| # taz.de -- Montagsinterview mit Holocaust-Überlebender: "Gejubelt haben sie a… | |
| > Margot Friedländer überlebte nur mit Glück die Nazizeit. Dann wanderte | |
| > sie in die USA aus - und kam mehr als 60 Jahre später kam zurück, um der | |
| > Jugend von ihrem Leben zu erzählen. | |
| Bild: Die jüdische Schriftstellerin Margot Friedländer überlebte im Untergru… | |
| taz: Frau Friedlander - oder muss ich Sie jetzt nach Ihrer Einbürgerung | |
| wieder mit Ihrem alten Namen "Friedländer" anreden? | |
| Margot Friedländer: Ja, jetzt, nach etwa 60 Jahren, ist es wieder mit | |
| Umlaut: Friedländer. Meine deutsche Staatsbürgerschaft habe ich nun mit | |
| Umlaut bekommen, also Friedländer. | |
| Okay. Also, Frau Friedländer, was halten Sie von guten alten deutschen | |
| Sprichwörtern? | |
| Welches alte deutsche Sprichwort? | |
| "Einen alten Baum verpflanzt man nicht." | |
| Davon halte ich sehr viel. | |
| Sie selber haben sich nicht daran gehalten. Sie sind in Berlin geboren, | |
| haben als Jüdin den Holocaust zuerst versteckt in Berlin, dann in | |
| Theresienstadt überlebt und sind vor etwa 60 Jahren, nach New York | |
| emigriert. Nun leben Sie wieder in Berlin. | |
| Der Baum ist ja hier gepflanzt worden. Ich bin ja Deutsche, bin hier in | |
| Berlin geboren und aufgewachsen. Die Wurzeln waren am Vertrocknen. Man hat | |
| versucht, sie wieder zu gießen, sodass daraus wieder ein blühender Baum | |
| geworden ist. | |
| Dennoch: Fühlen Sie sich nicht gerade hier, in diesem Seniorenstift am | |
| Kudamm, etwas seltsam? Es sind so viele alte Deutsche um Sie herum. Denken | |
| Sie da nicht manchmal: Mensch, was hat die oder der damals gemacht? | |
| Von den älteren Leuten, also meinem Jahrgang 1921, gibt es nicht mehr so | |
| viele. Und die, die es hier gibt, die waren damals wie ich etwa 20 oder 22 | |
| Jahre alt. Hier in der Seniorenresidenz sind aber vor allem viele, die | |
| jünger sind als ich. Außerdem bin ich nicht hierher zu diesen Leuten | |
| gekommen - ich bin nach Berlin gekommen zu meinen Freunden, die alle jünger | |
| sind. Ich bin sehr vorsichtig, wenn ich mich mit den alten Leuten hier | |
| unterhalte. | |
| Wie äußert sich das? | |
| Ja, die Gedanken und Gefühle sind dann definitiv, was haben die gemacht | |
| damals? Gejubelt haben sie alle. | |
| Wie gehen Sie mit den Gefühlen um? Sprechen Sie das an? | |
| Ich versuche so unpolitisch wie möglich mit diesen Personen zu sprechen. | |
| Ich will mich nicht in irgendwelche Gespräche mit ihnen einlassen, weil ich | |
| hierher gekommen bin, um den jungen Menschen zu sagen, was war - und dass | |
| sie jetzt die Zeitzeugen sind. Denn wir sterben aus. Ich sage den jungen | |
| Leuten, dass ich ihnen meine Hand reiche, aber dass ich von ihnen auch | |
| etwas verlange: Sie sollen dafür sorgen, dass das nie wieder passiert. Das | |
| kann ich nur mit den jungen Menschen machen. Das ist so. | |
| Warum? | |
| Weil das heute mindestens die dritte Generation ist. Die Menschen meiner | |
| Generation, die in dieser Seniorenresidenz wohnen, sind für mich irgendwie | |
| nicht existierend. Bei denen habe ich keine Hoffnung, auch wenn sie mir oft | |
| sagen, sie hätten das und das und das für Juden oder gegen die Nazis | |
| gemacht. Das ist ja nur, um sich freizusprechen. Dass sie plötzlich alle | |
| nicht dafür waren, ist etwas, womit ich immer gerechnet habe, dass sie | |
| versuchen, dies unter den Teppich zu kehren. | |
| Gibt es denn hier vielleicht auch Situationen, wo jemand heute etwa sagt, | |
| ich fand die Nazis damals gut - und ich bereue das? | |
| Das gibt es, und das finde ich viel besser. Ich spreche ja über meine | |
| Geschichte nicht nur in Schulen, sondern auch in Bibliotheken und | |
| Buchläden. Da ist es mir oft vorgekommen, dass die Leute gesagt haben, sie | |
| gehörten dazu - sie schämen sich. Ich weiß es ja, dass es alle waren. Ob | |
| sie nun Mitläufer waren oder sehr aktiv, das will ich mal dahingestellt | |
| sein lassen. Ich bin jedoch noch nie jemandem begegnet, der im Lager | |
| Aufseher war. | |
| Was würden Sie wohl tun? | |
| Das kann ich mir nicht vorstellen. | |
| Andererseits zeigten auch manche Mitglieder der jüdischen Gemeinde wenig | |
| Verständnis für Ihre Rückkehr nach Deutschland, um es vorsichtig zu sagen. | |
| Verstehen Sie das denn? | |
| Nun, ich bin zumindest noch niemandem von der jüdischen Gemeinde begegnet, | |
| der sagte, er könne es nicht verstehen - anders aber verhält es sich mit | |
| Israelis: Die können mich nicht verstehen und sagen das auch. Die meisten | |
| Juden hier kommen aus Migrantenfamilien, etwa aus Russland … | |
| … und viele der heute alteingesessenen jüdischen Familien stammten ja auch | |
| ursprünglich von osteuropäischen Juden ab, die nach dem Krieg in | |
| Deutschland hängen geblieben sind? | |
| Ja, und die kann ich dann natürlich auch fragen: Warum sind Sie hier? Warum | |
| dann nicht ich, nicht wahr? Sie hätten ja auch nach Israel oder Amerika | |
| gehen können. Ich bin hier nicht nur zum Vergnügen, sondern um das, was ich | |
| anscheinend ganz gut kann, zu tun. Ich bin hier im Andenken nicht nur an | |
| meine Eltern und meinen Bruder, sondern auch an die sechs Millionen | |
| Menschen, die ermordet wurden. Wenn wir das nicht tun, die paar, die noch | |
| da sind und die es können - wer soll es für uns tun? Ich habe ein Mission. | |
| Dass Sie zurückgekehrt sind, das tun Sie im Grunde für andere? Für die | |
| Toten? | |
| Ja. Als ich anfing, mit jungen Menschen zu sprechen, war noch keine Rede | |
| davon, dass ich hierher komme. Das war ein Entschluss, der auch darauf | |
| basierte, dass ich recht einsam in Amerika, in New York war, da ich keine | |
| Verwandten habe außer etwas Verwandtschaft vonseiten meines Mannes, die | |
| aber ihr eigenes Leben leben. Sie sind in Amerika geboren, von | |
| Emigranteneltern zwar. Aber auch diese Eltern sind als junge Menschen in | |
| die USA gekommen und sind heute doch recht amerikanisch. Für mich war das | |
| etwas anders. Ich bin zu einer anderen Zeit nach Amerika gekommen, nämlich | |
| nach dem Krieg, 1946. Ich kam, als man uns reinließ, nachdem wir es nicht | |
| mehr brauchten. Für die, die früher emigrierten, hat Amerika ein anderes | |
| Gefühl. Ich sagte mir: Als ich Amerika gebraucht habe, hat es uns nicht | |
| geholfen - jetzt brauche ich es eigentlich nicht mehr. | |
| In Ihrem Buch "Versuch dein Leben zu machen" erzählen Sie von Ihrem | |
| Schicksal mit vielen faszinierenden Geschichten. Eine davon ist die über | |
| Ihre Nase. Sie haben sie während Ihrer Zeit im Untergrund operieren lassen, | |
| damit Ihre Nase nicht mehr so "jüdisch", wie Sie schreiben, aussieht. Haben | |
| Sie sich mit dieser anderen Form Ihrer Nase angefreundet? Ist sie nicht, | |
| wenn Sie in den Spiegel schauen, eine tägliche Erinnerung an diese Zeit? | |
| Wissen Sie, ich lebe mit dieser Nase nun schon so viele Jahre - meine | |
| frühere war gar nicht so anders. Es war mehr so ein Gefühl. Man hat mir | |
| erst in den letzten Jahren gesagt: Weißt du, es war nicht deine Nase, die | |
| dich auffällig machte im Untergrund. Aber vielleicht waren es deine Augen. | |
| Damals hat man nach jeder Möglichkeit geschaut, um zu überleben. Der Mann, | |
| mit dessen Frau und Tochter ich im Untergrund einige Zeit gelebt habe, der | |
| hat das mit der Nase eben arrangiert. Den Namen des Arztes, der die | |
| Operation gemacht hat, kenne ich immer noch nicht. Aber ich lebe eben mit | |
| meinem Gesicht. (lacht) | |
| Es sieht auch sehr gut aus. | |
| Ich weiß nicht. | |
| Ihr Mann ist bereits 1997 in New York gestorben. Sind Sie eigentlich | |
| traurig, dass Sie ihn nicht überzeugen konnten, gemeinsam nach Deutschland | |
| zurückzukehren? | |
| Ich denke oft darüber nach. Manchmal bereue ich es, dass ich ihn nicht dazu | |
| überredet habe. Ich könnte mir eventuell vorstellen, dass seine Aversion - | |
| nein, seine tiefe … | |
| … Abneigung? | |
| … ja, seine tiefe Abneigung gegenüber Deutschland sich vielleicht etwas | |
| geändert hätte, wenn er gesehen hätte, wie Deutschland seine Geschichte | |
| behandelt und was Deutschland da tut. Ich finde ja, dass Deutschland das | |
| einzige Land ist, und natürlich, es war ja auch hier, hier ist ja alles | |
| geschehen - aber es ist das einzige Land, das sich damit auseinandersetzt. | |
| Doch hätten viele andere Länder, die ja auch vieles Schlechte getan haben, | |
| sich ebenso damit auseinandersetzen müssen. Ich habe beispielsweise meinem | |
| Mann gesagt: Du gehst immer in die Schweiz. Die Schweiz aber hat sich nicht | |
| so gut benommen in dieser Zeit. Sie haben Juden, die dorthin fliehen | |
| wollten, zurückgeschickt, und zwar ganz einfach. Aber das war trotzdem | |
| nicht Deutschland für ihn. | |
| Haben Sie manchmal das Gefühl, 60 Jahre im falschen Land gelebt zu haben, | |
| wenn Sie jetzt, in der Spätphase Ihres Lebens, nach Deutschland | |
| zurückkehren? 60 Jahre - eine sehr lange Zeit: zwei Generationen. | |
| Nein, es war richtig, damals wegzugehen. Mit jedem, mit dem ich damals | |
| gesprochen hätte, hätte ich das Gefühl gehabt, die haben meine Mutter und | |
| meinen Bruder umgebracht, der hat uns angespuckt, der hat uns verraten, der | |
| hat uns nichts gegeben - und so weiter. Damals war es unmöglich, | |
| hierzubleiben. Wir hatten gute Möglichkeiten nach dem Krieg in Deutschland. | |
| Vieles ist meinem Mann nach dem Krieg angeboten worden. Mir ist der Gedanke | |
| an eine Rückkehr erst durch das Verstreichen einer gewissen Zeit und das | |
| Kennenlernen von manchen Deutschen möglich geworden. | |
| Das dauert seine Zeit. | |
| Ja, und dazu kommt, dass ich ja ein anderes Gefühl für Deutsche habe als | |
| viele andere, weil mir ja Deutsche geholfen haben im Untergrund, versucht | |
| haben, mich zu retten, zu verstecken, damit ich überlebe. Dass ich am Ende | |
| doch gefasst wurde und nach Theresienstadt kam, ist eine andere Sache. Also | |
| kann ich eigentlich nur sagen: Ich habe die guten Deutschen kennengelernt. | |
| Als ihr Mann 1997 starb, da war Ihr Entschluss, noch Deutschland | |
| zurückzukehren noch weit weg, oder? | |
| Der Entschluss, überhaupt nach Berlin zu gehen, kam durch den Filmemacher | |
| Thomas Halaczinsky, der einen Film über mich gemacht hat. Er sagte, wir | |
| müssen aber einen Teil des Films in Berlin drehen. Aber es gab bei mir da | |
| auch keinen direkten kolossalen Widerstand. | |
| Glauben Sie, Ihr Mann würde verstehen, dass Sie Ihren Lebensmittelpunkt so | |
| radikal nach Berlin verlagert haben? | |
| Ich weiß es nicht. Es ist schwer zu sagen. Ich habe mich oft gefragt: Tue | |
| ich das Richtige? Aber ich muss ja tun, was ich denke, was richtig ist für | |
| mich. Jetzt muss ich mein eigenes Leben leben. Die Entscheidungen muss ich | |
| treffen. | |
| Rührend in Ihrem Buch ist auch Ihr Eingeständnis, dass Sie die Gefühle zu | |
| Ihrem späteren Mann erst haben wachsen lassen müssen, weil Ihre Gefühle in | |
| der Zeit der Verfolgung fast abgestorben waren - und trotzdem ist es eine | |
| große Liebe geworden. | |
| Eine wunderbare Ehe, Liebe ist ja vergänglich, ein Verständnis. Es war sehr | |
| gut, es war sehr schön. | |
| Was sagen Ihre Freunde in den USA zu Ihrer Rückkehr? | |
| Merkwürdigerweise verstehen es einige. | |
| Wie erklären Sie sich das? | |
| Meine Freunde, das ist eine merkwürdige Gruppe. Eine Freundin ist ein Kind | |
| jüdischer Eltern, die von Deutschland nach Israel emigriert sind. Als sie | |
| elf Jahre alt war, kehrte die Familie nach Deutschland zurück, wo sie | |
| aufwuchs, ehe sie etwa mit 20 dann nach New York zog. Sie könnte sich sehr | |
| gut vorstellen, in Deutschland zu leben. Wer es nicht verstehen kann, sind | |
| häufig die Kinder von Emigranten, die schon Anfang des 20. Jahrhunderts in | |
| die USA kamen. | |
| Ihre Freunde haben also oft auch eine Verbindung zu Deutschland. Haben Sie | |
| vielleicht auch deshalb mehr Verständnis für Ihre Rückkehr nach Berlin? | |
| Ja. Und die anderen sagen nichts dazu. | |
| Wenn Sie sich heute Berlin anschauen, ist das ja wohl eher eine fremde | |
| Stadt für Sie, oder? | |
| Wissen Sie, als ich damals in Berlin war, ging ich ja noch in die Schule, | |
| das Leben spielte sich vor allem in unserer sehr großen Verwandtschaft ab. | |
| Und was kannte ich schon von Berlin? Ich bin kaum im Theater gewesen. Als | |
| ich anfing, als ich das alles hätte erleben können, war es für mich ja | |
| schon zu Ende. Also, was kannte ich von Berlin eigentlich? | |
| Insofern ist das, was Sie jetzt entdecken, eine neue Stadt? | |
| Ja, eine neue Stadt. | |
| Und gefällt Ihnen diese Stadt? | |
| Ja, ich liebe sie auch. | |
| Was gefällt Ihnen denn an Berlin? | |
| Es ist gemütlich. | |
| Für eine New-Yorkerin? | |
| Genau. Die hohen Häuser und dieses Unpersönliche in New York, das Kühle, | |
| das Freundlich-Oberflächliche vielleicht, das hat mich nie sehr begeistert. | |
| Aber was kannte ich schon von Amerika? | |
| Es ist Ihnen sehr wichtig, als Zeitzeugen in Schulklassen von Ihrem Leben | |
| zu erzählen. Erleben Sie da auch Situationen, die Sie betrüben? | |
| Nein. Ich habe wirklich, wirklich, unglaublich gute Erfahrungen gemacht. Es | |
| ist sehr, sehr erfreulich. Es ist genau das, was ich mir gewünscht hatte, | |
| warum ich nach Deutschland zurückgekehrt bin und warum ich das tue, was ich | |
| tue. | |
| Sie haben gesagt, dass Sie neben Ihrem Mann in New York beerdigt werden | |
| wollen. Warum ist Ihnen das wichtig? | |
| Gefühlsmäßig. Mein Herz. Wir haben nach sehr schweren Erlebnissen uns ein | |
| Leben aufgebaut und ein wunderbares Leben gelebt. Ich finde, da gehöre ich | |
| hin. Zu ihm. Es hat nichts mit Amerika zu tun. | |
| 28 Jun 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Gessler | |
| Philipp Gessler | |
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