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# taz.de -- Nachruf auf einen Utopisten: Freie Luftschlösser
> Der Stuttgarter Architekt Frei Otto brachte der Baukunst das Schweben
> bei. Nun ist er gestorben. Posthum erhält er nun den Pritzker-Preis.
Bild: Frei Otto, „Eine Studie zu Schaum“.
Seifenblasen hat er ausführlich studiert. Mit Spinnweben beschäftigte er
sich, mit deren Struktur, deren atemberaubender Statik. Von der Natur
schaute er sich die kühnsten Gebäude für Nachkriegsdeutschland ab.
Gebaut hat Frei Otto nur sehr wenig davon. Die meisten seiner
Konstruktionen sind Utopie geblieben, „Luftschlösser“, wie Otto sie selbst
nannte. Am Montag ist der Visionär mit 89 Jahren in seinem Haus bei
Stuttgart verstorben.
Frei Otto hat einige sehr entscheidende Bauten hinterlassen. Mit einer von
Anfang an konsequenten Formensprache. Nach seinem Studium an der TU Berlin
führte ein Stipendium den gebürtigen Chemnitzer in die USA. Dort lernte er
Eero Saarinen kennen, den finnischen Designer des New Yorker Terminals für
die Fluglinie TWA – ein Flughafengebäude, das in Form eines Raumschiffs bis
heute die Zukunft erwartet – die käferhaften Flügel weit geöffnet.
In Ottos frühen Gebäuden, wie die zwei Kirchen, die er in Bremen baute,
lässt sich bereits diese Extravaganz erkennen, der kosmisch-ausgreifende
Schwung, den er in die vernagelte Nachkriegs-BRD brachte.
## Konstrukteur der Kühnheit
Otto war der Konstrukteur hinter der Kühnheit, er errechnete händisch, was
heute aufwändige Computerprogramme bewältigen.
1958 eröffnete er die Entwicklungsstätte für den Leichtbau, 1968 zog er
nach Stuttgart um, wo er sein Institut an der dortigen Technischen
Hochschule eröffnet, das bis heute Konstrukteure aus aller Welt anzieht.
Zusammen mit Biologen, Anthropologen, Physikern forscht er an der
Übertragung natürlicher Baupläne auf die Technik, im zentralen Fokus steht
dabei für Otto das hängende Dach, von dem er selbst in seiner Doktorarbeit
bemerkt: „Es ist Architektur – ist Haus.“
Grandios unter Beweis gestellt hat Otto dies zweifellos im Zeltdach, das
den Münchner Olympiapark überzieht wie ein gigantisches Spinnen-Netz: die
Spiele 1972 behauste er unter diesem gleichsam tollkühnen wie intimen
Geflecht, das bis heute zurecht als das Gesicht einer demokratischen
Bundesrepublik gilt: Diese transparente Konstruktion will die Welt
hineinschauen lassen, von wo auch immer. Und die Stadt öffnet sich im
wallenden Zeltbett mutig dem Himmel.
## Himmelszelte
Selten hat Architektur das Image Deutschlands so positiv geprägt, dem
Denken gleichzeitig so konsequent Flügel verliehen wie Ottos Himmelszelte.
Otto setzte weitere Meilensteine, nicht nur in Deutschland. Für Pink Floyds
Open Air-Tournee 1977 schuf er dynamische Schirme, grazile Pilzdächer. Sie
beeindruckten amerikanische Nachwuchskollegen nachhaltig. Ottos Spiel mit
dem Himmel, es ist ein janusartiges, ja paradoxes. Immer nach unten
schützend, nach oben sich öffnend: Trichterförmig strömt das Licht ins
Innere.
Seine Mitarbeit am Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 wird erst in einigen Jahren
zu bestaunen sein. Der Funktionsmolloch der heiß umkämpften Tunnelstation
wird Otto ihren vielleicht einzigen architektonischen Impuls zu verdanken
haben: Fensteraugen, die trichterförmig nach oben – wieder gen Himmel –
gerichtet sind.
Viele seiner zahlreichen Modelle kamen nie zur Realisierung, Frei Otto
bewahrte sie in seiner „Rumpelkammer“ seines Hauses im schwäbischen
Warmbronn auf. Er war einer der Architekten, der mehr dachte als baute.
Aber er wurde verstanden. Als zweiter Deutscher überhaupt erhält er nun
posthum den renommierten Pritzker Preis.
11 Mar 2015
## AUTOREN
Tobias Krone
## TAGS
Nachruf
Architektur
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