# taz.de -- Stimmen aus Ost-Ghouta: „Die Welt schaut uns beim Sterben zu“ | |
> Das einstige Rebellengebiet bei Damaskus ist fast komplett unter | |
> Kontrolle des Regimes. Die Menschen, die nicht fliehen, fühlen sich | |
> hilflos. | |
Bild: Ein Mitglied des syrischen Militärs in Jobar, Ost-Ghouta | |
Aus den Augen, aus dem Sinn. Nur kurz empörte sich die Weltöffentlichkeit | |
ob des Bombenhagels der syrischen und russischen Luftwaffen auf Ost-Ghouta. | |
Was passiert jetzt, da die syrische Armee einmarschiert ist und über 90 | |
Prozent des einstigen Rebellengebiets bei Damaskus kontrolliert? | |
Eyad Srewel kommt aus Douma, der größten Stadt der Ost-Ghouta und der | |
letzten, in der noch Rebellen stehen. Seit einem Monat lebt er im Keller. | |
Eigentlich studiert der 27-jährige Business Administration. „Die Situation | |
ist immer noch katastrophal“, sagte Srewel vergangene Woche. „Hier fallen | |
immer noch Bomben.“ Zu Fassbomben hätte sich auch eine Anti-Bunker-Rakete | |
gesellt, die selbst Schutzkeller zerstöre. Auch Phosphor-, Napalm- und | |
Chlorgas-Angriffe will der Student miterlebt haben. „Ich weiß nicht, wie | |
wir noch überleben sollen. Alle sehen, was bei uns geschieht, aber niemand | |
rührt einen Finger. Die ganze Welt schaut uns nur beim Sterben zu.“ | |
Hassan Tabajo, ebenfalls 27, studierte vor dem Krieg Maschinenbau und | |
Elektrotechnik an der Universität Damaskus. Jetzt arbeitet er für eine | |
Erste-Hilfe-Freiwilligengruppe in Douma. In den vergangenen Jahren hätten | |
Kampfjets hier und da mal eine Bombe abgeworfen und wären dann | |
weitergeflogen, berichtet er. „Von Mitte bis Ende Februar herrschte hier | |
aber eine Situation wie beim Tag des Jüngsten Gerichts, über den alle | |
großen Religionen sprechen: Feuer, Angst und Tot.“ Besonders in der Nacht | |
sei der Bombenhagel stark gewesen: „Kinder fürchten sich hier so sehr, dass | |
sie kaum noch Schlaf finden.“ | |
Kurz bevor wir mit ihm sprechen können, entkommt Tabajo dem Tod so knapp | |
wie nie zuvor. Bomben fallen auf sein Haus, seine Nachbarn werden verletzt. | |
Mittlerweile habe sich die Situation etwas beruhigt. Große Angst hat er | |
aber weiterhin um seine 57-jährige Mutter, die unter Arthritis leidet, kaum | |
laufen kann und vom Leben im Keller stark traumatisiert ist: „Meine Mutter | |
schreckt bei jedem Geräusch hoch und verkriecht sich wie ein verängstigtes | |
Kind, sobald sie ein Flugzeug hört. Ich fühle mich so hilflos.“ | |
Fliehen – wie Zehntausende in den vergangenen Wochen – will Tabajo trotzdem | |
nicht. Jedenfalls nicht ohne Absicherung. „Natürlich, wir sind müde, wir | |
wollen hier weg“, sagt der 27-Jährige, „aber wer garantiert unsere | |
Sicherheit?“ Die internationale Gemeinschaft müsse dafür sorgen, dass die | |
Zivilisten endlich aus dem Kriegsgebiet heraus können – ohne Gefahr, nach | |
der Flucht vom Regime verhaftet zu werden: „Nur mit einer internationalen | |
Garantie, die meine Sicherheit und die meiner Familie wahrt, werde ich die | |
Ost-Ghouta verlassen.“ | |
Sarmada, eine 24-jährige Studentin, traut sich weiterhin nicht, ihren | |
echten Namen zu nennen. Sie berichtet, dass die Rebellengruppen die | |
Ost-Ghouta nun an die syrische Armee übergeben haben. Sie fühlte sich | |
allein gelassen. Einige Kämpfer der Al-Rahman-Legion hätten sich dem Regime | |
angeschlossen, andere seien nach Idlib geflohen. | |
„Als die Armee des Regimes in Ost-Ghouta einmarschierte, hat sie viele | |
Leute festgenommen oder umgebracht“, sagt Sarmada. Die Farmen hätten die | |
Soldaten verbrannt. „Nachts wachen wir jetzt davon auf, dass sie | |
'Regime-Armee’ rufen und in Häuser einbrechen und Möbel stehlen oder | |
kaputtmachen.“ | |
In Douma verhandelt die letzte Rebellengruppe „Armee des Islam“ mit der | |
russischen Armee, erzählt Tabajo. Er glaubt nicht, dass das etwas Gutes | |
bedeutet. Er habe gehört, dass die Gruppe in das 50 Kilometer östlich | |
liegende Rebellengebiet Ost-Kalamoun abziehen werde. Wieder andere würden | |
sagen, dass die Rebellen sich weigern, abzuziehen, und in Douma eine zivile | |
Polizei stellen wollen. Die Situation ist unübersichtlich. | |
## Puppen zurückgelassen | |
Nach Idlib geflohen ist die gelernte Sekretärin Nivin Hotary, die mit ihrer | |
sechsjährigen Tochter Maya monatelang im Keller ausgeharrt hatte. | |
„Irgendwann sahen wir uns gezwungen zu fliehen – auch weil die | |
internationale Gemeinschaft nicht intervenierte“, so die 39-Jährige. | |
„Zwangsvertreibung“ nennt sie ihre Flucht, „ein Verbrechen, aber die ganze | |
Welt schweigt dazu.“ | |
Nur das nötigste im Gepäck, 27 Stunden Fahrt im Autokonvoi und dann zu Fuß | |
weiter: Über Qal’at al-Mudiq erreichten Hotary und Maya das Rebellengebiet | |
um Idlib im Nordwesten Syriens. Die Mutter erzählt, dass das Regime die | |
Konvois gezielt durch alawitische Gegenden leitete, die hinter Präsident | |
Assad stehen: „Wir haben viel Hass und Erniedrigung in diesen Dörfern | |
erfahren müssen.“ | |
Die sechsjährige Maya sei im Bombenhagel in der Ost-Ghouta immer stark | |
geblieben. „Aber jetzt nach der Flucht erzählt mir Maya, wie schlimm das | |
Leben im Schutzkeller war und wie viel Angst sie bei den Bombenexplosionen | |
hatte.“ In den Kellern hatte Maya stets ihre Puppen bei sich. Bei der | |
Flucht musste sie sie zurücklassen. | |
Sie wisse nicht, wie es jetzt weitergehe, sagt Hotary verzweifelt. | |
Irgendwann wolle sie zurück in ihre Heimat, in die Ost-Ghouta. Aber: „Ich | |
kann mir nicht vorstellen, wann und wie es jemals wieder ein Syrien für | |
alle geben soll.“ | |
6 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
David Bedürftig | |
Hiba Obaid | |
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