| # taz.de -- Regisseur Hanyes über seinen Dylan-Film: "Er war schön und femini… | |
| > Todd Haynes hat mit "I'm not there" einen großartigen Film über "His | |
| > Bobness" gemacht. Der Regisseur über rätselhafte Westernhelden, Musik als | |
| > Alleskleber und Freiheit. | |
| Bild: Alle lieben sie dafür: die Blanchett als Dylan. | |
| taz: Herr Haynes, welcher Wunsch war zuerst da - der, einen Film über Bob | |
| Dylan zu drehen, oder der, das Genre des Biopics zu revolutionieren? | |
| Todd Haynes: Ich hatte nie das Bedürfnis, jemandem, der so unkonventionell | |
| wie Bob Dylan ist, mit einer konventionellen Dramaturgie zu begegnen. Es | |
| war dann wie ein Offenbarung, als ich ihn mir als sechs unterschiedliche | |
| Figuren vorstellte. In dem Augenblick wollte ich den Film unbedingt machen. | |
| Und eine dieser sechs Figuren mit Cate Blanchett zu besetzen - wann kam | |
| Ihnen diese Idee? | |
| Das war später. Die Idee, eine Frau zu besetzen, war aber von Anfang an da, | |
| genauso wie die, die Figur Woodys mit einem schwarzen Jungen zu besetzen. | |
| In D. A. Pennebakers Konzertfilm "Dont Look Back" wirkt Dylan auf mich sehr | |
| feminin, wenn er auf der Bühne steht. Liegt das daran, dass ich Ihren Film | |
| vorher gesehen habe, oder daran, dass Dylan etwas sehr Feminines hat? | |
| Ich glaube, er war feminin - 1966, ein Jahr nach "Dont Look Back", noch | |
| mehr als 1965. Pennebakers Film behandelt ja die Zeit unmittelbar bevor | |
| Dylan beginnt, E-Gitarre zu spielen. Er ist damals sehr schön. Im folgenden | |
| Jahr ist er dünner, setzt sich körperlich mehr unter Druck, ist wie | |
| elektrisiert. Das bringt seine Androgynität zur Geltung. Er ist nicht mehr | |
| einfach nur hübsch, er ist androgyn, ein bisschen fremd. | |
| Inwieweit beziehen Sie sich auf Pennebakers Film? | |
| Eigentlich kaum. Jedenfalls nicht in dem Teil mit Cate Blanchett. "Dont | |
| Look Back" ist ein wunderschöner Dokumentarfilm, einer meiner liebsten | |
| Musikfilme, und er ist ganz und gar dem Cinéma vérité verpflichtet. Mein | |
| Ziel war es, für jeden der sechs Stränge in "Im not there" einen | |
| spezifischen kinematografischen Stil zu entwickeln, der mit der Musik jener | |
| Zeit korrespondierte. Dylans Musik hatte 1966 aber nichts mit Cinéma vérité | |
| zu tun - sie war surreal, barock, komplex, humorvoll. Fellinis "8 1/2" | |
| wurde deshalb mein Bezugspunkt für die Schwarz-Weiß-Episoden, in denen Cate | |
| Blanchett Dylan spielt. Natürlich gibt es all die Szenen in Hotelzimmern | |
| und Konferenzräumen, die einen zunächst an "Dont Look Back" denken lassen. | |
| Aber jenseits davon ist alles sehr komponiert, choreografiert und überhaupt | |
| nicht realistisch. | |
| Sie sagen, dass zu jeder Dylan-Figur ein charakteristischer Stil gehört. | |
| Können Sie das ausführen? | |
| Zum Beispiel die Geschichte rund um Robbie, mit Heath Ledger und Charlotte | |
| Gainsbourg: Die bezieht sich auf Godard-Filme aus den frühen Sechzigern. | |
| Diese Filme sind so schön wie Dylans Liebeslieder, aber es schwingt in | |
| beiden eine gewisse Doppelmoral mit, nämlich dort, wo es um die Darstellung | |
| von Frauen geht. Ich wollte das kritisieren, zumal sich Robbie ja | |
| irgendwann sehr sexistisch aufführt. | |
| Und was ist mit Billy, diesem rätselhaften Westernhelden, den Richard Gere | |
| spielt? | |
| Da dienten Filme als Bezugspunkt, die ich Hippie-Western nennen möchte. | |
| Filme aus den späten Sechzigern und frühen Siebzigern, die den Western mit | |
| den Augen der Gegenkultur sahen und neu erfanden, also "Butch Cassidy and | |
| the Sundance Kid", "McCabe & Mrs. Miller" und schließlich "Pat Garrett & | |
| Billy the Kid". All diese Filme hatten von der Gegenkultur inspirierte | |
| Helden beziehungsweise Antihelden, und in allen besorgte ein populärer | |
| Sänger den Soundtrack - Burt Bacharach bei "Butch Cassidy", Leonard Cohen | |
| bei "McCabe" und natürlich Bob Dylan bei "Pat Garrett". | |
| In der Billy-Episode, aber auch dort, wo Ben Whishaw als Arthur Rimbaud | |
| auftaucht, verarbeiten Sie Dylans Vorstellungswelt, seine Visionen, seine | |
| Fantasien, und zwar gleichberechtigt zu dem, was Dylan wirklich erlebt hat. | |
| Mich interessieren die Schnittstellen zwischen dem wirklichen Leben und der | |
| schöpferischen Arbeit. Klar gibt es Sequenzen im Film, die dem, was wir | |
| unter wirklichem Leben verstehen, ähneln. Die Billy-Geschichte beruht sogar | |
| auf der ganz konkreten Tatsache, dass sich Dylan 1967 von seinem Ruhm | |
| zurückzog, um sich in Woodstock in einer ländlichen Existenz einzurichten. | |
| Dort gründete er eine Familie, und im Keller seines Hauses nahm er diese | |
| geheimnisvollen Lieder auf, die dem Geist früher amerikanischer Roots-Musik | |
| verpflichten sind, außerdem einer Art von biblischem Minimalismus und dem | |
| Country von Nashville. Er lehnte die moderne Welt zu diesem Zeitpunkt total | |
| ab. Die große Ironie daran ist, dass gleich nebenan, auf der anderen Seite | |
| des Hügels, das Woodstock-Festival stattfand, in dem die Gegenkultur | |
| weiterlebte und dessen abwesender Führer er war. | |
| Einmal sieht man Richard Gere zu Pferde, die Hügel von Woodstock, die | |
| schöne Landschaft, nach dem Schnitt dann Explosionen. Das ist Material aus | |
| Vietnam, nicht wahr? | |
| Ja. | |
| Der Montage kommt ja bei all den Handlungssträngen und dem Wechsel von | |
| Imaginärem und Wirklichem eine große Rolle zu. Nun sind Sie nicht der | |
| Schnittmeister, sondern Jay Rabinowitz. Können Sie Ihre Überlegungen zur | |
| Montage trotzdem erläutern? | |
| Ich glaube, ich bin der Schnittmeister, oder zumindest einer der | |
| Schnittmeister. Als Heath Ledger das Skript las, sagte er: "Das Skript ist | |
| schon geschnitten." Und er hatte recht. Die einzelnen Stränge sind auf der | |
| Drehbuchseite noch mal viel zerstückelter als im Film, man kanns kaum | |
| lesen. Und so etwas wie die Gegenüberstellung der Woodstock-Hügel mit | |
| Vietnam - das war schon im Drehbuch so. | |
| Wie ist es denn, wenn Sie von einem Handlungsstrang zum nächsten schneiden? | |
| Manche Übergänge folgen einer kausalen Logik, etwa wenn Mrs. Arvin zu Woody | |
| sagt: "Sing über deine eigene Zeit, mein Kind", und wir von dort auf Jack | |
| schneiden, der ja die Stimme der Protestbewegung der 60er-Jahre war - ein | |
| Ursache-Wirkung-Übergang. Dann wieder gibt es Parallelsetzungen, vor allem | |
| bei Billy und Robbie gegen Ende des Filmes. Wenn Robbie nach Hause, zu | |
| Claire zurückkehrt, dann verläuft das parallel dazu, wie Billy den Hügel | |
| herunterreitet und damit seine Isolation aufgibt. Es gibt eine Leerstelle - | |
| Teile von Billys Vergangenheit werden nicht explizit, sondern über die | |
| Geschichte von Robbie und Claire erzählt. | |
| In einem Interview mit dem "Playboy" hat Dylan 1966 gesagt: "Es ist so | |
| ermüdend, dass so viele Leute meinen, sie verstehen dich, wenn du dich | |
| selbst nicht verstehst." Ihr Film will Dylan nicht verstehen. Gibt es | |
| trotzdem so etwas wie eine übergeordnete Struktur, etwas, was all die | |
| Facetten zusammenhält, ohne eine Festschreibung zu unternehmen? | |
| Was den Film zusammenhält, ist die Musik. Aber das ist nur eine einfache | |
| Antwort, schließlich kann Musik alles Mögliche zusammenhalten. Es gibt da | |
| etwas, das Gewicht des Lebens, das allmählich auf dem Film zu lasten | |
| beginnt. Die erste Hälfte ist ein freies, überschwängliches | |
| Experimentieren. Klar, es gibt die ernsten, politischen Bewegungen und die | |
| gewichtigen moralische Fragestellungen, aber so schnell wie sie auftauchen, | |
| so schnell sind sie vergessen. Ab einem gewissen Punkt dann fällt auf das | |
| Spielerische ein Schatten - ungefähr dann, wenn die Ehe von Robbie und | |
| Claire in die Krise gerät. Die Energie und die Experimente zeitigen düstere | |
| Nebeneffekte, die auf die Figuren, aber auch insgesamt auf die Gegenkultur | |
| zurückwirken. | |
| Als ich das "Playboy"-Interview las und Pennebakers Film sah, hatte ich den | |
| Eindruck, dass es ein riesiges Begehren gibt, Dylan zu labeln. Ihr | |
| vorangegangener Film, "Far from Heaven", befasste sich mit Leuten, die | |
| daran zugrunde gehen, dass sie sich labeln lassen. Ist das zentral für Sie, | |
| dieses Bedürfnis, sich freizumachen von Labeln und Zuschreibungen? | |
| Ja. Wenn es in meinen Filmen ein übergeordnetes Thema gibt, dann dies: das | |
| Infragestellen von Identität. Identität ist eine restriktive Kategorie. | |
| Unsere ganze Kultur, unser ganzes soziales System erzählen uns, dass | |
| Identität stabil zu sein habe, dass wir uns selbst definieren müssen, denn | |
| nur so können wir von der Gesellschaft erkannt werden, und nur so können | |
| wir nützlich sein. Aber es fühlt sich nicht richtig an, und außerdem gibt | |
| es eine Menge Dinge, die diese Stabilität bedrohen. Leute glauben, sie | |
| hätten versagt, sobald sie aus einer Zuschreibung ausbrechen. Bob Dylan ist | |
| ein großartiges Gegenbeispiel: Er lässt sich einfach nicht festlegen. Darin | |
| liegt eine Vision von Freiheit. Freiheit bedeutet, dass man nicht man | |
| selbst sein, sich nicht definieren, nicht konsistent sein muss. Wir können | |
| das nicht alle ständig so handhaben, aber wenn jemand wie Dylan, auf den | |
| sich so viele Augen richten, es kann, dann gibt das Hoffnung. | |
| INTERVIEW: CRISTINA NORD | |
| "Im not there". Regie: Todd Haynes. Mit Cate Blanchett, Richard Gere u. a. | |
| USA 2007, 135 Min., in Berlin schon im Kino, bundesweiter Start: 28. 2. | |
| 20 Feb 2008 | |
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