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# taz.de -- Neuinszenierung von Janaceks „Jenufa“: Kein Dorf nirgends
> Christof Loy hat an der Deutschen Oper in Berlin „Jenufa“ von Leos
> Janacek neu inszeniert – als abstrakte, universale Tragödie, ohne jede
> Dekonstruktion.
Bild: Schlichte Konzentration im abstrakten Raum: „Jenufa“.
Ein weißer Raum, sehr hell ausgeleuchtet, ein Tisch und ein Stuhl. Eine
schwarz gekleidete Frau kommt durch eine Tür in der Rückwand, schließt sie
zu, setzt sich. Danach geschieht lange Zeit gar nichts, bis - endlich - im
Orchester ein Xylophon leise zu klappern beginnt: So minimalistisch und
abstrakt, meilenweit entfernt von dem Realismus des mährischen Dorflebens,
das ihm so sehr am Herzen lag, hatte sich Leos Janacek den Anfang seiner
ersten erfolgreichen Oper "Jenufa" gewiss nicht vorgestellt.
1904 ist sie in Brünn uraufgeführt worden. Davor hatte hatte er jahrelang
daran gearbeitet, mit langen Unterbrechungen, bis sie endlich seinen in
dieser Zeit heranreifenden Vorstellungen einer völlig neuen, und bis heute
originellen Musiksprache entsprach: Rhytmisch unregelmäßige, der
natürlichen Umgangssprache abgelauschte Melodien, die sich auf harmonisch
robusten, kraftvoll instrumentierten Orchestersätzen völlig frei entfalten
können.
Erst nach dem zweiten Weltkrieg ist Janaceks Musik in ihrer wahren
Bedeutung anerkannt worden, in einer Zeit also, in der das nationalistisch
eingefärbte, ästhetische Programm des (vornehmlich literarischen) Realismus
ihrer Entsehungszeit jede Glaubwürdigkeit verloren hatte. Völlig zu Recht
kümmert sich Christof Loy in der Deutschen Oper überhaupt nicht um das
mährische Dorf.
## Weiß und kahl
Die Bühne, die ihm Dirk Becker gebaut hat, bleibt weiß und kahl, nur die
Rückwand öffnet sich manchmal, um den Blick freizugeben auf ein Kornfeld.
Telegrafenmasten stehen darin: wir sind sehr weit weg von jeder Stadt,
einsam und eingeschlossen in eine sehr enge Welt, in der die Personen nicht
anders können als grausam aufeinander zu stoßen. Der Stoff ist reif für die
Bild-Zeitung: Eine nach zwei kaputten Ehen verbitterte Frau bringt das Kind
ihrer Stieftochter um, damit die den (guten) Halbbruder des (bösen)
Erzeugers heiraten kann. Natürlich fliegt die Sache auf, just als die
gewaltsam arrangierte Hochzeit gefeiert werden soll.
Erstaunlicherweise hatte die Autorin von Janaceks Textvorlage es fertig
gebracht, ihrem Schauerstück ein christliches Happy End zu verpassen. Gott
verzeiht allen, und Jenufa, die unglückliche Mutter des toten Kindes
entdeckt ihre wahre Liebe, die nun "gottgefällig" sei, anders als der Sex
mit dem Dorfhallodri, der inzwischen der Tochter des Bürgermeisters
nachstellt. Ohne jede Dekonstruktion, allein durch die schlichte
Konzentration auf die handelnden Personen im abstrakten Raum gelingt es
Loy, aus dieser wüsten Kolportage eine Tragöde von beinahe antikem Ausmaß
zu erzeugen. Am stärksten im zweiten Akt, der ganz der Stiefmutter gehört,
die ausgerechnet den Beruf der Küsterin in der Dorfkirche ausübt. Es
Jennifer Larmore, die Frau in Schwarz, die von Anfang an die Szene betreten
hat. Jetzt wächst sie zur furchtbaren Überlebensgröße auf, ringend mit sich
in der festen Überzeugung, morden zu müssen, um dem Unheil dieser Welt zu
trotzen. Auch Michaela Kaune in der Rolle der Jenufa, der ahnungslosen
Gegenspielerin, gewinnt in dieser Verdichtung an Präsenz und kann die
stimmlichen Probleme überwinden, die sie vor allem in den tiefen Lagen im
ersten Akt scheitern ließen.
## Abstrakte Bühne
Die Reduktion der Szene verlangt insgesamt schauspielerische Leistungen
auch von den männlichen Solisten, denen sie nicht immer ganz gerecht werden
können. Aber das stört wenig, denn es ist nicht so sehr das Drama, sondern
vor allem Janaceks Musik, die davon profitiert. Die abstrakte Bühne schafft
den Raum, in dem sich die vielfältigen und immer überraschend expressiven,
melodischen Moleküle unbehindert ausbreiten können. Fast nie fügen sie sich
zu großen Bögen oder gar Arien zusammen, aber umso beweglicher treten sie
mit dem Orchester in Dialog, das sich davon mitreißen lässt. Die schlampige
Routine so mancher der jüngsten Produktionen unter Donald Runnicles ist
verschwunden und hat einer Spielfreude Platz gemacht, in der die rauen
Farben und komplexen Rhytmen der Partitur wundervoll zum Klingen kommen.
Sogar für den eigentlich unmöglichen Schluss hat Loy eine Lösung gefunden:
Die weiße Rückwand verschwindet, Jenufa nimmt den angeblich guten der
beiden Halbbrüder zur Hand - er hatte ihr im ersten Akt aus Eifersucht das
Gesicht zerschnitten. Versöhnt schreiten sie in eine rabenschwarze, leere
Nacht hinein. Es ist die Nacht, die Janacek am Ende seines Leben mit den
Gespenstern füllen wird, die er in Dostojewskis Reportage aus dem
sibirischen Straflager gefunden und in seiner letzten Oper "Aus einem
Totenhaus" zur Apokalypse der menschlichen Grausamkeit verdichtet hat.
Doch schon das musikalische Ende der "Jenufa" weißt über sich selbst
hinaus. Aus großer Höhe leitet ein harmoniefernes Motiv der Geigen zunächst
in einen wahrhaft heilig leuchtenden Schlussakkord hinein. Aber plötzlich
beginnen die Posaunen ständig wiederholt ein grausam quietschendes Motiv in
die Gloriole zu schneiden, das penetrant einen Ton zu hoch endet. Und dabei
bleibt es, bis der Vorhang fällt. Kein christliches Rührstück, sondern eine
universale, menschliche Tragödie geht damit zu Ende - oder vielleicht auch
nicht, weil sie so wenig auflösbar ist wie dieser zerstörte Schlussakkord.
6 Mar 2012
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
## TAGS
Oper
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