
er sich ein Spiel von mir angeschaut und gesehen, wie gut ich bin. Da war | |
er sofort überzeugt. Von da an war er bei jedem Spiel dabei, hat mich immer | |
angefeuert. Und natürlich kritisiert er mich heute auch bis zum | |
Gehtnichtmehr. Dann aber, weil er mich und meinen Sport ernst nimmt. | |
Gab es noch andere, die etwas dagegen hatten, dass Sie als Mädchen und | |
Muslimin Fußball spielten? | |
Eigentlich nicht. Mein Opa war am längsten noch dagegen. Aber irgendwann | |
kam er auch zum Spiel. Und wissen Sie, ich war nie abhängig von einer | |
bestimmten Person. Und es war auch immer mein Ziel, von niemandem abhängig | |
zu sein. | |
Bei der Skepsis, die Ihnen entgegengebracht wurde, dürfte Ihr muslimischer | |
Glaube eine Rolle gespielt haben … | |
Ich bin zwar gläubig, aber meine ganze Familie geht damit modern um. Ich | |
bete zwar auch mal, bin aber keine strenge Muslimin. Den Fastenmonat | |
Ramadan kann ich zum Beispiel als Sportlerin nicht einhalten. Das brauche | |
ich persönlich aber auch nicht, um mir den Glauben zu beweisen. | |
Sie mussten sich aber in anderer Hinsicht gleich doppelt beweisen: als | |
Eingewanderte in einer fremden Gesellschaft und noch als Frau in einem | |
Männersport. | |
Das stimmt schon. Aber ich habe das als Herausforderung angenommen. Ich war | |
immer die einzige Ausländerin, in der Schule und im Verein. Ich habe mir | |
immer zugeredet: "Du musst dich mehr anstrengen und dann zeigst du es den | |
Leuten!" Ich wollte immer, dass ich Erfolg habe. Ich wollte, dass die | |
anderen vor Neid platzen. | |
Spielte damals für Sie die Vorstellung eine Rolle, dass Sie den Fußball als | |
Chance für den sozialen Aufstieg nutzen können? | |
Eigentlich war die Sache ja viel einfacher: Ich liebe Fußball. Ich liebe es | |
zu gewinnen. Ich liebe den Dreck auf dem Platz. Ich liebe das ganze | |
Drumherum. Aber als ich mein erstes Gehalt bekam, dachte ich natürlich | |
schon: "Krass, ich bekomme Geld für etwas, das mir eigentlich Spaß macht." | |
Dann wurden die Angebote immer besser, was mich natürlich freut. Aber auch | |
wenn ich nur die Hälfte verdienen würde, würde ich trotzdem weiter Fußball | |
spielen. | |
Das klingt nach einem schönen Traum. Aber wann haben Sie gemerkt, dass aus | |
Ihrem Traum auch etwas werden konnte? | |
Als ich 16 war und auf einmal die halbe Bundesliga angerufen hat, um zu | |
fragen, ob ich nicht hierher oder dahin kommen will und, und, und. Da | |
wusste ich, ich kann was aus mir machen. Wenn es nicht klappt, ist es auch | |
nicht schlimm. Aber versuchen musste ich es schon. | |
Ihr Versuch war erfolgreich: Mit 17 waren Sie bereits Nationalspielerin. | |
Eines Morgens kam mein Bruder an und sagte: "Die Bundestrainerin Silvia | |
Neid ist am Telefon!" Ich habe erst gedacht, der macht Spaß. Als ich ans | |
Telefon ging, war ich noch total verschlafen. Aber ich sage Ihnen: Als ich | |
dann tatsächlich spielte, war ich überglücklich. Tatsache: Ich hatte es | |
geschafft. Das hätten sich meine Eltern sicher nicht träumen lassen, als | |
sie damals mit uns nach Deutschland kamen. | |
Heute sind Sie Stürmerin in der deutschen Nationalmannschaft. Sie sind 2007 | |
Weltmeisterin geworden, 2009 Europameisterin. Sie haben den Uefa-Cup und | |
den DFB-Pokal geholt. Mit Turbine Potsdam führen Sie die Deutsche | |
Meisterschaft an, sind im Pokalhalbfinale, stehen im Viertelfinale der | |
Champions League. 2010 könnte ein tolles Jahr für Sie werden, oder? | |
Es wird vor allem ein interessantes Jahr. Ich war noch nie Deutsche | |
Meisterin, aber noch wichtiger wäre mir, das Champions-League-Finale zu | |
erreichen. Das ist in Madrid, zwar nicht im Bernabéu-Stadion, aber | |
immerhin. | |
Und dann steht 2011 auch noch die Weltmeisterschaft der Frauen in | |
Deutschland an … | |
Die Weltmeisterschaft ist natürlich der Traum eines jeden Sportlers. Diese | |
Weltmeisterschaft wird wichtig für den gesamten Frauenfußball in | |
Deutschland sein. Man denkt immer an 2006 und daran, was da los war. So | |
soll es auch bei uns werden. Schon jetzt klopfen immer mehr Sponsoren an, | |
die Werbung machen wollen mit Frauenfußball. Das ist ein Riesenschritt für | |
uns. | |
Auch Sie persönlich werden immer bekannter. Wie geht es Ihnen mit der | |
Situation, dass Sie selbst zum Vorbild werden? | |
Nach einem Spiel bekomme ich manchmal E-Mails von jungen Mädchen, die | |
schreiben "Lira, ich finde dich toll, ich will auch so werden wie du." Ich | |
empfinde das als eine große Ehre. Wer möchte nicht gern Vorbild sein? | |
Es ist aber auch eine große Herausforderung. | |
Ich sagte ja bereits: Davor drücke ich mich nicht. Ich gehe in Schulen, wo | |
viele Ausländerkinder sind. Es ist toll, wenn man den kleinen Mädels helfen | |
kann. Viele Kinder, die aus dem Kosovo geflohen sind, haben viel | |
Schlimmeres erlebt als ich. Ich will ihnen zeigen, dass man auch als | |
Muslimin eine erfolgreiche Sportlerin sein kann. Dass man nicht in falschen | |
Kategorien denken, sondern auf sein Herz hören muss. Dort, im Kleinen, | |
können Sie richtig Mut machen! | |
Nervt es Sie denn gar nicht, dass Sie immer wieder als Musterbeispiel für | |
gelungene Integration herausgeputzt werden? | |
Nee, überhaupt nicht. Meine Mitspielerinnen finden es interessant, etwas | |
über meine Religion und meine Herkunft zu erfahren. Auch wenn andere Leute | |
mit mir darüber reden wollen, damit habe ich überhaupt kein Problem. Wieso | |
sollte ich auch? | |
Sie gelten als das weibliche Pendant zur Erfolgsgeschichte Mesut Özils. | |
Ehrlich gesagt: Ich kenne die Geschichte von Özil nicht, mit der Person | |
habe ich mich nie auseinandergesetzt. | |
Eine Parallele gibt es zumindest: Wer Ihnen beim Spiel zuguckt, dem fällt | |
gleich Ihre eindrucksvolle Technik auf. Der Ball klebt an Ihrem Fuß, wie | |
man so sagt. Sorry, aber mal für Doofe: Wie machen Sie das? | |
Ich bin halt die typische Straßenfußballerin. Auch jetzt, wenn ich zu | |
meinen Eltern nach Mönchengladbach fahre, rufen mich Leute an und sagen: | |
"Hey, Lira, lass uns Fußball spielen!" Dann gehts auf den Bolzplatz. Früher | |
habe ich dort immer die neuesten Tricks von Ronaldinho und Zidane versucht | |
nachzumachen. | |
Heute machen Sie selbst den Frauenfußball attraktiv. Manche sagen: nicht | |
nur durch Ihre Dribbelkünste. Sie haben für Aufsehen gesorgt, als Sie mit | |
Stöckelschuhen auf die Torwand des Sportstudios schossen - und zweimal | |
trafen. | |
Ja, aber ich sehe das undogmatisch. Ich gehe zwar mal geschminkt zum | |
Training, aber in erster Linie geht es doch immer um Fußball. | |
Dass Sie die Tricks beherrschen, ist das eine. Sie sprachen aber vorhin | |
auch von Ihrer Anerkennung durch den Sport. | |
Ich habe einfach gemerkt, dass mir der Fußball manche Tür öffnet, wenn ich | |
nur hart genug dafür kämpfe. Dass ich wirklich Anerkennung genieße, wurde | |
mir aber erst richtig bewusst, als ich zur deutschen Nationalmannschaft | |
kam. Früher gab es immer wieder Beschimpfungen auf dem Feld. Seit ich | |
Nationalspielerin bin, sagt keiner mehr etwas. Heute hat einfach jeder | |
Respekt vor mir. Auf der Straße gibt es Leute, die jetzt mit gesenktem Kopf | |
an mir vorbeigehen, weil sie genau wissen, was sie mal zu mir gesagt haben. | |
Ehrlich: Das tut gut. | |
Constantin Wissmann, 28, ist Journalist in Berlin, kommt von der Waterkant | |
und hofft immer noch inständig auf einen Anruf von Jogi Löw. | |
31 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Constantin Wissmann | |
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