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# taz.de -- Nachruf: Der Pionier
> Der senegalesische Filmemacher und Schriftsteller Ousmane Sembène ist im
> Alter von 84 Jahren gestorben.
Bild: Ousmane Sembène (1923-2007)
Im Jahr 2003 präsentierte das Londoner Magazin black filmmaker den Mann mit
der Pfeife im Profil und stellte die Frage "Ousmane Sembène: The Worlds
Greatest Filmmaker?" Eine Frage, die einem weißen europäischen oder
amerikanischen Publikum wohl kaum in den Sinne gekommen wäre, waren doch
die Filme von Ousmane Sembène in vielen Ländern der Erde nicht sehr präsent
gewesen seit "Borom Sarret", seinem Debüt von 1963. Für ein afrikanisches
Publikum mag die Frage entweder rhetorisch klingen oder nach Ideologie.
Tatsächlich dürfte es weltweit kaum einen Filmregisseur geben, dessen
Rezeption so sehr abzuhängen scheint von der Zusammensetzung eines jeweils
nationalen oder kontinentalen Publikums. Es dürfte aber auch nur wenige
Künstler geben, die die unterschiedliche Rezeption so bewusst
herausforderten.
Ende der Siebziger war es vor allem der französische Filmkritiker Serge
Daney, der entscheidend zur Verschiebung der Rezeption beitrug, indem er in
"Ceddo / Outsiders" (1977) etwas sah und beschrieb, was nicht das exotisch
Andere oder Unzugängliche betonte, sondern Sprache in ein neues Verhältnis
setzte. Mit und durch Sembène, dem Marxisten, der die Priester hasste, und
anhand einer Geschichte aus dem 17. Jahrhundert, zu einem Moment, wo sich
die religiöse Macht in die politische putschte und christliche und
islamische Würdenträger im späteren Senegal alles dafür taten, um die
Machtverhältnisse zu ihren Gunsten zu wenden, entdeckte Daney hier eine
Transformation von Sprache, die die oft beschworene Unterscheidung einer
Kultur der Schrift gegen die des gesprochenen Wortes grundlegend zu fassen
versuchte. "Was uns Sembène vor Augen führt, ist eine afrikanische Form der
Rede, in einem Maße, wie sie dem Schreiben ebenbürtig ist. Because one can
also write with speech."
Der Schriftsteller Sembène hatte Anfang der Sechzigerjahre das Kino
gewählt, um mit Leuten kommunizieren zu können, die das Schreiben nie
gelernt hatten. Mit "Ceddo" war ihm nach neun Filmen eine eigenständige
Sprache gelungen, die nicht mehr den Charakter eines dialektisch
angeordneten Lehrstücks hatte wie die meisten seiner früheren Filme.
"Ceddo" war im Zenit einer produktiven Phase entstanden, und es dauerte
zehn Jahre, bis sich Sembène offiziell mit einem neuen Film zurückmeldete,
"Camp de Thiaroye". Solche Pausen sind nicht unbedingt ungewöhnlich und
wenn der burkinische Regisseur Idrissa Ouédraogo davon spricht, jeder
afrikanische Film sei ein Wunder, weil seine individuelle
Entstehungsgeschichte mit all seinen organisatorischen und finanziellen
Problemen kaum zu fassen sei, verkennt er natürlich, dass hinter jedem
afrikanischen Film - bis heute - Arbeit in herkulischem Ausmaß steckt.
Viele der Filmemacher des Kontinents haben irgendwann aufgegeben, weil die
Produktionsbedingungen zu hart und mitunter auch zu entwürdigend waren.
Ousmane Sembène war Pionier des afrikanischen Kinos und blieb bis zum Ende
sein Zeitgenosse. Aber auch der disziplinierte Arbeiter hatte einen Traum
und der hieß "Samory". Geplant war Afrikas erste Superproduktion, ein
zweiteiliger Film, insgesamt drei Stunden lang, über den Mandingo-Chef, der
sich den französischen wie englischen Armeen widersetzte und Westafrika
einte. Samory Touré gilt als Vorfahr des damaligen guineischen Präsidenten
Sékou Touré. In Interviews hatte sich Ousmane Sembène vielfach auf sein
Lieblingsprojekt bezogen, und das Kulturmagazin Bingo brachte Mitte der
Achtzigerjahre einen zahlreich bebilderten und ausführlichen Artikel über
die bevorstehenden Dreharbeiten. Ein Jahr später ist in Cannes nicht
"Samory", sondern "Camp de Thiaroye" zu sehen.
Eine Erklärung für dieses Scheitern hat Sembène stets verweigert. "Samory"
wird zum Tabu und auch von Superhelden wollte er nichts mehr wissen.
Stattdessen eröffnete er mit seinen letzten Filmen "Faat Kiné" und
"Moolaadé" eine neue Ebene: "Helden des Alltags". Weg von den großen
Erzählungen über Macht, Geld und Geltungssucht, hin zu den Geschichten der
"kleinen Leute". Für den alten Ousmane Sembène waren die Helden die Frauen,
diejenigen, die den Kontinent am Leben erhalten. Verabschiedet hat er sich
mit einem Film, "Moolaadé", der nochmal alles zusammenbringt, die Freiheit
des Kinos und die sozialen Kämpfe, Farbe, Wiederholung und die
mannigfaltige Schattierung der Rede. All das beginnt in der Mitte einer
Erzählung und hat weder einen Anfang noch ein Ende. Ousmane Sembène ist am
9. Juni in Dakar gestorben, er wurde 84 Jahre alt.
12 Jun 2007
## AUTOREN
Annett Busch
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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