# taz.de -- Urteil im Jalloh-Prozess: Freispruch und Geldstrafe für Polizisten | |
> 2005 verbrannte der Afrikaner Oury Jalloh angekettet in einer Zelle der | |
> Polizei Dessau. Am Montag sprach das Landgericht Dessau einen Beamten | |
> frei, ein weiterer zahlt eine Geldstrafe. | |
Bild: Von den Demonstranten vor dem Gericht nicht vergessen: Oury Jalloh. | |
DESSAU taz Die Todesumstände des afrikanischen Asylbewerbers Oury Jalloh in | |
einer Dessauer Polizeizelle werden nicht mehr genau geklärt werden können. | |
Auch nach 58 Verhandlungstagen im Prozess gegen zwei angeklagte | |
Polizeibeamte vor dem Dessauer Landgericht blieben zum Abschluss der | |
Beweisaufnahme und nach den Plädoyers am Montag entscheidende Fragen offen. | |
So ist nach wie vor ungeklärt, wie der Brand in der Zelle des Dessauer | |
Polizeireviers überhaupt ausbrach, in der der 23-jährige Afrikaner nach | |
seiner Inhaftierung qualvoll starb. | |
Oberstaatsanwalt Christian Preißner stellte in seinem Plädoyer das | |
Geschehen lediglich als "tragischen Unglücksfall" dar. Die | |
Staatsanwaltschaft beantragte gegen den ehemaligen Dienstgruppenleiter des | |
Dessauer Polizeireviers Andreas S. eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu | |
40 Euro. Ihm wird fahrlässige Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Nach | |
Ansicht der Staatsanwaltschaft wie auch der Nebenklagevertreter hätte | |
Jalloh gerettet werden können, wenn S. nach Ausbruch des Brandes in der | |
Zelle schneller Rettungsmaßnahmen eingeleitet hätte. Der zweite angeklagte | |
Polizist wurde freigesprochen. | |
Am Morgen des 7. Januar 2005 dieses Tages brachte die Polizei den | |
Asylbewerber aus Sierra Leone, der schon seit 1999 in Dessau lebte, in das | |
Polizeirevier der Stadt. Frauen der Stadtreinigung hatten sich von dem | |
stark alkoholisierten Afrikaner belästigt gefühlt und die Polizei gerufen. | |
Mit etwa drei Promille Alkohol im Blut leistete er heftigen Widerstand | |
gegen die Beamten. Sie schnallten ihn deshalb in einer Zelle an Händen und | |
Füßen auf einer Pritsche fest. In dem gekachelten Raum befanden sich außer | |
der schwer entflammbaren Matratze, auf der Jalloh lag, keine weiteren | |
Gegenstände. | |
Eine Viertelstunde vor Ausbruch des Brandes kontrollierten Polizeibeamten | |
die Zelle des Inhaftierten. | |
Erst gegen Ende des Prozesses tauchte der Verdacht auf, dass der | |
Mitangeklagte Polizist Hans-Ulrich M. dabei sein Feuerzeug in der Zelle | |
verloren haben könnte. Dienstgruppenleiter Andreas S. ignorierte kurz | |
darauf zunächst das zweifache Anschlagen des Brandmelders aus dem | |
Zellentrakt im Keller, weil dieser schon mehrfach Fehlalarme ausgelöst | |
hatte. Die Wechselsprechanlage war leiser gestellt worden, weil sie | |
Telefongespräche störte. Erst ungewöhnliche "plätschernde" Geräusche der | |
Wechselsprechanlage, Hilferufe des Afrikaners und ein Anschlagen des | |
Lüftungsmelders bewogen Andreas S. zum Eingreifen. Versuche, in die Zelle | |
einzudringen und Hilfe zu leisten, scheiterten an der heftigen | |
Rauchentwicklung. Jalloh verstarb nach späteren Gutachten binnen weniger | |
Minuten an einem Hitzeschock. | |
Wie konnte ein Feuerzeug in die Zelle gelangen, dessen Reste bei der | |
verbrannten Leiche gefunden wurden? Entzündete der Afrikaner möglicherweise | |
selbst die Matratze, auf der er gefesselt lag? Diese Frage blieb zum | |
Prozessabschluss offen. | |
Auch deshalb die drei Nebenklagevertreter eine Mitschuld des | |
Dienstgruppenleiters am Tode Jallohs. Auf dem Weg in den Keller habe er | |
mindesten zwei bis drei entscheidende Minuten verloren, so Rechtsanwalt | |
Felix Isensee. Er schloss "andere Möglichkeiten der Selbstentzündung" aber | |
ausdrücklich nicht aus. | |
Die etwa 40 Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude, darunter viele Afrikaner | |
und Mitglieder der Jalloh-Gedenkinitiative, riefen es noch deutlicher: | |
"Oury Jalloh - das war Mord!" | |
Während Oberstaatsanwalt Preißner für Brandstiftung "nicht den geringsten | |
Anhaltspunkt" sah, ist das Misstrauen der Afrikaner und von | |
Flüchtlingsorganisationen wie "The Voice Refugee Forum" durch den | |
Prozessverlauf stetig gewachsen. Sie fordern eine unabhängige Kommission, | |
die nun den Prozessverlauf untersuchen soll. Salion Jalloh, der Bruder des | |
Verstorbenen, nannte den Prozess eine "Farce". "Alle wissen, dass Oury | |
umgebracht worden ist", ließ der Vater des Verstorbenen über seinen | |
Prozessvertreter ausrichten. Selbstmordabsichten hatten bereits die | |
Staatsanwaltschaft und die Nebenklage bei einem so lebensfrohen jungen | |
Menschen ausgeschlossen. | |
Vorwürfe richten sich weniger an das Gericht als an die Polizei, deren | |
Geist und Verhalten in Sachsen-Anhalt durch das Verfahren einmal mehr ins | |
Zwielicht geraten ist. "Der Fall strotzt von Versäumnissen und | |
Schlamperei", ließ sich der Vorsitzende Richter Steinhoff sogar einmal zu | |
einer Bemerkung hinreißen. Nebenklagevertreter Isensee sprach vom | |
"Korpsgeist der Polizei", der dazu führte, das Zeugen "gemauert und | |
gelogen" hätten. Amnesty International schrieb von "Organisierter | |
Verantwortungslosigkeit". | |
Unterdessen haben die Nebenkläger Ggegen den Bereitschaftsarzt Dr. B., der | |
Oury Jalloh vor seiner Einlieferung in die Zelle untersuchte, Strafanzeige | |
gestellt. Nach ihrer Ansicht hätte der Afrikaner in ein Krankenhaus | |
gebracht werden müssen. Die Umstände seiner Verhaftung, die im Prozess | |
keine Rolle spielten, sprach Anwältin Regina Götz in Vertretung der Mutter | |
an. Hinter den drastischen Maßnahmen gegen den Afrikaner stecke ein | |
"institutioneller Rassismus". Die Eltern hatten zuvor ein Angebot des | |
Gerichts entrüstet abgelehnt, das Verfahren gegen Zahlung einer | |
Entschädigung von 5.000 Euro durch Andreas S. einzustellen. | |
8 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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