| # taz.de -- Taekwondo-Europameister Laachraoui: Den Bruder besiegen | |
| > Mourad Laachraoui gewann die Europameisterschaft im Taekwondo. Kurze Zeit | |
| > vorher wurde sein Bruder beim Brüsseler Terroranschlag zum Mörder. | |
| Bild: Nach dem Sieg bei der Meisterschaft in Montreux: Mourad Laachraoui | |
| Brüssel taz | Am Anfang war der Bankrott. Als Mourad Laachraoui zehn war, | |
| ging die Karateschule pleite, wo der junge Brüsseler schon seit drei Jahren | |
| trainierte. Initiiert hatte das sein Vater, der in den frühen Neunzigern | |
| aus Marokko nach Belgien gekommen war und Mourad die Faszination für | |
| Kampfsport vermittelte. | |
| Außerdem fand er, dass es seinen vier Söhnen helfe, sich verteidigen zu | |
| können. Weil die Suche nach einer neuen Schule erfolglos blieb, wechselte | |
| Mourad zu Taekwondo. Eigentlich hätte er auch gerne Fußball gespielt, nur | |
| dass der Selbstverteidigung damit nicht gedient gewesen wäre. | |
| Elf Jahre später: Ende Mai 2016 wird Mourad Laachraoui im schweizerischen | |
| Montreux Europameister. In der leichtesten Taekwondo-Gewichtsklasse (bis 54 | |
| Kilogramm) besiegt er den Spanier Jesús Tortosa Cabrera mit 6:3 Punkten. | |
| Als er dessen letzten Angriff pariert hat, reißt Laachraoui, inzwischen 21, | |
| die Hand hoch. Die Kamera fängt sein schmales Gesicht ein, und seine Züge | |
| zeigen nicht nur die Anspannung, die entweicht, sondern auch, dass da einer | |
| harte Wochen hinter sich hat. | |
| Zwei Monate ist es her, da fiel Mourad Laachraoui „der Himmel auf den | |
| Kopf“. So sagte er das neulich in der belgischen Presse. [1][Sein älterer | |
| Bruder Najim hatte sich am Flughafen Zaventem in die Luft gejagt.] Als | |
| Bombenbauer war der eine zentrale Figur bei den Pariser Attentaten vom | |
| November gewesen. Seit seiner Abreise nach Syrien 2013 hatten sich die | |
| Brüder nicht mehr gesehen. Mourads Sportkarriere hatte schon vorher für | |
| Distanz gesorgt. | |
| Wenige Tage später tritt der Kampfsportler in einem völlig überfüllten Raum | |
| des Taekwondoverbands mit Anwalt und Coach vor die Presse. Einmal will er | |
| sich den Fragen stellen, so der Plan, auf dass man ihn danach in Ruhe | |
| lasse. „Traurig. Angegriffen. Getroffen durch das, was passiert ist“, | |
| antwortet er in kurzen Schlagworten auf die Frage nach seinem | |
| Gefühlszustand. | |
| Und sonst? Mourad Laachraoui verurteilt die Attentate, er hofft, nicht mit | |
| seinem Bruder über einen Kamm geschoren zu werden. Er erinnert sich an den | |
| „freundlichen und vor allem intelligenten Jungen“, der sein Bruder einmal | |
| war. Und er will „das Kapitel abschließen“. | |
| ## „Ich bin kein Role-Model“ | |
| Das freilich ginge leichter, wenn Mourad Laachraoui nicht Europameister | |
| geworden wäre. Der Taekwondoverband vermittelt einen Kontakt per Mail, | |
| versucht aber, Fragen zu Mourads Bruder zu blocken. Über sich selbst | |
| spricht der Champion dagegen. Sieht er sich als Vorbild in diesen | |
| angespannten Zeiten? | |
| „Ich denke nicht, dass ich ein Role-Model für eine bestimmte Gemeinschaft | |
| bin“, antwortet er entschieden. Und auch wenn für ihn als Sportler nichts | |
| schöner sei, „als für mein Land, Belgien, anzutreten“, wählt er beim The… | |
| Identität die kleinstmögliche Einheit: „Ich bin einfach und bescheiden nur | |
| Mourad Laachraoui.“ | |
| Geboren wurde er in der Brüsseler Gemeinde Schaerbeek. Die Eltern, heute in | |
| Rente, waren gerade erst aus Marokko eingewandert. „Schule, Taekwondo, | |
| Freunde, Kino und, wann immer möglich, Fußball“ – das waren die Komponent… | |
| in seiner Adoleszenz. Was ihm an Taekwondo gefällt? „Die Kämpfer kommen aus | |
| allen kulturellen und finanziellen Milieus. Dieser Sport ist offen für | |
| jeden.“ Bewusst ist er sich jedenfalls darüber, dass Taekwondolaufbahnen in | |
| der Regel „vor dem 30. Geburtstag“ enden. Einen Sponsor hat Mourad | |
| Lachraoui auch nicht – ein Grund mehr, auf sein Studium der Elektromechanik | |
| in Brüssel zu setzen, dem er ein Ingenieurstudium folgen lassen will. | |
| Seinen Erfolg in Montreux widmet er in erster Linie den Eltern. „Das | |
| erlaubt ihnen, die sehr schwierigen Momente der letzten Zeit zu vergessen.“ | |
| Gegenüber dem belgischen Journalisten Marc Eeckhaut von der Zeitung De | |
| Standaard erläuterte Laachraoui: „Sie leben nicht mehr richtig, sie weinen | |
| oft. Mein Vater rief mich an, nachdem ich den Titel geholt hatte. Ich | |
| fühlte, dass er froh war. Es war das erste Mal seit Langem, dass sie ein | |
| bisschen Glück fühlten. Das hat mich berührt.“ | |
| Den Olympiastartplatz in der 54-Kilogramm-Gewichtklasse hat der belgische | |
| Verband bereits vor der EM vergeben. Insofern konzentriert sich Mourad | |
| Laachraoui nun schon auf die WM im nächsten Jahr und die Spiele von 2020. | |
| Darüber hinaus hat er ein weiteres Ziel: „Ich muss meinen Familiennamen | |
| reinigen. Für meine Eltern, meine kleinen Brüder und die nächste | |
| Generation.“ | |
| 2 Jun 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Müller | |
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