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# taz.de -- Rezeption der Olympischen Spiele 1936: Fit mit dem Hitlergruß
> Die Historikerin Eisenberg erkennt in der Propagandaschlacht "einen
> späten Triumph der bürgerlichen Moderne". Ihre provokante These: Die
> Propaganda war gut für den Sport.
Bild: Nach dem Krieg nicht mehr so angesagt: rechter Arm nach vorn.
Die Athleten aus dem Land des Erzfeindes sorgten für Verwirrung. Als die
französische Mannschaft am 1. August 1936 während der Eröffnungsfeier der
Olympischen Spiele in Berlin einmarschierte, reckten die Sportler
geschlossen den rechten Arm. Zum "deutschem Gruß". Das jedenfalls
vermuteten die deutschen Besucher im Olympiastadion, wie auch die vielen
Zuschauer, die später die opulenten Olympiafilme Leni Riefenstahls in den
Kinos sahen.
Auch heute sieht jeder den Arm als "Hitlergruß". Die Franzosen entrüstete
dies. Sie berichteten nach 1945, sie hätten vielmehr den nahezu identischen
"olympischen Gruß" entboten, der damals zum olympischen Protokoll gehörte.
Bei den ersten Spielen nach dem Zweiten Weltkrieg, 1948 in London, kam
diese Geste freilich nicht mehr in Frage.
Diese Episode belegt, wie suggestiv die Bilder aus Berlin auch nach dem
Krieg wirkten. Die Spiele 1936, die vor 75 Jahren eröffnet wurden, gelten
bis heute als das klassische Fallbeispiel für die Instrumentalisierung des
Sports durch die Politik. Die Verschmelzung der beiden Pole liegt heute ja
auch jenseits jeder Vorstellungskraft: Auf der einen Seite stand die
Olympische Bewegung, die Fair Play und die Gleichheit der Rassen
propagierte und die sich auch auf Wurzeln der Friedensbewegung berief. Und
auf der anderen Seite das NS-Regime, das die Juden verfolgte und jeden
politischen Gegner mit Terror zerstörte.
## Nazi-Olympics, Hitler's Games
So sind die Berliner Spiele in die olympische Geschichte wahlweise
eingegangen als "Nazi-Olympics" (Richard Mandell) oder "Hitler's Games
(Duff Hart-Davis), der Potsdamer Sporthistoriker Hans-Joachim Teichler
wertet sie als "olympisches Trauma". Das recht einhellige Urteil, wonach
die Nationalsozialisten die Spiele als reine Propagandashow missbrauchten,
ist aus Sicht der Berliner Historikerin Christiane Eisenberg allerdings
nicht zu halten. Sie bezeichnet die Spiele vielmehr als "späten Triumph der
bürgerlichen Moderne" und stellt eine provokante These auf: "Denkbar wäre
auch, dass Nutznießer der Propaganda der Sport war." Wurde also nicht der
Sport nazifiziert, sondern die Nazis versportlicht?
Eisenbergs Argumente sind gewichtig. So wurden die Spiele schon 1931 nach
Berlin vergeben, knapp zwei Jahre vor der "Machtergreifung". In
Wirklichkeit seien die Spiele eine Hinterlassenschaft der Weimarer Zeit, in
der die Verständigungspolitik des Außenministers Gustav Stresemann darauf
zielte, Deutschland auch über den Sport wieder in die internationale
Gemeinschaft zu integrieren. Der Einsatz der olympischen Glocke, das
vermeintliche Symbol der NS-Kirchenpolitik, sei schon 1932 auf den Weg
gebracht worden. Der Eichenkranz auf den Köpfen der Medaillengewinner - ein
historisches Tribut an die Deutsche Turnerschaft. Der Fackellauf, 1936
erstmals durchgeführt, - eine bereits 1931 entwickelte Idee eines jüdischen
Wissenschaftlers. Und in der Tat lehnte die NS-Propaganda die Spiele vor
1933 als Symbol des Liberalismus und Internationalismus kategorisch ab.
Sicher ist, dass die Athleten als Protagonisten der Spiele eine
Instrumentalisierung durch das Hitler-Regime nicht witterten, auch nicht
diejenigen, die laut NS-Doktrin als "Nichtarier" deklassiert wurden. "Die
Deutschen waren riesig, sie sahen mich nicht als schwarzen Mann, sondern
nur meine Fähigkeiten", erzählte später der Leichtathlet Jesse Owens, der
sich auf der Aschenbahn mit vier Mal Gold ein sportliches Denkmal gesetzt
hatte. Hitler habe ihn nie brüskiert, so Owens, sondern nur "FDR". Damit
war Franklin D. Roosevelt gemeint, der damalige US-Präsident, der beim
Empfang im Weißen Haus keine schwarzen Sportler eingeladen hatte.
## "Alibi-Jüdin"
Und auch die Funktionäre des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) als
"Hüter des olympischen Gedankens" störten sich mehrheitlich nicht am
Antisemitismus und Rassismus der Nazis. Sie ignorierten die Berichte aus
Deutschland, wonach die NS-Sportführung die jüdischen Sportler von den
Spielen ausschloss, ein eindeutiger Verstoß gegen die olympische Charta;
ihnen war bewusst, dass die Nominierung der "Alibi-Jüdin" Helene Mayer, der
Fecht-Olympiasiegerin von 1928, lediglich ein sportpolitisches Feigenblatt
war.
"Die hohen Herren, insbesondere die Vertreter der USA, die aufgrund der
Diskriminierung der schwarzen Athleten in der eigenen Mannschaft
gewissermaßen im Glashaus saßen und zum Teil selber Antisemiten waren,
ließen sich gern beschwichtigen", spottet Eisenberg. Der spätere
IOC-Präsident Avery Brundage soll den euphemistischen Bericht über die Lage
im NS-Sport, der letztlich zur Teilnahme der US-Mannschaft in Berlin
führte, sogar schon vor seinem Besuch in Deutschland geschrieben haben.
Brundage war Antisemit, sein Klub in Chicago nahm weder Juden noch Schwarze
auf.
## IOC schaut weg
Die IOC-Mitglieder schwärmten in Berlin stattdessen von den modernen
Sportanlagen, die Hitler mit über 100 Millionen Reichsmark aus einem
Sonderfonds finanzieren ließ, das neue Olympische Dorf, die perfekte
Organisation durch SS, SA und Reichswehr, und sie bewunderten die
Künstlerin Riefenstahl, die, ausgestattet mit viel Geld aus Goebbels'
Propagandaministerium, mit ihren Filmen eine völlig neue Ästhetik im
Bereich des Sportfilms schuf.
"Nie sind so große Spiele abgehalten worden, und nie waren sie so
gelungen", jubelte der Präsident des Internationalen
Leichtathletik-Verbandes (IAAF), das schwedische IOC-Mitglied Sigfrid
Edström, nach den Spielen von Berlin. Er betrachtet die Sommerspiele als
Durchbruch für die olympische Idee. Das IOC ignorierte den Missbrauch. Es
sah nur den Nutzen.
3 Aug 2011
## AUTOREN
Erik Eggers
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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