# taz.de -- Mündungsdelta der Donau: Gegen den Strom | |
> Das Donaudelta gehört mit zu den schönsten Regionen. Von hier aus hat | |
> auch die Besiedlung Mitteleuropas entscheidende Impulse bekommen. | |
Bild: Mit dem Boot unterwegs im Mündungsbereich der Donau | |
Die Donau kommt vom Schwarzwald her und mündet in das Schwarze Meer, lautet | |
ein Sprichwort, das Kindern im Geografieunterricht als Eselsbrücke dienen | |
soll. Nach der russischen Wolga ist sie Europas längster Strom und | |
durchquert oder berührt zehn Länder, so viele wie kein anderer Fluss der | |
Erde. Die meisten Flusskreuzfahrten enden in Budapest, danach beginnt für | |
die meisten Westeuropäer eine Terra beziehungsweise Aqua incognita. | |
Das Donaudelta, eine Kultur- und Naturlandschaft zählt mit zum Schönsten | |
und Wildesten, was der europäische Kontinent zu bieten hat. Nicht nur der | |
Strom ist hier ungezügelt und bietet vom Aussterben bedrohten Vögeln und | |
Fischen noch immer einen Lebensraum, der stromaufwärts längst verschwunden | |
ist. Bedroht ist auch die Kultur einer Vielzahl von Minderheiten, die seit | |
Jahrhunderten an den Rändern, auf Inseln und auf den Hügeln an den Ufern | |
der Donau einen einzigartigen Kosmos bilden. | |
Während im Westen Europas das hohe Lied der Diversität erklingt, haben die | |
Ismen des 20. Jahrhunderts – Kommunismus, Nationalismus und der hier | |
ungezügelt wirkende Neoliberalismus der letzten Jahre – kaum etwas vom | |
einstigen kulturellen Reichtum übrig gelassen. | |
Der Engländer Nick Thorpe ist dem Fluss nicht von seiner mitteleuropäischen | |
Quelle zu seiner Mündung im mäandernden Delta gefolgt, sondern | |
stromaufwärts vom Schwarzen Meer an ihren Ursprung. Dabei zeigt der seit | |
mehr als einem Vierteljahrhundert in Budapest lebende Journalist, dass | |
Europa von Südosten her besiedelt, kultiviert, christianisiert und später | |
auch islamisiert wurde. Perser, Griechen, Römer, Slawen und Osmanen – sie | |
alle folgten dem Fluss stromaufwärts. Das Europa der Vielfalt ist auch ein | |
Geschenk der Donau. Bis heute lassen sich Zeugnisse einer bis zu | |
sechstausend Jahre zurückliegenden Besiedlung finden und damit existierte | |
an den Ufern des Stroms vielleicht die älteste Zivilisation in Europa | |
überhaupt. | |
## Europas lette Leprakolonie | |
Im Donaudelta begegnet Thorpe russischsprechenden Altgläubigen, die vor der | |
Verfolgung im zaristischen Russland ins Labyrinth der Deltainseln flohen. | |
Am Rande der Provinzhauptstadt Tulcea findet sich auch die letzte noch | |
existierende Leprakolonie Europas, deren Bewohner zwar heute gehen können, | |
wohin sie wollen, den wenigen verbliebenen aber ist die Gemeinschaft und | |
die kostenlose medizinische Behandlung mehr wert als die raue Realität des | |
postkommunistischen Rumäniens. | |
Im Südosten Europas konnten viele ethnische und religiöse Minderheiten – | |
trotz oder vielleicht gerade aufgrund der Verfolgung – ihre | |
Eigenständigkeit bewahren. Im ebenfalls kürzlich erschienenen Buch des | |
Schweizers Cyrill Stieger kann man nachlesen, dass die meisten der mehr als | |
zweieinhalb Millionen Muslime auf dem Balkan keine Nachfahren osmanischer | |
Türken sind, sondern aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen vor | |
Jahrhunderten zum Islam konvertierte Slawen. Die Religion blieb für sie der | |
Kern ihrer Identität, die sich allen Assimilierungsversuchen widersetzte. | |
Selbst dann, als man ihnen wie im kommunistischen Bulgarien geschehen, | |
bulgarische Namen verordnete, die aus Ibrahim einen Ivan machten. | |
## Die Insel Ada Kaleh | |
Exemplarisch für die Zerstörung der muslimischen Kultur an der Donau steht | |
die im Zuge eines Energieprojekts im kommunistischen Rumänien 1971 | |
geflutete Insel Ada Kaleh an der Grenze zu Jugoslawien. Ihre Bewohner | |
wurden weit weg ins Landesinnere umgesiedelt oder emigrierten in die | |
Türkei. Nicht viel besser ging es den eine romanische Sprache sprechenden | |
Istrorumänen in Kroatien und den Aromunen im mazedonischen Bergland oder | |
den griechisch-katholischen Uskoten in der Nähe von Zagreb. Sie alle wurden | |
zum Spielball der Mächtigen, der Habsburger, der Nationalisten in der | |
Zwischenkriegszeit und der Kommunisten. | |
Die Mazedonier haben die Aromunen nie als Minderheit anerkannt, und die | |
Rumänen, die Sprachunterricht in den Schulen unterstützten, wollten aus | |
ihnen lediglich Rumänen machen. Doch das Aromunische ist eine eigene | |
romanische Sprache, Heute ist die Kultur dieser in entlegenen Dörfern | |
lebenden Minoritäten vom Untergang bedroht. Die Jungen ziehen der Arbeit | |
hinterher in die Städte oder ins westliche Ausland, wo sie kaum eine Chance | |
haben, ihre Kultur zu erhalten. Noch gibt es auf der Welt an die | |
fünftausend Sprachen, mehr als die Hälfte davon wird dieses Jahrhundert | |
nicht überleben. | |
Die Donau ist schlussendlich auch der Fluss der Roma, wofür die jüngste | |
Geschichte der Donaustadt Lom in Bulgarien steht. Die Hälfte ihrer 28.000 | |
Bewohner sind Roma. Die Hälfte der Romakinder aus Lom schaffte es vor | |
Jahren noch auf Hochschulen. Dann kam die Finanz- und Wirtschaftskrise, und | |
anders als andernorts in Europa ist sie geblieben. Heute verdienen sich die | |
Roma Geld mit schwarzgebranntem Rakı, dem Handel mit aus Industrieruinen | |
geborgenem Altmetall – und mit Menschen. | |
24 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Sabine Berking | |
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