# taz.de -- Raab-Nachfolger über Entertainment: „Man frisst da schon Scheiß… | |
> TV-Comedian Ingmar Stadelmann übernimmt auf ProSieben den Sendeplatz von | |
> Stefan Raab. Angefangen hat er auf Kleinkunstbühnen. | |
Bild: Macht jetzt also spätabends Fernsehen: Ingmar Stadelmann | |
taz: Herr Stadelmann, heißen Sie tatsächlich Ingmar Horst Heinz? | |
Ingmar Stadelmann: Ich heiße tatsächlich so, ja. | |
Und wer nennt Sie so? | |
Mein Vater, früher, wenn er sauer war. | |
Ihr Vater ist CDU-Politiker, war in Sachsen-Anhalt als Minister in zwei | |
Landeskabinetten. Ist der Gang auf die Showbühne als Comedian die | |
größtmögliche Emanzipation? | |
Ach, die größte Emanzipation wäre gewesen, wenn ich in die SPD gegangen | |
wäre. Außerdem hatte ich als 16-Jähriger ja schon mit Bühnensachen | |
angefangen, bevor mein Vater in die Politik ging. Es gab nie den großen | |
Clash zwischen dem CDU-Vater und dem aufmüpfigen Sohn. So ein Verhältnis | |
hatten wir nie. | |
Aber weiter als die sachsen-anhaltische CDU-Basis und der Privat-TV-Betrieb | |
können Welten nicht auseinanderliegen. | |
So verkürzt stimmt das. Mit Salzwedel war ich mit 18 Jahren durch. Dann bin | |
ich nach Berlin gezogen – obwohl ich eigentlich nach Köln wollte. Aber in | |
Berlin kann man ja auch studieren und es gibt auch ein paar schöne | |
Kleinkunstbühnen wie die Scheinbar. | |
Ist die Kleinkunstbühne die notwendige Schule für Comedians? | |
Also man frisst da schon Scheiße. In der Scheinbar sitzen in einem | |
60-Quadratmeter-Raum 50 Leute, die 9 Euro Eintritt gezahlt haben, um ihre | |
ganze Ablehnung gegenüber Comedy zur Schau zu stellen. Wenn du da einen | |
Lacher hast, zumindest im Ansatz, dann weißt du, der Witz ist richtig gut. | |
Ich glaube ja auch, dass es umso einfacher wird, umso größer das Publikum | |
ist. Es ist nicht schwer, 1.000 Leute zum Lachen zu bringen. Die | |
Herausforderung ist, zehn Leute zum Lachen zu bringen. | |
Aber Sie wollen doch auch vor 1.000 Leuten auftreten? Die eine Kandidatin | |
in Ihrer Show fragen Sie: „Kennst du mich?“ Und sie sagt: „Nö.“ Sie h�… | |
es doch lieber gehabt, dass sie „Ja“ sagt. Wie wird man denn berühmt – o… | |
die Fresse für alle und alles zu sein? | |
Mir ist es schon wichtig, dass die richtigen Leute kommen. Möglichst | |
schnell möglichst berühmt zu werden ist nicht der Plan. Wer sich meine | |
Facebookseite anschaut, wird schnell sehen, wo ich stehe – und wer damit | |
nichts anfangen kann, kann ja zu Mario Barth gehen. Alles hat seine | |
Berechtigung. Ich finde nur, eine gewisse Haltung sollte man schon haben. | |
In Deutschland ist Stand-up-Comedy – ganz anders als in den USA – meistens | |
apolitisch. | |
Und warum ist das so? Warum werden Politisches und Humor hier so | |
voneinander getrennt? | |
Weil die meisten Stand-up-Comedians sehr reduzierte Figuren sind: Mario | |
Barth? Berliner, Frauen. Bülent Ceylan? Lange Haare, Türke, Mannheim. | |
Cindy? Berlinerin, dick, Jogginganzug. Das führt dazu, dass sich das | |
Publikum jederzeit sicher ist, was kommt: Da kommt die dicke Frau, macht | |
einen Witz und man weiß, das ist jetzt lustig, da darf ich lachen, denn die | |
sieht ja schon lustig aus. Da muss man nicht mehr selber denken. Wenn ich | |
auf der Bühne sage, dass man Hitlers „Mein Kampf“ bei Amazon bestellen und | |
anschließend mit gelben Sternen bewerten kann, dann gibt es Leute im Raum, | |
die nicht wissen … | |
… was Amazon ist? | |
Das auch. Aber in erster Linie: Darf ich darüber lachen? Und ein | |
verunsichertes Publikum ist schlecht, weil es nicht lacht. Also muss man so | |
was nachschieben wie: „Immer dran denken: Comedy ist ein Kann-Angebot, man | |
muss nicht lachen.“ Serdar Somuncu macht das ziemlich perfekt: Der haut dir | |
auf die Fresse, und kurz darauf streichelt er dir über den Kopf und erklärt | |
dir, warum er das gemacht hat. Das ist immer noch nötig hier. | |
Das Konzept von „Mission Wahnsinn“, Kohle zu bekommen für Dinge, die man | |
nicht machen will, ist nicht unfassbar innovativ. So funktioniert das | |
Privatfernsehen seit mehr als 20 Jahren. Was ist das Neue? | |
Also im Prinzip verschmelzen da verschiedene Showideen: Versteckte Kamera, | |
Spielshow, Geld. Und daraus, finde ich, entwickelt sich eine eigene | |
Dynamik. Außerdem ist man immer vor Ort auf wechselnden Locations. | |
Aber Lippen aufspritzen lassen, Komplettenthaarung, wiedergekäutes Brot | |
essen – und dafür gibt es im Maximalfall 5.000 Euro. Ich möchte die Summe | |
nicht kleinreden, aber hatten Sie nicht zwischendurch auch mal das Gefühl, | |
dass man das nicht dafür machen sollte? | |
Das Geld kann zumindest nicht die einzige Motivation gewesen sein. Die | |
Leute ziehen das durch, weil sie es sich – glaube ich – beweisen wollen. | |
Aber bekommen Sie nicht eher Angst, was Leute alles für ein bisschen Geld | |
tun? | |
Gehen Sie mal auf YouTube. Da machen Menschen die gleichen Dinge – ohne | |
dafür Geld zu bekommen. | |
Muss man krasser werden, um noch mithalten zu können? | |
Das mag zwar komisch klingen, aber natürlich stumpfen Menschen ab. Sie | |
bekommen im Internet das Gleiche zu sehen wie im Fernsehen, nur krasser und | |
jederzeit. | |
Und was bedeutet das für „Mission Wahnsinn“? | |
Dass das eine Unterhaltungsshow ist, die man nicht zu ernst nehmen sollte | |
und bei der man das Gesehene nicht nachmachen sollte. | |
19 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
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