# taz.de -- Neues Musical: Rubel, Köpfe, Rollobjekte | |
> Vorhang zu, Königin tot: "Wir sind wieder Musical-Stadt", jubelt der | |
> Bremer Bürgermeister nach der Europa-Premiere von "Marie Antoinette". | |
> Tatsächlich ist das Revolutionswerk aus den Federn von Levay und Kunze | |
> ein gut funktionierendes Poppical. Auch der Plot hat Hand und Fuß. | |
Bild: Kurzes Vergnügen: Marie Antoinette reißt ihren Liebhaber mit. | |
Zwölf Meter roter Teppich sind für Bremen eine ganze Menge. Aber wenn schon | |
mal eine echte Erzherzogin kommt, womöglich eine multiple Urgroßnichte der | |
ebenfalls aus Wien stammenden Marie Antoinette, um die es hier - in | |
Musical-Gestalt - geht, schieben selbst die Bremer ihre | |
anti-aristokratische Grundhaltung beiseite. Zumal noch etliche weitere | |
Menschen mit Guillotine-verdächtigen Genen im Leib angereist sind. Bremen | |
will sein mehr oder weniger brach liegendes Musical-Theater neu beleben. | |
Mit "Marie Antoinette" geht ein Stück an den Start, das vor drei Jahren mit | |
großem Erfolg in Japan uraufgeführt wurde und sicher zu den besseren | |
Vertreter seines Genres zählt. Michael Kunze, Inhaber von 79 Gold- und | |
Platinplatten, hat ein reibungslos funktionierendes Libretto verfasst, sein | |
langjähriger Partner Sylvester Levay entsprechende Klänge - wobei das Wort | |
"reibungslos" freilich auch die Grenzen der Produktion markiert. Denn nach | |
einer Weile kann man sich nicht mehr des Wunsches erwehren, Levay möge mal | |
neues musikalisches Material verwenden, anstatt aus den immer gleichen | |
harmonischen Gebilden Song für Song zu bestreiten. | |
Die dichtesten Momente entstehen folglich nicht, weil einem bei einem | |
großen Song das Herz aufginge: Potenzial zum Hit oder zumindest zur | |
markanten Leit- und Wiedererkennungsmelodie hat keines der Stücke. Dicht | |
wird die Szene dann, wenn die Akteure auf ihre - durchweg vorhandenen - | |
darstellerischen Fähigkeiten setzen und szenische Momente kreieren, die | |
nicht typisch für Musical-Produktionen sind. Dazu gehören insbesondere die | |
Gefängnisszenen mit der im Verlauf der französischen Revolution | |
eingekerkerten Königin. | |
Ein weiterer unerwarteter Effekt entsteht durch die Erkenntnis, dass der | |
reichlich romantisiert wirkende Plot tatsächlich einigermaßen authentisch | |
ist. Gut: Marie Antoinette und ihre Gegenspielerin aus dem Volk, Margrid | |
Arnaud, waren nicht wirklich Schwestern. Aber in der Tat spielte eine der | |
Königin zum Verwechseln ähnlich aussehende Frau eine tragende Rolle in der | |
"Halsband-Affäre", dem damaligen Megaskandal um vermeintlich von der | |
Königin nicht bezahltem Schmuck. Auch der Magier Cagliostro (ein | |
hervorragend agierender Ethan Freeman), der als zeitreisender Erzähler | |
durch die Geschichte führt, ist ebenso eine historische Figur mit | |
handfester Verwicklung in das Schicksal der Königin wie der schwedische | |
Graf und dessen liebestollen Befreiungsversuche. | |
Dächte man nicht auch: Dass der König die gerade entwickelte Guillotine per | |
Abschrägung der Schneide perfektioniert - das ist doch so ein typischer | |
Musical-Schmarren? Ist es auch. Aber immerhin war es der Leibarzt, der der | |
Hinrichtung seines Herrn auf diese Weise unwissentlich den Weg bereitete. | |
Kurz: Auch der Plot hat Hand und Fuß. Dass das Fallbeil dann trotzdem | |
dreimal im dicken Nacken des Monarchen stecken blieb, will man erstens | |
nicht unbedingt wissen, zweitens macht auch das Musical einen Bogen um | |
derart blutige Details. | |
Die erste Konfrontation zwischen Marie Antoinette und Margrid führt zu dem | |
berühmten - der Königin allerdings fälschlich zugeschriebenen - Ausruf: | |
"Ihr habt kein Brot? Dann esst doch Kuchen!" - samt | |
Champagner-Überschüttung. Übrigens eine echt bremische Szene: Es ist noch | |
gar nicht lange her, dass sich hier ein christdemokratischer Wirtschafts- | |
und Kultursenator aus dem Amt katapultierte, indem er einem Obdachlosen | |
Sekt über den Kopf goss. | |
Die DarstellerInnen lassen wenige Wünsche offen. Zwar könnte Sabrina | |
Weckerlin - die Margrid Arnaud - ihre Stimme etwas weniger im | |
"Broadway-Sound" baden, der mit seinen gedeckten Vokalen nach großer weiter | |
Musicalwelt klingen soll, aber Roberta Valentina als Marie Antoinette | |
erfreut durch um so klarere Klänge. | |
Insgesamt steht tatsächlich ein tadelloser Staff auf der Bühne. Der | |
Orchestersound allerdings ist von der Art, dass man leicht vergisst, dass | |
live gespielt wird. Aber das liegt nicht an den Bremer Philharmonikern | |
unter Bernd Steixner, sondern am Raum: Im Musicaltheater geht nichts ohne | |
komplette elektronische Klangabnahme. | |
Ohne Porsche übrigens auch nicht. Der Korso zur Premierensause am | |
Goetheplatz, 800 Meter Luftlinie entfernt, ist nicht wirklich hanseatisch, | |
erst recht nicht bremisch, schließlich ist hier Mercedesland, aber | |
Intendant Hans-Joachim Frey muss sich seine Verbündeten eben unter anderem | |
in Stuttgart suchen: Die hiesige Wirtschaft hält sich beim | |
Marie-Antoinette-Sponsoring auffallend zurück. | |
Die bisherigen Musical-Erfahrungen sind ernüchternd: Das 1999 eröffnete | |
Haus, ein früheres Schwimmbad, erlebte mit "Hair" Schiffbruch. Seither wird | |
es von einer stadteigenen Veranstaltungsgesellschaft schlecht und recht mit | |
dem gefüllt, was der Tourneemarkt hergibt. Die Stadt muss noch viele Jahre | |
lang die Umbaukosten abstottern. Insofern bleibt dem Bürgermeister, der | |
sagte: "Wir sind wieder Musicalstadt", nichts übrig als Zweckoptimismus. | |
In konkreten Zahlen: Marie Antoinette muss vier Millionen Euro einspielen, | |
um die Produktionskosten zu decken. Gerechnet auf 100.000 BesucherInnen, | |
die im Schnitt 40 Euro zahlen, bedeutet das eine Mindestauslastung der bis | |
Ende Mai gespielten Produktion von 60 Prozent. | |
1 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
Henning Bleyl | |
## TAGS | |
Fußball und Politik | |
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