# taz.de -- Manager Heidel über Mainz 05: "Eine gute Ecke gefunden" | |
> Nur noch Tabellenzweiter in der Fußball-Bundesliga! Christian Heidel, | |
> Manager von Mainz 05, über eine schöne Krise und die Zukunft des Klubs im | |
> neuen Stadion. | |
Bild: Vom Glück verlassen? Mainzer Spieler nach einer Niederlage. | |
taz: Herr Heidel, der FSV Mainz ist monatelang als Überflieger der Liga | |
gefeiert worden, nun hat Ihr Klub in fünf Pflichtspielen vier Niederlagen | |
quittiert. Ihnen wird eine Krise angedichtet, und es heißt, Thomas Tuchel | |
habe keinen Plan mehr. Ist das Geschäft verrückt? | |
Christian Heidel: Ja, vielleicht. Denn für mich ist das die schönste Krise | |
meiner 20-jährigen Laufbahn beim FSV Mainz 05. Früher waren wir froh, wenn | |
wir mal in der zweiten Liga auf Platz zwei standen; und jetzt sollen wir | |
eine Krise haben, als Zweiter der Ersten Bundesliga ? Bei uns hat keiner | |
erwartet, dass wir 34 Spiele gewinnen. Man kann mir wirklich glauben: Es | |
gibt keine Unruhe, keine Hektik, keine Nörgelei bei uns. | |
Im Grunde könnten Sie froh sein, weil der mediale Hype jetzt nach Dortmund | |
weitergezogen ist und plötzlich statt den Bruchweg-Boys die Borussen-Boys | |
gefeiert werden. | |
Von mir aus hätte die Aufregung in Mainz ruhig noch weitergehen können. Ich | |
hätte nichts dagegen, wenn wir das ganze Jahr medial verfolgt werden, weil | |
dies eine Anerkennung für unsere Arbeit ist. Und ich will auch nicht | |
missen, dass sich Kamerateams und Berichterstatter aus ganz Europa dafür | |
interessieren, wie unser kleiner Verein in der großen Bundesliga | |
mitgemischt hat und weiter mitmischt. | |
Wir mussten uns natürlich auch an einige Dinge erst gewöhnen: Was es | |
beispielsweise bedeutet, wenn drei unserer Spieler im ZDF-Sportstudio wie | |
eine Rockband präsentiert werden. Da gab es auch Kritiker, aber ich empfand | |
es als eine positive Darstellung der Mainzer Mentalität. | |
Sie stehen mit acht Punkten Vorsprung auf den FC Bayern noch immer auf dem | |
zweiten Platz und spielen nun gegen Hannover 96 und Borussia | |
Mönchengladbach. Wären Sie zufrieden, wenn Mainz am Ende Sechster und sich | |
für die Europa League qualifizieren würde? | |
Da würde ich sofort einschlagen, und in Mainz wäre Rosenmontag im Mai. Aber | |
es entspricht nicht unserer Philosophie, eine unrealistische | |
Erwartungshaltung durch einen konkreten Tabellenplatz auszugeben. Das erste | |
Ziel ist es, nächste Saison im neuen Stadion Bundesliga-Fußball in Mainz | |
anzubieten; das würden wir auch noch als 15. schaffen. Auf diesen Rang | |
gehen wir aber nicht freiwillig zurück. Ich will damit nur erinnern, mit | |
welcher Ausgangsposition wir in die Saison gestartet sind. Bescheidenheit | |
tut uns auch weiter gut. | |
Das neue Stadion entsteht derzeit am Mainzer Europakreisel. Ist der Neubau | |
das Symbol für den Mainzer Aufbruch? | |
Wir wirtschaften bisher mit einem Umsatz von rund 32 Millionen Euro, wovon | |
der Gehaltsetat für den Kader rund 14,5 Millionen beträgt, der gesamte | |
Lizenzspielerbereich inklusive Trainerstab kostet etwa 17 Millionen. Das | |
neue Stadion ermöglicht uns Mehreinnahmen in einer Größenordnung von zehn | |
Millionen - 34.000 statt 20.000 Zuschauerplätze, 35 statt zehn Logen oder | |
2.400 statt 1.200 Businessseats. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir als | |
Bundesligist in dieses Stadion ziehen. Wir haben ja auch viele | |
Leihgeschäfte mit Spielern gemacht, die wir normalerweise nicht bezahlen | |
können. | |
Aber selbst mit diesem Stadion bleiben wir in der Bundesliga nur ein ganz | |
kleiner Fisch. Unser Nachbar Eintracht Frankfurt schüttet etwa 28 Millionen | |
an Personalkosten aus. Umso bemerkenswerter ist ja die Leistung, die Thomas | |
Tuchel vollbringt, der es geschafft hat, die Personalkostentabelle einfach | |
mal zu ignorieren. | |
Arbeitet bei Ihnen der beste Fußballlehrer der Liga? Und wie lange lässt | |
sich so ein Trainer-Talent noch für den Standort Mainz begeistern? | |
Zum einen: Er ist der beste Trainer, den ich mir für Mainz 05 zurzeit | |
vorstellen kann. Es steht mir nicht zu, die Arbeit der anderen | |
Trainer-Kollegen damit zu vergleichen oder auch zu bewerten. Zum anderen: | |
Ich sage, dass Thomas Tuchel hundertprozentig mit unserem Verein | |
zusammenpasst. Er ist ein Trainer, der hier erst am Anfang einer Ära steht. | |
Ich habe ihn als Menschen gut kennen gelernt und habe bei ihm das gute | |
Gefühl, dass er länger bei uns bleibt. | |
Er fühlt ja auch, dass er hier überragend gut arbeiten kann, es hier | |
Perspektiven wie mit dem neuen Stadion gibt. Und er genießt auch die großen | |
Freiheiten, die ihm eine längerfristige Entwicklung ermöglichen. Er ist | |
nicht der Trainer, der morgen mit einer anderen Mannschaft deutscher | |
Meister werden will. Denn diesen Anspruch hat der FSV Mainz 05 nun einmal | |
nicht. | |
Stattdessen inszeniert sich Ihr Klub immer noch als Karnevalsverein. Wäre | |
es nicht mal Zeit, sich von diesem Image zu lösen? | |
Warum? Ich muss dazu ein bisschen in die Historie gehen, denn es war schon | |
meine Idee, dieses Image aufzubauen. Man darf ja nicht vergessen, dass wir | |
in den 90er Jahren immer nur erfolgreich gegen den Abstieg aus der zweiten | |
Liga gekämpft haben und in dieser Zeit hatten wir eigentlich gar nichts: | |
kein vernünftiges Stadion, kaum Zuschauer, kaum Presse und kein | |
Markenzeichen. | |
Zu Auswärtsspielen sind wir immer mit dem Singsang "Ihr seid nur ein | |
Karnevalsverein" begrüßt worden. Das brachte mich darauf, dass eine | |
Rockband doch diesen Song für uns umschreiben könnte. Aus "ihr seid nur | |
ein" wurde "wir sind nur ein". Da die Fastnacht in Mainz eine große | |
Tradition hat und sich alle Mainzer damit identifizieren, haben wir das als | |
Fußballverein für uns genutzt. Ich glaube, dass dies ein authentisches | |
Markenzeichen ist. | |
Der FSV soll also weiter einfach eine sympathische Nische besetzen? | |
Ob das sympathisch ist, sollen andere beurteilen. Wir haben in der Liga | |
eine gute Ecke gefunden, in der wir uns eingerichtet haben. Und vor allem | |
sind wir bekannt geworden. Es ist doch das Schlimmste, wenn man irgendwo | |
hinkommt, und man wird gefragt: Wer bist du? Und wofür stehst du denn? Das | |
passiert uns glücklicherweise nicht mehr. | |
12 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Frank Hellmann | |
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