# taz.de -- Thementag Schwarz-Weiß-Film auf Arte: Die Urfarben des Kinos | |
> So puristisch wie vielseitig: Arte widmet dem Schwarz-Weiß-Film den | |
> gesamten Pfingstmontag. Ziemlich viel für zwei ziemlich einfache Farben. | |
Bild: In der Doku „Alles kommt aus dem Schwarz und verliert sich im Weiß“ … | |
„Wenn Sie heute einen Film schwarz-weiß machen wollen“, sagt Regisseur | |
Michael Haneke, „ist es so ungewöhnlich, dass Sie schon sehr gute Gründe | |
haben müssen.“ Der Wunsch, „interessant zu sein“, reiche da nicht, ergä… | |
er abschätzig. Seine Gründe haben ziemlich genau vor drei Jahren die Jury | |
in Cannes begeistert. | |
2009 erhielt der Österreicher für „Das weiße Band“ die Goldene Palme. | |
Dieser präzise Gegensatz zum „Überwältigungskino“ – als dogmenreiches | |
provinzielles Kammerspiel 1913/14 im mecklenburgischen Preußen angesiedelt | |
– überzeugt gerade wegen des perfekt sitzenden schwarz-weißen Bilddiktats. | |
Haneke ist einer der vielen Protagonisten, die am Pfingstmontag ab 10.40 | |
Uhr auf Arte von ihrer Faszination für die Urfarben des Kinos und | |
Fernsehens erzählen. Satte 16 Stunden dauert der Thementag „Schwarz-weiß | |
hat viele Farben“. Das Programm ist, mit kleinen Ausnahmen, komplett im | |
vermeintlichen Retromodus gehalten. | |
Von purer visueller Romantik ist es aber so weit entfernt wie vom | |
avantgardistischen Genrediskurs. Beides sind lediglich Aspekte einer | |
feinfühligen, überraschend aktuellen Debatte, die auch schon vor dem | |
Oscar-Erfolg von „The Artist“ geführt wurde. | |
Die verschiedenen Grautöne des Thementages liefern essayistische Dokus, | |
Experimentelles, Miniaturen wie Jim Jarmuschs „Coffee and Cigarettes“, | |
aktuelle Filme und Klassiker. So hat man beispielsweise für den feierlichen | |
Vormittag den Stummfilm „Berlin: Die Sinfonie der Großstadt“ entstaubt | |
(10.50 Uhr). Das orchestrierte Stadtporträt über einen Tag Ende der 1920er | |
Jahre im Herzen der Weimarer Republik gilt wegen seiner ambitionierten | |
Kamerafahrten als stilprägendes Experiment – ein bemerkenswertes | |
Zeitdokument. | |
Treffend und spannungsreich inszenierte Regisseur Walther Ruttmann die | |
urbanen Dynamiken und Rhythmen einer modernen Metropole. Der Film ist ein | |
einziges opulentes Reinzoomen, das mit einer Eisenbahnfahrt durch das | |
Umland beginnt und in unzähligen Skizzen von Häuserecken, Bauwerken und den | |
Lebensarten eines gesellschaftlichen Schmelztiegels mündet. | |
Da darf die schwarz-weiße Katze im Hauseingang ebenso posieren wie die | |
steif beanzugten Straßenbahninsassen neben dem Ausgehvolk. Dass der | |
karrierefixierte Ruttmann sein Handwerk hervorragend verstand, ist später | |
auch den Nazis aufgefallen: Der Regisseur stieg bis zu seinem Tod 1941 zum | |
gefragten Propagandafilmer („Blut und Boden“) auf. | |
## Spielwiese der Bicolorits | |
Die eigentlich pragmatisch-zeitlose Spielwiese der Bicolorits betritt dann | |
um 13.35 Uhr die in ihrer Klarheit bestechende Dokumentation „Alles kommt | |
aus dem Schwarz und verliert sich im Weiß“. Überwiegend männliche – das … | |
ziemlich schade – Maler, Fotografen und Filmemacher liefern allerhand | |
Argumente für die Qualitäten ihrer schwarz-weißen Brille. | |
Es geht oft um einen authentischen, distanzierten und doch unmittelbar | |
treffenden Blick auf das Wesentliche im Leben. Für den ausschließlich | |
abstrakt in Schwarz malenden französischen Maler Pierre Soulages ist es | |
„die Urfarbe des Lebens und auch der Malerei“, weil sie schlicht „in uns | |
drinsteckt“. | |
Sein amerikanischer Kollege Ellsworth Kelly, erklärt dessen Münchner | |
Kurator, findet in seinen schwarz-weißen, in geometrischer Form angelegten | |
Bildern die „beste Möglichkeit, eine Form zu untersuchen, eine Form zu | |
finden“. Im Klartext heißt das: Größtmöglicher Abstraktionsgrad schafft | |
Wahrheit, die entschleunigt, präzisiert und zum medialen Schlüsselbild | |
wird. „Schwarz-Weiß steht für mich für die Wahrheit“, sagt auch der mit | |
Kohlestiften arbeitende Zeichner Robert Longo und bezieht sich auf | |
nachrichtliche Fotoreportagen. | |
## „Farben ohne Aggression“ | |
Filmemacher Haneke sieht im schlichten Bicolor eine stilistisch kritische | |
Entsprechung wider die „Tendenz, die Dinge aufzumotzen“. Für Karl Lagerfeld | |
sind die beiden Farben so faszinierend, weil ihnen jegliche Aggression | |
fehlt. Der Regisseur Fred Kelemen definiert das so: „Man nimmt den | |
illusionären Teil der Welt weg und bleibt bei dem, was real ist.“ Der | |
Geste, dem Moment, vielleicht sogar dem reinen Gefühl oder seinem | |
gräulichen Schatten. | |
Man kann all das philosophisch nennen, schwammig oder unpräzise. Macht man | |
aber ein kleines Experiment und schaut sich reale Fotos an, die sowohl in | |
Farbe als auch in der schwarz-weißen Form vorliegen – das Wembley-Tor oder | |
Willy Brandts Kniefall in Warschau etwa –, wird deutlich, was die Künstler | |
meinen. | |
Bevor die Coen-Brüder mit der ob ihrer schlichten Ästhetik brillanten | |
Film-Noir-Reminiszenz „The Man Who Wasn’t There“ den Abend einläuten (20… | |
Uhr), erklärt der Berliner Kulturwissenschaftler Thomas Macho in der | |
zweiteiligen Doku „Freistil“ (17.50/18.35 Uhr), was Schnellkristalle, Roy | |
Black und die Schöpfungsgeschichte auf der weißen und die weibliche | |
Sexualität, Schornsteinfeger und Roberto Blanco auf der dunklen Seite | |
gemeinsam haben. Auch ein moderner Moby Dick kommt in „Der weiße Wal“ | |
(19.30 Uhr) zu seinem Recht – als ein verirrt im Rhein umherwandernder | |
Beluga-Wal im Jahr 1966. | |
So ist der Thementag selbstbewusste Chronik und vielseitiges Spektrum des | |
Schwarz-Weißen zugleich. Der Weg führt über die Malerei zum Film, beides | |
trifft sich in der Fotografie, und deren besondere Wirkung entfaltet sich | |
nach Roland Barthes, für den Farbe in der Fotografie nur „Schminke“ war, | |
„nicht in der Wiederherstellung des (durch Zeit, durch Entfernung) | |
Aufgehobenen, sondern in der Beglaubigung, dass das, was ich sehe, | |
tatsächlich da gewesen ist“. | |
Ziemlich viel für zwei ziemlich einfache Farben. | |
27 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Jan Scheper | |
## TAGS | |
USA | |
Feministinnen | |
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