| # taz.de -- Rechtsextreme im Dresden-„Tatort“: Wenn Rechte als Helden auftr… | |
| > In einem „Tatort“ tauchen rechtsextreme Statisten auf. Als Journalisten | |
| > über die Szene stolpern, nimmt der MDR die Folge zur Nachbearbeitung | |
| > offline. | |
| Bild: Bereits 1938 haben sich Statisten für eine Rolle im Dresden-„Tatort“… | |
| Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) ist ein Sender, der oft aus der Zeit | |
| gefallen scheint. Nirgendwo im Öffentlich-Rechtlichen ist die DDR so | |
| lebendig, wird dem verklärenden Bild von „so schön war die Zeit“ so viel | |
| Atem eingehaucht. | |
| Gleichzeitig gibt es keinen anderen Sender, in dessen Sendegebiet | |
| Rechtsradikale so alltäglich sind wie in den vom MDR zu bespielenden | |
| Bundesländern Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. | |
| Die Krimireihe „Tatort“ ist für den Senderverbund der ARD eines der | |
| wichtigsten Formate. Ihm fällt die Aufgabe zu, gesellschaftlich relevante | |
| Themen aufzufangen und abzubilden. Der MDR produziert vier „Tatorte“ im | |
| Jahr und mit seinem neuen ErmittlerInnentrio, dargestellt von Alwara Höfels | |
| und Karin Hanczewski sowie Martin Brambach, zeigt er aktuell eines der | |
| interessantesten Polizeiteams der „Tatort“-Familie. | |
| Jetzt sah es so aus, als hätte die Normalität, mit der die Rechten an | |
| vielen Orten das Denken und Handeln beherrschen, Einzug in den Dresdner | |
| „Tatort“ gefunden. Die Folge „Auge um Auge“ (Sendetermin 12. November) | |
| beginnt damit, dass der Rollstuhlfahrer Harry Böhlert in der Absicht sich | |
| umzubringen, eine stark abschüssige Straße herunterrollt. Als ein Auto | |
| heranbraust, springen fünf Männer herbei und schieben ihn zur Seite. | |
| Allesamt tragen sie Symbole der rechten Szene: die Wirmer-Flagge als | |
| Aufnäher auf Jacken, „Wir sind das Volk“-Badges, ein T-Shirt mit dem | |
| Aufdruck „Deutsches Volk – Verkohlt! Geschrödert! Ausgemerkelt!“, zu | |
| beziehen im einschlägigen Versandhandel. Die Szene endet, als Böhlerts | |
| Ehefrau die Straße erreicht und ihren Mann mit den Worten aus dem Bild | |
| schiebt: „Danke, dass ihr ihn gerettet habt!“ | |
| ## Als Retter in Szene gesetzt | |
| Denkt man zu diesem Zeitpunkt noch, der Aspekt der Rechten habe für die | |
| weitere Handlung Bewandtnis, stellt man am Ende fest: Nein, die sind nicht | |
| wieder aufgetaucht. Die Figur des Rechtsradikalen ist normaler Bestandteil | |
| eines „Tatorts“ und damit von Alltagsbeschreibungen. Rechtsradikale sind | |
| Statisten wie Kinder oder alte Damen. Und mehr noch: Sie werden als Retter | |
| in Szene gesetzt. Als die guten Jungs von nebenan, die zur Stelle sind, | |
| damit die Welt in den Fugen bleibt. | |
| Nun ist diese Szene ein Missgeschick. Der MDR hat die Folge aus dem | |
| Online-Vorführraum des Ersten genommen, über den JournalistInnen die | |
| ARD-Produktionen vorab sehen können, und wird sie nachbearbeiten. Embleme | |
| und Sprüche werden digital so verändert, dass die Personen sich keiner | |
| politischen Gruppierung zuordnen lassen. | |
| Da leicht vorstellbar ist, was im Internet los wäre, wenn die Symbole der | |
| Rechten ohne dramaturgische Bedeutung um 20.18 Uhr über den Bildschirm | |
| flimmerten und was das an Verschwörungstheorien heraufbeschworen hätte, | |
| dass dies ausgerechnet in einem „Tatort“ des MDR der Fall ist, der seinen | |
| Schauplatz in der Pegida-Heimstadt Dresden hat, kann man als | |
| demokratieorientierte Bürgerin nur froh sein, dass der Umstand korrigiert | |
| wird. Und trotzdem bleibt die Frage: Wie konnte das durchrutschen? | |
| ## Ohne Ein- und Zuordnung | |
| Passieren konnte es ganz einfach: Das Drehbuch von Ralf Husmann und Peter | |
| Probst sieht eine Szene vor, in der einer der Rechten Harry Böhlert die | |
| Hand auf die Schulter legt und fragt: „Mensch, was’n los?“ Böhlert sieht | |
| die Propaganda und sagt: „Ich dachte, wenn ihr jetzt das Volk seid, dann | |
| hau ich ab …“ Im Schnitt entpuppte sich der Einstieg als zu lang, man | |
| raffte ihn. Mit dem Ergebnis, dass die Rechten ohne Ein- und Zuordnung | |
| übrig blieben. | |
| Was niemandem auffiel. Nicht dem verantwortlichen Redakteur, nicht der | |
| Regisseurin Franziska Meletzky, deren Honecker-Persiflage „Vorwärts immer!“ | |
| gerade in den Kinos läuft. Nicht der verantwortlichen Producerin von | |
| Wiedemann + Berg Television, nicht der Fernsehfilmchefin des MDR, Jana | |
| Brandt, die für die Qualität der fiktionalen Produktionen des Senders | |
| verantwortlich ist, und die beide nicht persönlich Stellung nehmen möchten. | |
| Der MDR versichert glaubhaft, froh zu sein, dass der Umstand vor der | |
| Ausstrahlung bemerkt wurde. Für unsereins, die wir über die Szene stolpern | |
| und denken, wir sehen nicht recht, zumal in Dresden, stellt sich | |
| Überraschung ein. Darüber, dass Das Erste das, was von den einzelnen | |
| Sendern kommt, in der Regel ungeprüft unter seinem Label über den Äther | |
| schickt. Aber auch darüber, dass bei einem so sensiblen Thema wie dem | |
| Umgang mit Rechten und deren Darstellung weder der verantwortliche | |
| MDR-Redakteur, noch die Produzentin von Wiedemann + Berg, noch die | |
| Regisseurin gezielt gucken, ob die Operation des Neuschnitts geglückt ist. | |
| Beim Thema Rechte anzunehmen, es würde schon gut gehen, ist eigentlich noch | |
| nie gut gegangen. | |
| 25 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Silke Burmester | |
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