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# taz.de -- US-Präsidenten als Napoleons Erben: Der Kaiser aus Amerika
> Obama ist würdiger Nachfolger Napoleons. Weil der im 19. Jahrhundert
> scheiterte, befinden wir uns seit 1945 innerhalb des amerikanischen
> Imperiums. Eine steile These zur Inauguration.
Bild: Kaiser Napoleon als vergängliche Eisskulptur im chinesischen Harbin.
Ein Geschichtsprofessor aus meiner Bekanntschaft arbeitet seit
unvordenklicher Zeit an einem großen Buch, das einen höchst gewagten Beweis
führen soll und deshalb nicht fertig wird.
Alles Unglück, das Europa bis 1945 erlitt, behauptet mein verrückter
Geschichtsprofessor, erklärt sich daraus, dass es Napoleon Bonaparte
misslang, im 19. Jahrhundert unseren Kontinent nach den Prinzipien der
Französischen Revolution umzugestalten. Dass wir hingegen seit 1945 in
Frieden und Wohlstand leben, das verdanken wir der amerikanischen Invasion,
der durchgreifenden Amerikanisierung des europäischen Lebens, nachdem
Großdeutschland bedingungslos kapitulieren musste, glücklicherweise.
Die Amerikaner haben nach 1945 in Europa die Mächte des Fortschritts und
der Moderne durchgesetzt, womit Napoleon 1804 begonnen hatte, bis ihn die
Mächte der Reaktion, die alten Dynastien, die herrschenden Klassen
besiegten, eine Niederlage, sagt mein verrückter Professor, die schon den
Sieg Adolf Hitlers 1933 präfigurierte.
So befinden wir uns seit 1945 innerhalb des amerikanischen Imperiums, und
jede Präsidentenwahl - an der wir uns unmittelbar ja gar nicht als Wähler
beteiligen dürfen - regt uns so auf, nimmt uns so mit, als würde nicht nur
der Staatschef der fernen USA bestimmt, sondern der jüngste Nachfolger
Napoleon Bonapartes als Oberhaupt Europas.
Diese leidenschaftliche Abhängigkeit, dies Engagement konnte man am
deutlichsten erkennen an John F. Kennedy und der Begeisterung, die er in
Europa erweckte - an der Trauer und tiefen Enttäuschung, die das Attentat
hervorrief. Der Mord fiel als schwerer Schatten auf die Vereinigten Staaten
insgesamt. Seitdem habe sich das Verhältnis der Alten Welt zur Neuen -
sagen die Auguren seit 1963 immer wieder - zusehends gelockert. Aber das
ist eine optische Täuschung, sagt mein verrückter Professor. Denn die
Abneigung gegen George W. Bush, die Ablehnung seiner Entscheidungen, das
Misstrauen gegen seine Regierungsmitglieder und Berater - waren das alles
über diese acht Jahre hinweg nicht ebenso Anzeichen der leidenschaftlichen
Abhängigkeit, des tiefgreifenden Engagements?
Auch George W. Bush war Kaiser von Europa; dass ihn hier die meisten seiner
Untertanen intensiv verachteten, ändert nichts an seiner Position. Dass die
Wahl seines Nachfolgers eine solche Aufregung begleitet, ist vielsagend
genug; Leute, die seit Jahren ihre Unabhängigkeit von der amerikanischen
Politik, dem Hollywoodkino, der amerikanischen Kunst und Literatur betonen;
die einen Antikapitalismus pflegen, der unverhohlen als Antiamerikanismus
auftritt - viele ebensolcher Leute erfüllt diese Wahl mit heller
Begeisterung. Als wären sie endlich wieder drin im amerikanischen Imperium
- dabei waren sie nie draußen. Man fühlte sich drinnen nur so ängstlich und
unbehaglich mit dem Präsidenten George W. Bush.
Klar, auch das napoleonische Imperium in Europa, wäre es von Bestand
gewesen, sagt mein verrückter Geschichtsprofessor, hätte irgendwann die
dynastisch vererbte Kaiserwürde abgeschafft und so etwas wie eine
Wahlmonarchie eingerichtet. Der europäische Kaiser wäre Präsident geworden,
womöglich mit beschränkten Wiederwahlmöglichkeiten; praktischerweise hätte
das Parlament, seinerseits aufgrund allgemeiner Wahlen gebildet, große
Teile der Regierungsgewalt übernommen. Fraglich bleibt allerdings, so mein
verrückter Geschichtsprofessor, ob das napoleonische Imperium seinen
Mitgliedstaaten dieselbe Autonomie zugestanden hätte wie das amerikanische.
Sieht man von der unmittelbaren Besatzungszeit ab, nie musste sich die
Bundesrepublik als Satellitenstaat, gar als Kolonie der USA erkennen, nie
war der Bundeskanzler bloß ein von ihnen eingesetzter Generalgouverneur.
Ebendeshalb dürfen wir die amerikanische Präsidentenwahl mit solcher
Aufregung beobachten: weil unmittelbar für uns davon gar nichts abhängt;
kein neuer Vizekönig für die mitteleuropäischen Provinzen, keine
Steuerprivilegien für die Mitglieder der siegreichen Clans, keine
Sanktionen für die Verlierer. Alles bleibt beim Alten und ist zugleich ganz
neu.
Besonders schwierig ist in meinem Buch, so mein verrückter
Geschichtsprofessor, das Kapitel über Russland. Ich würde gern beweisen,
dass ein Stalin keine Chance bekommen hätte, wäre Napoleon Bonapartes
Eroberungsfeldzug 100 Jahre davor erfolgreich verlaufen, sagt er. Wäre
Russland gleichfalls Teil des aufgeklärten, demokratischen, transnationalen
Imperiums in Europa geworden. Aber das kriege ich einfach nicht hin.
20 Jan 2009
## AUTOREN
Michael Rutschky
## TAGS
Michael Rutschky
Nelson Mandela
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