# taz.de -- Porträt Thilo Sarrazin: Der Tabubrecher | |
> Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin hat mit seinem Interview endgültig die | |
> Grenze zwischen Provokation und Hetze überschritten. | |
Bild: Schockierende Äußerungen kommen von Thilo Sarrazin. | |
Was unterscheidet einen Berliner Finanzsenator von einem Vorstandsmitglied | |
bei der Bundesbank? Als Finanzsenator durfte Thilo Sarrazin (SPD) über | |
Jahre folgenlos gegen die Verlierer der Gesellschaft ätzen - als | |
Bundesbankvorstand droht ihm nun das Aus. | |
Es gibt aber einen zweiten Unterschied. Während seiner Zeit im Berliner | |
Senat hatte der 64-Jährige vor allem Hartz-IV-Empfänger im Visier, jene | |
Gruppe, die im Lande weitgehend ohne Lobby ist. Im Interview für Lettre | |
International hat er sich nun Deutschlands Migranten vorgeknöpft. Von der | |
"Eroberung Deutschlands" durch die Geburtenrate ist da die Rede, von der | |
Produktion von "Kopftuchmädchen", von der Ablehnung des Deutschen Staats | |
durch 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung | |
in Berlin. | |
Die Migrantenverbände laufen Sturm. Zu Recht. Gut möglich, dass Sarrazin | |
seine Äußerungen einmal mehr als unkonventionellen Anstoß zur Debatte | |
verstanden hat. "Berlin auf der Couch" lautete der Titel des Lettre-Hefts, | |
das der Chefredakteur als Aufruf verstanden wissen will, unangenehme | |
Wahrheiten zu formulieren. | |
Doch Sarrazin ging es schon als Berliner Senator nicht nur um den | |
Tabubruch, sondern um die Botschaft an den Stammtisch. Aber da gibt es | |
einen Unterschied. Konnte sich Sarrazin, der Finanzsenator, bei seinen | |
Tiraden gegen "übelriechende Beamte" und übergewichtige Hartz-IV-Empfänger | |
der klammheimlichen Freude der um Abgrenzung nach unten bemühten | |
Mittelschicht sicher sein, kommt der Beifall für den Bankvorstand nun von | |
der NPD. | |
Sarrazin hat endgültig die Grenze zwischen Provokation und Hetze | |
überschritten. Wenn er nun aus der Partei ausgeschlossen würde, wäre das in | |
doppelter Hinsicht ein ironisches Statement zu seiner Biografie. Einmal, | |
weil der studierte Volkswirt der Sozialdemokratie viel zu verdanken hat. | |
Kaum in die SPD eingetreten, heuerte er 1975 im SPD-geführten | |
Finanzministerium an. | |
Zum Zweiten wäre das Ende seiner Karriere ein Beispiel dafür, dass nicht | |
nur ein Bauarbeiter als Großmaul den Job verlieren kann, sondern auch ein | |
Manager. Und das gleich zweimal. 2001 flog Sarrazin aus dem | |
Bahn-AG-Vorstand. Grund: unüberbrückbarer Differenzen mit Hartmut Mehdorn. | |
4 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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