# taz.de -- Reportage aus einem Krisengebiet: Simbabwe in Zeiten der Cholera | |
> Mehr als 2.000 Menschen gestorben, fast 40.000 erkrankt: Simbabwe leidet | |
> unter der Cholera. Dabei hätte die Epidemie leicht vermieden werden | |
> können, glaubt Ärztin Barbara Nakaseke. | |
Bild: Wer erkrankt, hat Pech gehabt: In Simbabwe gibt es weder sauberes Wasser,… | |
Venah ist 58 Jahre alt. Ihr Leben war hart. Sie hat sieben Mädchen das | |
Leben geschenkt. Als das siebte taubstumm zur Welt kam, verließ sie ihr | |
Ehemann. Von da an brachte Venah sich und die Kinder mit Putzarbeiten in | |
Haushalten von Weißen bzw. mit Altenpflege durch. | |
Heute lebt Venah mit ihrer jüngsten Tochter, mit deren ebenfalls | |
taubstummem Mann und dem gesunden 2-jährigen Enkel in einer Hälfte eines | |
Arbeiterhäuschens in Sakubva. Diese Häuschen wurden vor der Unabhängigkeit | |
für Arbeiter der Holzfabriken in Mutare gebaut. Familienangehörige wurden | |
damals nicht zugelassen. Von außen sieht man diesen Wellblechhäuschen ihr | |
Alter an. Gestrichen wurde es seither nicht mehr. Die Haushälfte besteht, | |
genau wie jede andere hier, aus einem kleinen Wohnraum und einer noch | |
kleineren Küche. Letztere bewohnt Venah. In vielen gleichen Häuschen leben | |
die Menschen weit gedrängter. Außerhalb der Wohnhäuschen teilen sich | |
mehrere Familien eine Toilette und einen Waschraum. | |
Auf den Dreckwasserstrom vor ihrem Haus angesprochen, erfahren wir von | |
Venah, dass dieser schon seit einem Jahr besteht. Die Bewohner hätten schon | |
mehrfach Eingaben bei der Stadt gemacht und um Reparatur der | |
Abwasserleitung gebeten, vergeblich. Müllabfuhr gibt es auch nicht mehr. | |
Die Müllberge werden jeden Monat höher und erzeugen Gestank, locken Fliegen | |
und Ratten an. Der Fuhrpark der Müllbeseitigung ist zusammengebrochen, die | |
Müllwerker sind wegen der geringen Gehaltszahlungen nicht nur unmotiviert, | |
sondern müssen sich zusätzlich auf anderem Wege ihren Unterhalt beschaffen. | |
Ich begleite Venah durch ihr Viertel, die Häuschen stehen dicht an dicht, | |
davor spielen Kinder im Morast. Es gibt kaum einen Wasserhahn, der nicht | |
tropft oder aus dem das Wasser ungehindert fließt. Manche Hähne sind | |
abmontiert, anderen fehlen wohl nur neue Dichtungen. | |
Meine Kollegin wohnt in einem Villenviertel etwa zehn Fußminuten von | |
Sakubva entfernt. Seit Monaten schon hat sie tagsüber kein Wasser, weil der | |
Druck nicht mehr reicht, das höher gelegene Gebiet zu versorgen. Nachts | |
muss sie mehrfach aufstehen, um zu prüfen, ob es Wasser gibt, damit sie | |
ihre Behälter füllen kann. Manchmal wartet sie vergeblich und fährt dann | |
bei ihren Freunden mit den Wasserkanistern herum. Ihre Nachbarn haben die | |
gleichen Probleme. | |
Vor vier Jahren bin ich nach Mutare gezogen, um hier zu arbeiten. Bei | |
meiner Ankunft war die Infrastruktur in Mutare intakt. Das Wasser war das | |
reinste und schmackhafteste, das ich je direkt aus der Leitung hatte | |
trinken können. Es kam direkt aus den nahen Bvumba-Bergen. Viele Villen | |
waren mit Swimming-Pools ausgestattet, auch in dem Viertel meiner Kollegin. | |
In dem Villenviertel gab es viel Grün und sogar kleine Waldgebiete, in | |
denen man gerne spazieren ging, bevor Müll abgeladen wurde - und das | |
Abholzen begann. "Wir hungerten nicht", sagt Venah. "Wir hatten Strom und | |
sauberes Wasser, regelmäßige Müllabfuhr und Arbeit, die uns und unsere | |
Familien ernährte. Heute suchen wir mühsam Feuerholz, müssen nachts, wenn | |
es Strom gibt, aufstehen und wissen nicht, ob wir heute einigermaßen satt | |
werden." Eine Ausnahme machen nur die, die Diamanten finden, ihr Geld in | |
neue große, geländegängige metallicfarbene Fahrzeuge investieren und mit | |
US-Dollar um sich werfen. | |
Seit Anfang 2008 ist das Land in einer ungehemmten Abwärtsentwicklung. Die | |
Menschen in den dicht besiedelten Wohngegenden planen ihr Leben von einem | |
Tag auf den anderen und freuen sich, wenn sie nicht hungrig zu Bett gehen | |
müssen. Aber auch der Mittelstand ist verzweifelt: Von ihrem kärglichen | |
Einkommen in lokaler Währung können sie nicht leben. Dazu wird es täglich | |
weniger. Die Inflation liegt bei 200 Millionen Prozent. Vorratswirtschaft | |
ist nicht möglich, weil sie von ihrem Konto täglich nur eine kleine Summe | |
abheben können. Sie stehen schon früh morgens in einer Schlange vor den | |
Banken, die bis auf die Straße reicht. Es dauert Stunden, bis sie das | |
wenige Geld erhalten, um auch nur ein Brot zu kaufen. Während der Zeit des | |
Wartens können sie ihrer Arbeit nicht nachgehen. | |
Auf dem Land leiden die Menschen noch mehr. Es gibt keinen Mais mehr. Die | |
Regierung muss den Mais importieren und gibt ihn nur noch gegen US-Dollar | |
ab. Abgelegene Gebiete werden von den privaten Minibussen nicht mehr | |
angefahren, weil das Benzin zu teuer geworden ist. Deshalb kann der | |
Fahrpreis von der Landbevölkerung nicht mehr bezahlt werden. | |
Wer krank wird, kann keine Hilfe mehr bekommen. Die ländlichen | |
Ambulanzstationen haben schon seit Jahren keine Medikamente mehr. "Das sind | |
Museen", sagen die Leute in den Dörfern. Mittlerweile sind nur noch einige | |
Missionshospitäler in Funktion. Selbst dort streiken Mitarbeiter. "Wir | |
hungern, selbst wenn wir Geld auf dem Konto haben. Wir können nicht an das | |
Geld heran." | |
Dies ist der Hintergrund, vor dem sich derzeit die Cholera in Simbabwe | |
ausbreitet. Chronisch unterernährte Menschen infizieren sich leichter und | |
erkranken, wenn das Wasser Stuhlkeime enthält. Cholera, Typhus, Paratyphus | |
und viele andere Erkrankungen können die Folge sein. | |
Das Heimtückische an Cholera ist, dass die Inkubationszeit, die Zeit vom | |
Schlucken der Keime bis zum Ausbruch der Erkrankung, Stunden oder wenige | |
Tage dauert. Die Cholera-Vibrionen dringen nicht in den Körper des | |
Infizierten ein, erzeugen kein Fieber und keine allgemeinen | |
Krankheitssymptome. Sie produzieren ein Toxin, ein Gift, das im Darm wirkt | |
und dort bei etwa fünf Prozent der Infizierten zu einem massiven | |
Flüssigkeits- und Salzverlust führt. | |
Kranke können mehr als 20 Liter in 24 Stunden verlieren und sehr schnell | |
austrocknen. Die Arme und Beine werden kalt, der Blutdruck sinkt, die Augen | |
treten in ihre Höhlen, die Muskeln verkrampfen sich. Wenn nicht sehr | |
schnell Hilfe kommt, sterben die Menschen an starken Schmerzen, wenn sie | |
nicht vorher bewusstlos werden. | |
Studenten der Medizin in Simbabwe, insbesondere solche der öffentlichen | |
Gesundheit, müssen während ihrer Ausbildung eine Epidemie untersuchen. So | |
schreibt es ihr Ausbildungsplan vor. In den vergangenen Jahren war es für | |
die Studenten gar nicht so einfach, "ihre" Epidemie zugeteilt zu bekommen. | |
Es gab oft keine oder ganz wenige. Zwar traten jedes Jahr an der Grenze zu | |
Mosambik einige Fälle von Cholera auf. Sehr schnell wurde meist in der | |
nächsten Gesundheitsstation die Krankheit entdeckt, Labormaterial gewonnen | |
und weitergeleitet. | |
Gleichzeitig mit der Bestätigung der klinischen Diagnose begann die | |
Behandlung: Die Flüssigkeitsausscheidungen wurden systematisch gemessen und | |
mit einer entsprechenden Trinklösung und Infusionen schnell dem Körper | |
zurückgegeben. Ein einfaches Antibiotikum, Doxycycline, gehört zur | |
"Essential Drug List", der Liste von wichtigen Basismedikamenten, und war | |
allerorts vorhanden. Es ist nicht zur Lebensrettung des Kranken, wohl aber | |
zur Verkürzung des Krankheitsverlaufes und zur Verringerung der Keime in | |
den Ausscheidungen des Betroffenen - also zum Schutz der Umgebung - | |
wichtig. | |
Ich erinnere mich an einen kleinen Ausbruch von Cholera vor einigen Jahren | |
im abgelegenen grenznahen Avila, in der Provinz Manicaland, wo nach 17 | |
Infizierten die Epidemie dank schneller Reaktion der behandelnden | |
Schwestern eines Missionshospitals zum Stillstand kam und keiner der | |
Kranken starb. Die Cholera war durch einen Grenzgänger eingeschleppt worden | |
und hatte sich unter den Menschen aus drei Dörfern ausgebreitet, die | |
gemeinsam an einem Bewässerungsprojekt arbeiteten. In Nähe des Damms, den | |
sie errichteten, gab es keine Latrinen und kein sauberes Wasser. Viele | |
teilten ihre Mahlzeiten, ohne vorher ihre Hände entsprechend waschen zu | |
können. | |
Heute trifft die Cholera in Simbabwe ein Umfeld vor, das es ihr an jedem | |
Ort erlaubt, sich auszubreiten. | |
Umso unverständlicher und unverantwortlicher war es, dass die Regierung | |
nicht sofort, bei Auftreten der ersten Cholerafälle in einem dicht | |
besiedelten Vorort von Harare, mit den internationalen Hilfsorganisationen | |
vor Ort die Cholera eingedämmt hat. | |
Zu Beginn wäre das möglich gewesen. Als man den Ausbruch in der Stadt nicht | |
mehr verheimlichen konnte, versuchte man das Ausmaß herunterzuspielen. Ein | |
Student schrieb aus dem Mutoko-Distrikt: "MSF (Ärzte ohne Grenzen) wurde | |
die Errichtung und das Betreiben von Cholera-Behandlungszentren untersagt." | |
Mittlerweile hat sich die Regierung um Hilfe an die internationale | |
Öffentlichkeit gewandt - und MSF darf in Manicaland jetzt endlich helfen, | |
zu einer Zeit, in der die Cholera im ganzen Land und in Nachbarländern | |
längst auf dem Vormarsch ist. | |
14 Jan 2009 | |
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