# taz.de -- Überlebenskünstler in Kuba: Der Tourismus lockt | |
> Sie profitieren am Rand des Großtourismus, der Kuba im Griff hat: | |
> Wahrsagerinnen, Bauern, Schönlinge und Taxifahrer. Mit Nebenjobs | |
> versuchen sie dem Mangel zu entkommen. | |
Bild: Die Skyline von Havanna | |
Mit durchgedrücktem Rücken und erhobenen Hauptes geht die Museumsführerin | |
Esperanza García in ihrer blauen Uniform voraus. Die weiblichen kubanischen | |
Staatsangestellten tragen Mini. | |
García öffnet die Tür zu Zimmer 511 im Hotel Ambos Mundos. Ernest Hemingway | |
hat hier in den 30er Jahren fast ein Jahrzehnt gewohnt. Ein Heiligtum mit | |
den Büchern, die er las oder schrieb, dem schmalen Bett, auf dem alte | |
Zeitschriften liegen, der eingespannten Seite in der Schreibmaschine unter | |
Glas, handgeschriebenen Notizen. | |
Mit ehrfürchtiger Stimme erzählt Esperanza García von dem amerikanischen | |
Autor. Seit 14 Jahren führt Esperanza García, die selbst Literatur | |
studierte, für sieben Stunden am Tag Touristen durch das klimatisierte | |
Zimmer. | |
„Ich liebe seine Bücher, aber noch mehr sein Leben“, sagt sie und deutet | |
auf die Fotos der schönen Geliebten Hemingways. Durch die Lamellenjalousien | |
in dem abgedunkelten Zimmer gibt es beste Aussicht auf die Hafeneinfahrt | |
Havannas und die Festung San Carlos de la Cabana. | |
Unterhalb von Hemingways Zimmer warten zwei ältere Herren in Verkleidung | |
auf ihren Auftritt. Einer spielt den Lebemann der 30er Jahre, ein anderer | |
den Revolutionär mit Zigarre. | |
Wer die Kamera hebt, wird aufgefordert zu zahlen. Ein Foto soll 1 CUC | |
kosten, das ist der Peso cubano convertible, die Währung der Touristen. | |
Wenige Minuten weiter, am Plaza de Armas, ziehen sich drei Frauen, als | |
Bäuerinnen verkleidet, noch schnell die Lippen nach, bevor sie sich einem | |
Touristen als Modell aufdrängen. Sie schütteln das Plastikobst in ihren | |
Körbchen und laufen ihm mit lauten Aufforderungen hinterher. | |
Erfolgreicher arbeitet Juana la Cubana, wie sie sich nennt, auf dem Platz | |
der Kathedrale. Unter den Arkaden hat sie sich einen Schattenplatz | |
gesichert. Als Anhängerin der Santeria ist sie in Weiß gehüllt, die Kleider | |
fallen über ihren üppigen Körper. | |
„Venga, venga“, winkt sie die Leute heran. Vor sich auf dem Tischchen | |
liegen die Karten, mit denen sie die Zukunft voraussagt. Sie fixiert die | |
Vorbeischlendernden, steckt sich genüsslich eine dicke Zigarre zwischen | |
ihre vollen Lippen und pafft, bis die Rauchschwaden ihr Gesicht verdecken, | |
und lacht laut. | |
Hat jemand neben ihr Platz genommen, wird die Show leiser. Mit | |
konzentriertem Blick zum blauen Himmel murmelt sie Botschaften von Glück | |
und drohender Gefahr. Juanas Geschäft läuft gut. Inzwischen zahlt die | |
71-Jährige Steuern, ungefähr 10 CUC monatlich, das sind ungefähr 7,50 Euro. | |
Möbel, Kleidung, Haushaltsgegenstände und Benzin müssen in konvertierter | |
Währung bezahlt werden. Die wenigen offiziellen privaten Märkte liefern | |
Lebensmittel, die es schon lange nicht mehr über die Lebensmittelkarten | |
gibt. | |
Hier gibt es weder Schlangen noch Gedränge, denn bezahlt wird auch hier in | |
CUC. Der schwierige Überlebenskampf ist an jeder Ecke der Altstadt zu | |
beobachten. Vor dem luxuriösen Hotel Saratoga wartet ein abgemagerter alter | |
Mann und versucht eine schmierige Zeitung zu verkaufen, Frauen betteln um | |
ein Stück Seife. | |
## …und eine Schuluniform | |
Als 1962 die USA das Embargo über Kuba verhängten, bekamen alle, vom Baby | |
bis zum Gefängnisinsassen, eine Libreta, die Karte für | |
Lebensmittelzuteilung: 5 Pfund Zucker, 6 Pfund Reis, 200 Gramm Kaffee, 10 | |
Eier monatlich, eine Schuluniform pro Jahr sind es heute. | |
Rindfleisch, Butter, Obst und Kartoffeln sind mit dem Zusammenbruch der | |
Sowjetunion gestrichen worden. Die Reiseleiterin Felicia sagt: „Die | |
Nationalversammlung hat die Einführung einer einheitlichen Währung | |
diskutiert und die Abschaffung der Lebensmittelkarte. Für 2012 hat noch | |
jeder die Libreta bekommen, weil nur mit ihr die Ärmsten überleben können.“ | |
Im Schatten der einst prächtigen Kolonialarchitektur wird mit einfachsten | |
Dingen gehandelt. Eine Kiste Nägel, ein paar Plastikkabel, gebrauchte | |
Schuhe. Ein junger Mann versucht ein Stück Fischfilet auf einer | |
Plastikfolie in der warmen Hand loszuwerden. | |
Das Durchschnittseinkommen von 250 bis 350 Peso (rund 10 Euro) verspeist | |
ein Tourist beim Mittagessen in den inzwischen erlaubten privaten | |
Restaurants, den Paladares. | |
## Nebenjob im Tourismus | |
Die Verhältnisse sind völlig verrückt. Ein Barkeeper kann an einem Tag auf | |
den Monatsverdienst eines Arztes kommen. Auch schlecht bezahlte Lehrer | |
versuchen nach ihrem Dienst mit Nebenjobs im Tourismus an die begehrten CUC | |
zu kommen. | |
In den Tanzschulen mieten vor allem europäische Frauen im mittleren Alter | |
durchtrainierte junge kubanische Tänzer, weil sie den Salsa-Hüftschwung | |
lernen wollen. | |
Offiziell ist Prostitution in Kuba verboten und wird mit Aufenthalt im | |
Umerziehungslager bestraft. Doch wer mit Augenkontakt durch die Altstadt | |
schlendert, bekommt auch tagsüber Körperdienste angeboten. | |
„Ich habe sehr viel Zeit für dich“, ist noch die charmanteste Einladung. | |
Eher modisch gedacht sind wohl manche Beschriftungen auf T-Shirts: SEX | |
spannt in silbernen Lettern über den Brüsten oder „I am love woman“ auf | |
einem Hemdchen, das über die Schuluniform gezogen wurde. CIA boy ist eine | |
beliebte Variante bei Jungen. | |
## Eine erschwingliche Stadtrundfahrt | |
Neuerdings sind auch private Taxifahrten in Havanna erlaubt. Nestor Montero | |
fährt noch im Staatsdienst, wie das blaue Nummernschild seines Oldtimers | |
anzeigt. | |
Der rosa Chevrolet hat einen festen Tarif, 30 CUC (23 Euro) kostet eine | |
Stunde Stadtrundfahrt, das ist ungefähr das dreifache Monatsgehalt von | |
Nestor, der 265 Peso (100 Peso sind rund 3,27 Euro) verdient. | |
Er arbeitet täglich 10 bis 12 Stunden. Wenn er Einheimische mitnimmt, | |
bekommt er 60 Peso die Woche zusätzlich. | |
Ein Fahrer muss hier auch erfindungsreicher Mechaniker oder Elektriker sein | |
und vor allem sorgsam mit der Technik umgehen, denn es gibt keine | |
originalen Ersatzteile. | |
Der gut polierte rosa Chevrolet fährt inzwischen mit einem Nissanmotor. Die | |
Lenkradschaltung wird mit einem grünen Plastikdraht zusammengehalten, der | |
Außenspiegel ist geklebt. Beim Aussteigen sollte man sich die Tür von ihm | |
öffnen lassen, weil man es allein nicht schafft. | |
Nestor ist seit 31 Jahren Fahrer, früher im Lkw, jetzt im Chevrolet mit | |
Aussicht auf Trinkgeld. „Ich bin sehr glücklich mit meiner Arbeit.“ | |
## Sinatra und die Beatles | |
Noch 10 Sekunden rot zeigen die großen Digitalziffern an der Kreuzung. | |
Zufrieden summt Nestor zur Musik, die er aus Miami mitgebracht hat, | |
Sinatra, die Beatles. Seine spanischen Vorfahren haben ihm zu einem Pass | |
verholfen, erzählt er. | |
Direkte Ein- und Ausreise in die USA sind verboten. Über das Drittland | |
Mexiko durfte er zu den Verwandten fliegen. „Aber es hat mir überhaupt | |
nicht gefallen, alle sind gestresst, abends ist niemand auf der Straße. Ich | |
bin froh, wieder hier zu sein.“ | |
Im Betrieb lernt er abends Englisch, damit er – wie jetzt – die | |
Sehenswürdigkeiten Havannas erklären kann. Vorbei am Revolutionsplatz, der | |
in der Mittagshitze leergefegt ist. | |
Der betonierte Aufmarschplatz glüht, und das gigantische weiße | |
Marmordenkmal von José Martí brennt in den Augen. Die jungen Frauen mit den | |
gelben Fahrradtaxis warten vergeblich auf Kundschaft. Che Guevaras Umriss | |
bedeckt das Hochhaus des Verteidigungsministeriums. | |
## Hexerei im Park | |
Weiter geht es, vorbei an den chicen Villen im Stadtteil Miramar. Hier | |
leben Diplomaten, wie die schwarzen Autokennzeichen zeigen, oder | |
Prominente, Sportler und Staatsgäste wie Hugo Chávez, wenn er zu Besuch | |
ist. | |
Etwas unwillig hält Nestor in dem Park Isla Josefina an. „Hier ist Hexerei | |
im Gange„, meint er. Zwischen den riesigen Ficusbäumen, die ihre Äste zum | |
Boden schwingen, liegen Federn, und es riecht nach Verwesung. | |
Eine Beschwörungszeremonie. Ein Babalaos, ein Priester der Santeria, | |
wirbelt ein lebendes, flatterndes Huhn durch die Luft, dreht ihm den Hals | |
um. In Schlangenlinien spritzt er das Blut in den vorbeifließenden Bach und | |
dann über den Kopf einer traurig und krank aussehenden Frau. | |
## Weltkulturerbe Valle de Viñales | |
Es ist Sonntag, und die Autobahn scheint aus der Zeit gefallen zu sein. | |
Fahrräder und Ochsenkarren nehmen die Mitte der Straße in Besitz und werden | |
von Pferdekutschen überholt. Der unbewaffnete Polizist an einer Kreuzung, | |
der normalerweise staatliche Busse und Lkws anhält, um die Mitnahme von | |
Passagieren zu regeln, hat wenig zu tun. | |
Am Wegesrand werden gekochte Hähnchen und Bananenstauden verkauft. Illegal. | |
Wenn die Polizei gesichtet wird, schlagen sich die Händler in die Büsche. | |
Offiziell ist hier nur der Souvenirstand im Autobahncafé. Che ist dort der | |
Kultstar auf Mützen und Shirts, letzter Schrei ist der rote Stern auf | |
Babykleidung. | |
Auch in der wunderschönen Landschaft des Valle de Viñales in der Region | |
Pinar del Río, das 1999 von der Unesco als Weltkulturerbe geadelt wurde, | |
floriert inzwischen die Privatwirtschaft. | |
Im Ort Viñales gibt es bereits 400 Privatquartiere. Die kleinen Häuser sind | |
in kräftigen Pastellfarben frisch gestrichen, auf den Holzverandas kann man | |
in Schaukelstühlen unter rot leuchtenden Tulpenbäumen wippen. Die | |
Hausherrin führt durch das Privatquartier. Über dem Fernseher im Wohnzimmer | |
hängt ihr Jugendfoto, das sie an ihrem 15. Geburtstag zeigt. | |
## Warten auf Gäste | |
Quince, das ist der höchste Festtag, an den alle kubanischen Mädchen | |
fotografiert werden. Weiter geht es in die blank geputzte Küche und ihre | |
zwei Gästezimmer. Hinter dem Haus werden ein paar Schweine gemästet, | |
dazwischen laufen gackernde Hühner durcheinander. | |
Mit dem schön eingedeckten Tisch vor der Tür will sie Pensionsgäste | |
anlocken. Sie müsse viel Steuern zahlen, meint sie und fügt stolz hinzu: | |
„Das Haus im Rohbau gegenüber gehört auch meiner Familie.“ | |
Der Fremdenführer Rolando zeigt die Dorfstraße mit Bäcker und Baseballplatz | |
und macht einen Spaziergang durch die Ananas- und Tabakfelder. Eine Bar | |
zwischen den Plantagen zeugt davon, dass hierher Touristen kommen. | |
Nur einen kleinen Teil der Tabakernte dürfen die Bauern behalten, um | |
Zigarren ohne Banderole privat zu verkaufen. | |
So verdient Herardo Gonzales ein Zubrot. Seit dem Jahr 2000 zeigt er | |
Fremden am Küchentisch, wie man eine Zigarre dreht. Er ist 47 Jahre, das | |
älteste von sieben Kindern und lebt mit seinen Eltern zusammen in dem | |
bescheidenen Bauernhaus. | |
## Wie ein Bild aus dem Reiseprospekt | |
Kelchige, blaue Faustoblumen hängen wie Schmuck an dem bescheidenen | |
Bauernhaus herab. Herardos Mutter Clara zündet die Holzkohle, bis rauchige | |
Luft durch die offenen Fenster abzieht. Sie mahlt Kaffee und brüht das | |
Pulver im Metallgeschirr auf. | |
Draußen spannt derweil der Vater die Ochsen vom Karren und macht eine kurze | |
Pause, setzt sich dazu, bis er mit den Ochsen wieder aufs Feld zieht. | |
„Cuba auténtico“, ganz so, wie es die neu geplante touristische | |
Werbekampagne verspricht. | |
28 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Petra Schrott | |
## TAGS | |
Reiseland Kuba | |
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geäußert. Jetzt wurde bekannt, dass über 57.000 Menschen sitzen. Die | |
Haftbedingungen sollen verbessert werden. |