| # taz.de -- Montagsinterview Fotograf Paul Glaser: "Ich war eine Art journalist… | |
| > Als Künstler hat sich Paul Glaser nie gesehen, seine Arbeit ist dem | |
| > Berliner Fotografen seit 35 Jahren vielmehr "Mittel in einem politischen | |
| > Kampf für eine neue linke Gesellschaft". | |
| Bild: In ständiger (politischer) Bewegung und ein genauer Beobachter der Verä… | |
| taz: Herr Glaser, Sie haben gar keine Kamera dabei. | |
| Paul Glaser: Heute bin ich in Zivil. | |
| Sind Sie oft ohne Fotoapparat unterwegs? | |
| Eigentlich nie. Auch in den Ferien habe ich meistens eine dabei. Wenn was | |
| passiert, muss der Urlaub eben mal ein paar Stunden warten. Aber die Zeit | |
| für Fotografen wie mich geht zu Ende. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Früher war Fotografie eine Geheimwissenschaft. Heute kann jeder | |
| fotografieren. Die Digitalisierung bedeutet eine Demokratisierung des | |
| Mediums. Man braucht eigentlich keine Fachleute mehr. Die wirklich | |
| wichtigen Fotos der letzten Jahre waren die Folterbilder aus dem irakischen | |
| Knast Abu Ghraib. Das waren alles Amateurfotos. Der freiberufliche | |
| Fotojournalist und Unternehmer, der seine Themen selbst bestimmt und an | |
| Zeitungen verkauft, stirbt aus. | |
| Was wird aus den Profis? | |
| Viele gehen in die Wirtschaft, arbeiten für einen festen Arbeitgeber und | |
| geben alle Rechte ab. Die großen Agenturen haben Millionen Bildschnipsel | |
| gesammelt, die für alles Mögliche eingesetzt werden können. Mit | |
| Journalismus hat das nichts mehr zu tun. | |
| Sie sind seit 35 Jahren Fotograf. Im Museum Kreuzberg ist jetzt eine | |
| Fotoausstellung von Ihnen zu sehen. Das ist Ihre erste Werkschau? | |
| Ja. Ich wollte nie in diesen Kunstbetrieb. Meine Leitlinie war stets: Was | |
| will ich mit meinen Bildern erreichen? Was will ich zeigen, was will ich | |
| diskreditieren? Fotografie war für mich immer ein politisches Mittel in | |
| einem politischen Kampf. | |
| Kampf wofür? | |
| Für eine neue linke Gesellschaft. | |
| Sie sind politisch organisiert? | |
| Ich bin seit 1976 SPD-Mitglied. Damals gab es keine andere Partei, die | |
| infrage kam. Ich habe mich immer den Linken und Minderheiten zugehörig | |
| gefühlt. | |
| Für welche Medien arbeiten Sie? | |
| Mein fotografisches Unternehmertum hat sich immer dadurch ausgezeichnet, | |
| dass ich viele Arbeitgeber hatte. Tages- und Wochenzeitungen, darunter die | |
| taz und SPD-Zeitungen wie die Berliner Stimme. Bestimmte Sachen hab ich | |
| auch bei Springer untergebracht. Apropos Springer. Bei einem Empfang bei | |
| Springer habe ich Till Meyer … | |
| … ehemals Mitglied der Bewegung 2. Juni … | |
| … zusammen mit dem früheren CDU-Innensenator Heinrich Lummer fotografiert. | |
| Ich glaube, das war ein CDU-Fest. Meyer hatte sich eingeschlichen. Er hat | |
| gesagt: "Mach mal ein Foto" und hat sich neben Lummer gestellt. Ich war so | |
| eine Art journalistische Guerilla. Die Bürgerinitiativen konnten die Bilder | |
| umsonst kriegen. Bei der CDU habe ich streng auf Marktwirtschaft geachtet. | |
| Wie groß ist Ihr Fotoarchiv? | |
| Ich habe 1,5 Millionen Negative, der größte Teil davon ist aufgearbeitet | |
| und digitalisiert. Ich habe alles fotografiert, was sich vor die Kamera | |
| gestellt hat - auch eine ganze Menge CDUler. Wenn sie gefragt haben, für | |
| wen ich fotografiere, war mein Standardspruch immer: "für die | |
| Untersuchungsausschüsse, die noch kommen werden". Oder: "Wir machen lieber | |
| noch ein schönes Foto, in der U-Haft ist das immer so schwierig." Ich hatte | |
| eine große Trefferquote. Man entwickelt ein Gespür für diese Leute. | |
| An wen denken Sie da? | |
| Dass mit der U-Haft habe ich in den 80er Jahren mal zu einem Wilmersdorfer | |
| CDU-Baustadtrat gesagt. Kurz danach ist er wegen einer Million Mark | |
| aufgeflogen, die er genommen hatte. Nach der Wende habe ich ihn in | |
| Falkensee bei einer Grundsteinlegung wiedersehen, die er eingefädelt hatte. | |
| Die sind nicht untergegangen. | |
| Es heißt, mit der Berliner SPD-Parteispitze seien Sie sehr vertraut | |
| gewesen. Etwa mit Harry Ristock, der in den 70er Jahren in Berlin | |
| Bausenator war. | |
| Richtig. Ich war in Ristocks Wahlkampfstab und habe ihn auch auf eine Reise | |
| nach Ostpreußen begleitet. Ich habe auch viel in der DDR fotografiert. Das | |
| ging, weil ich öfters Teil einer SPD-Delegation war. Wenn ich auf dem | |
| SPD-Ticket gereist bin, war ich nicht mehr abhängig vom | |
| DDR-Außenministerium und konnte alles fotografieren, ohne von der Stasi | |
| überwacht zu werden. Einmal, als ich mit Hans-Jochen Vogel nach Ostberlin | |
| gefahren bin, habe ich alle Grenzanlagen fotografiert. | |
| Eines Ihrer Fotos zeigt Willy Brandt mit den Händen vorm Gesicht. Man | |
| könnte meinen, er weint. | |
| Das war sein Rücktritt 1987 als SPD-Parteivorsitzender. Brandt schätze ich | |
| ganz hoch ein. Der Rücktritt war brutales Politikgeschäft. Das war einfach | |
| ein Machtkampf. Brandt hat das wohl genauso gesehen. | |
| Ist zu viel politische oder persönliche Nähe in Ihrem Job nicht schädlich? | |
| Wenn man reiner Fotograf ist, hält man das aus, wenn man nicht von diesen | |
| Leuten finanziell abhängig ist. Für schreibende Journalisten ist es | |
| riskant. Einmal habe ich Jürgen Wohlrabe … | |
| … ein Berliner CDUler, der auch Übelkrähe genannt wurde … | |
| … auf einem CDU-Parteitag schlafend in der ersten Reihe fotografiert. | |
| Wohlrabe hat versucht, den Abdruck zu verhindern. Ich habe das Bild aber | |
| trotzdem veröffentlicht. Danach hat er mich jahrelang verfolgt. Am Ende hat | |
| er bei seiner Partei einen Vorstandsbeschluss erwirkt, dass ich nicht mehr | |
| für die CDU arbeiten sollte. | |
| Sie sind 1961 als Bundeswehrflüchtling nach Berlin gekommen. War da schon | |
| klar, dass Sie Fotograf werden würden? | |
| Das kam erst später. Ich hatte zunächst Philosophie studiert. 1967 gab es | |
| die großen Demos der Studentenbewegung in Berlin. Ich hatte einen Freund | |
| nach Berlin eingeladen, Günter Zint … | |
| … der auch ein bekannter Fotograf ist. | |
| Zu der Zeit war Zint noch bei der Illustrierten Quick und völlig | |
| unpolitisch. Ich habe ihn zu einer Demo mitgenommen, und er ist von | |
| Polizisten verprügelt worden. Von da ab war er politisiert, war Fotografie | |
| für uns beide eine politische Waffe. Berufsfotograf im Sinne, dass ich | |
| davon leben kann, bin ich aber erst seit 1976. | |
| Was haben Sie bis dahin gemacht? | |
| Viel. Das Studium musste ich aus finanziellen Gründen abbrechen. Ich habe | |
| als Tellerwäscher gearbeitet, beim Bau des Europa-Centers war ich | |
| Bauschlosser, das Springerhochhaus hab ich als Eisenflechter mit | |
| hochgezogen. Rund um die Uhr in einer wilden Bauarbeiterkolonne. Die | |
| Entlohnung und Kündigung erfolgte wie im Wilden Westen. | |
| Wir haben gehört, dass Sie auch mal eine Kneipe hatten. | |
| 1967 hatte ich die erste Teestube in Berlin. Die war gegenüber vom | |
| Kempinski am Kudamm. Gudrun Ensslin, Dieter Kunzelmann und solche Leute | |
| waren Gäste von mir. Ich hatte da was Psychedelisches aufgebaut. Jeder | |
| konnte seine Platten mitbringen. Später haben mir Leute erzählt, sie kamen | |
| gern zu mir, weil ich öfter mal ne Rechnung vergessen habe. Trotzdem habe | |
| ich mit der Teestube ne Menge Geld verdient. Damit wollte ich was Großes | |
| machen und habe unter der Schaubühne einen Laden aufgemacht, das Zodiac. | |
| Damals befand sich die Schaubühne noch am Halleschen Ufer. | |
| Das Zodiac hat erst gegen 22 Uhr - also nach Ende der Theatervorstellung - | |
| aufgemacht. Die Nachbarschaft hat sich gestört gefühlt und mich zu Tode | |
| prozessiert. Auf einmal hatte ich 30.000 Mark Schulden beim Finanzamt und | |
| musste wieder was anderes machen. | |
| Womit wir wieder bei der Fotografie wären. Ihre Ausstellung trägt den Titel | |
| "Kreuzberg". Was bedeutet dieser Bezirk eigentlich für Sie? | |
| Kreuzberg ist ein bisschen Symbol für mein Leben. Ich bin 1941 in | |
| Wolhynien, heute Ukraine, geboren worden. Meine Eltern waren deutsche | |
| Bauern. Meine Vorfahren haben dort mit anderen Kolonialisten seit über 100 | |
| Jahren gelebt. Bei den Türken in Kreuzberg habe ich mich gefühlt wie bei | |
| unserer deutschen Verwandtschaft in der Ukraine. In unserer Familie wurden | |
| auch große Feste gefeiert, für die alle Zimmer ausgeräumt worden sind, und | |
| alles endete mit einer Riesenschlägerei. | |
| Wann sind Sie aus der Ukraine weg? | |
| 1945. Wir sind vor der Roten Armee geflohen. Ich war damals vier Jahre alt. | |
| Am Anfang waren wir im Treck. Aber die Trecks sind durch die | |
| Tieffliegerangriffe schnell zerschlagen worden. Danach waren meine Mutter | |
| und ich allein. | |
| Was war mit Ihrem Vater? | |
| Der war Soldat, wie alle Männer damals. Aber er hat auch überlebt. Aus dem | |
| Krieg hat er sogar noch ein Pferd mitgebracht. Wir sind dann als | |
| Landarbeiterfamilie in Sachsen-Anhalt angesiedelt worden. 1950 sind wir in | |
| den Westen geflüchtet. In Unna in Westfalen bin ich dann aufgewachsen. | |
| Würden Sie sich als Migrant bezeichnen? | |
| Nein. Die Deutschen in der Ukraine waren Herrenmenschen in einer fremden | |
| Umwelt. Das darf man nicht vergessen. Aber der Zusammenhalt war ähnlich wie | |
| in Kreuzberg. | |
| Gibt es ein Bild, von dem Sie sagen würden, das ist für mich Kreuzberg? | |
| 1980 habe ich auf dem Mariannenplatz mal eine riesige Menschenmenge | |
| fotografiert. Ganz viele verschiedenen Typen. Ich nenne es Kreuzberger | |
| Mischung. Das war für mich immer ein Lieblingsbild. Aber so ein Foto könnte | |
| man heute nicht mehr machen. | |
| Worauf wollen Sie hinaus? | |
| Diese Mischung auf engen Raum existiert nicht mehr. Kreuzberg separiert | |
| sich. Auf dem Maifest feiern die Türken hier und das Szenepublikum eine | |
| Ecke weiter. Das unmittelbare Zusammenleben wie früher gibt nicht mehr. | |
| Früher gab es soziale Schichtungen, aber keine Separierung nach Ethnien. | |
| Verklären Sie das frühere Kreuzberg nicht ein bisschen? | |
| Kreuzberg ist nach wie vor ein fantastischer Bezirk. Aber es kommen viele | |
| Leuten aus den deutschen Provinzen. Da wo früher der Hinterhof und Islam | |
| war, dominiert heute die schwäbische Landjugend. Die Türken werden vom | |
| Szenepublikum verdrängt. Wenn wir es nicht schaffen, dass in einem kleinen | |
| Modellbezirk wie Kreuzberg die Kulturen zusammenleben, frage ich mich, wie | |
| wir es im großen Europa zwischen Balkan und Skandinavien schaffen wollen. | |
| Manchmal habe ich den Eindruck, die Türken in Kreuzberg lassen sich zu viel | |
| gefallen. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| In den 80er-Jahren, als Lummer versucht hat eine Zuzugssperre für Türken zu | |
| erlassen, gab es riesige Demos. Zum ersten Mal sind alle Türkengruppen | |
| zusammen auf die Straße gegangen sind. Die haben gemerkt, in Deutschland | |
| gibt es Rechte, für die es sich lohnt zu kämpfen. Das ist der erste Schritt | |
| der Integration und Demokratisierung. | |
| Was für ein Verhältnis haben Sie eigentlich zu den Kreuzberger Autonomen? | |
| Bei den Hausbesetzern und Umweltschutzorganisationen wusste ich vorher, | |
| wenn sie Aktionen geplant haben. Mit den Autonomen gab es nie eine | |
| Zusammenarbeit. | |
| Mit was für einem Gefühl blicken Sie auf Ihre alten Bilder? | |
| Ein bisschen wehmütig. Da merkt man, wie die Zeit vergeht, wie alt man | |
| geworden ist. Was auffällig ist: Die 80er Jahre waren extrem brutale, | |
| gewalttätige Zeiten - nicht nur die Demonstrationen. Verzerrte Gesichter, | |
| Prügeleien, Messerstechereien. Was das angeht, leben wir heute in besseren | |
| Zeiten. | |
| Und sonst? | |
| Die Gesellschaft wird sprachloser. Wenn man die Zeitungen aufschlägt, geht | |
| es um Kultur, Essen und Genuss. Wir haben keine richtigen Probleme, die | |
| viele Menschen miteinander verbinden. Vielleicht kommt das ja durch diese | |
| Kernkraftgeschichten noch mal. | |
| Warum sind Sie eigentlich nie aktiv in die Politik gegangen? | |
| Die persönlichen Machtkämpfe sind mir zu brutal. Als Fotograf kann man sich | |
| besser raushalten. | |
| 22 Nov 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schrott | |
| Plutonia Plarre | |
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| DDR | |
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