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# taz.de -- Linke vor Progammparteitag: "Wir werden keine Kriegspartei"
> Die Vertreterin des linken Flügels, Christine Buchholz, und der Reformer
> Stefan Liebich sind sich über Bundeswehreinsätze im Ausland nicht einig.
Bild: Umstrittene Missionen: Zu UN-Einsätzen wie im Südsudan gibt es in der L…
taz: Frau Buchholz, Herr Liebich, beim Programmparteitag an diesem
Wochenende streitet die Linke darüber, ob es vertretbare Einsätze der
Bundeswehr im Ausland gibt. Was steht in Erfurt auf dem Spiel?
Christine Buchholz: Wir werden in Erfurt mit großer Mehrheit
Bundeswehreinsätze im Ausland ablehnen und fordern, die Bundeswehr aus den
laufenden Einsätzen zurückzuholen. Die Bundeswehr ist in den letzten
zwanzig Jahren in immer mehr Einsätze geschickt worden - meist mit
humanitärer Begründung. Diese Entwicklung lehne ich ab. Ließen wir
Auslandseinsätze im begrenzten Rahmen zu, setzten wir damit unsere
Glaubwürdigkeit aufs Spiel.
Herr Liebich, was steht für Sie auf dem Spiel?
Stefan Liebich: Der Programmentwurf geht bei der Ablehnung von
Bundeswehreinsätzen im Ausland viel zu weit. Demnach sind gar keine mehr
gewünscht: nicht bei Hungerkatastrophen, nicht bei Wahlbeobachtungen, auch
nicht bei Blauhelmeinsätzen, die von den Konfliktparteien gewünscht werden.
Ich will nicht den Weg von SPD und Grünen gehen, aber das Nein in dieser
Form halte ich für übertrieben.
Frau Buchholz, warum sind Sie so strikt gegen alle Einsätze?
Buchholz: Es wird natürlich nicht offen gesagt, aber mit kriegerischen
Mitteln werden offensiv wirtschaftliche Interessen vertreten. Die
Bundesregierungen seit 1989 haben den Weg zur Einsatzarmee geebnet, der
eine neoliberale Wirtschaftsordnung zementiert und die Probleme weiter
verschärft. Es gab weltweit bis 1989 gerade einmal 44 UN-mandatierte
Einsätze nach Kapitel VII.
Also militärische UN-Einsätze?
In den zehn Jahren danach wurden daraus mehr als 160. UN und Nato vertreten
vor Ort offensiv wirtschaftliche Interessen mit militärischen Mitteln.
Wie steht es um humanitäre Verantwortung? Soll die UN wie in Ruanda
Völkermorden zuschauen?
Buchholz: Ich bin nicht gleichgültig gegenüber Verbrechen. Wir müssen an
den Ursachen ansetzen - bevor es zu Verbrechen kommt. Dazu muss man die
Hintergründe verstehen. Zum Beispiel der UN-Einsatz in Osttimor: Der Westen
hat Suharto aufgebaut und unterstützt. Nachdem sich die Situation geändert
hat, unterstützte die UNO ein Referendum, ließ die marodierenden Milizen
gewähren - und schickte dann Friedenstruppen, als die Kämpfe größtenteils
vorbei waren. Dahinter steckt kein humanitäres Interesse, sondern ein
langfristig wirtschaftliches. Dieser Ansatz ist kolonial, nicht links.
Liebich: Natürlich war es richtig, dass die UN in Osttimor die Ermordung
der Zivilbevölkerung beendet hat. Und es ist viel zu kurz gegriffen, zu
sagen: Es geht immer nur um Öl und Bodenschätze. Es stimmt: Es gibt keine
interessenlose Außenpolitik. Und es gibt manchmal mühsam mit
Menschenrechtsargumenten ummäntelte Einsätze, bei denen es um
geostrategische Interessen geht. Das müssen wir aufdecken. Trotzdem, in
Ruanda und Srebrenica hätte die internationale Gemeinschaft eingreifen
müssen.
Buchholz: Aber diese Gewaltsituationen haben doch Ursachen.
Liebich: Ja, da haben wir keinen Streit. Aber wenn die Gewalteskalation da
ist, muss unsere Partei Antworten darauf haben. Ich respektiere jeden, der
aus Überzeugung Pazifist ist und selbst in schrecklichsten Situationen
nicht zu Gewaltmitteln greift. Aber wir sind keine pazifistische Partei.
Christine, Du bist auch keine Pazifistin.
Buchholz: Die Linke muss für zivile Alternativen eintreten. Wir müssen
unterscheidbar bleiben, wenn alle anderen Parteien im Bundestag das Zivile
dem Militärischen unterordnen. Wir fordern ein System des rein zivilen
Katastrophenschutzes, das den UN untergeordnet ist. In den Südsudan zum
Beispiel wurden weiter Soldaten geschickt, während dort die einzige Stelle
für zivile Konfliktbearbeitung Ende letzten Jahres ausgelaufen ist. Es gibt
immer eine Schlagseite hin zum Militärischen.
Liebich: Ich sehe diese Gefahr. Aber wir haben doch schon jetzt Fälle, in
denen Linke-Politiker UN-Einsätze befürworten. Selbst Oskar Lafontaine fand
einen Blauhelmeinsatz im Kaukasus sinnvoll. Und Wolfgang Gehrcke hat im
Bundestag den Unifil-Einsatz im Libanon unterstützt. Das zeigt doch, dass
wir die Einzelfälle prüfen müssen und nicht einfach nur nein sagen.
Riskiert die Linkspartei damit ihr Image als Friedenspartei?
Liebich: Diese Einzelfallprüfungen machen unsere Arbeit vielleicht
komplizierter, aber sie sind sinnvoll. Buchholz: Aus dem Einzelfall wird
doch ganz schnell ein Regelfall. Liebich: Ich verstehe Leute, die sagen:
Wenn ihr diesen Schritt macht, endet ihr wie SPD und Grüne. Wir sollten uns
aber nicht so misstrauen. Wir werden keine Kriegspartei.
Buchholz: Es geht nicht darum, einzelnen Abgeordneten Charakterschwäche zu
unterstellen. Aber nicht mal wir haben alle Informationen. In den
vergangenen Kriegen haben die Konzernmedien öffentlichen Druck geschaffen,
Kriegen zuzustimmen. Diesem Sog kann man sich schwer entziehen, auch als
Parlamentarierin nicht.
Nicht helfen, weil Sie nicht genug wissen - ist diese Haltung nicht zu
bequem?
Buchholz: Ich finde es viel unbequemer, nicht mit dem Mainstream zu
schwimmen und zu fragen, was denn die Hintergründe eines Konflikts sind.
Gaddafi zum Beispiel wurde hofiert, und dieselben Leute sind auf einmal auf
die Seite der Demokratie gewechselt. Das finde ich abstoßend. Es gibt
tausend Möglichkeiten, Menschen zu helfen ohne Militär und ohne
Rohstoffinteressen.
Halten Sie den Unmis-Einsatz im Sudan für einen kolonialen Einsatz?
Buchholz: Warum kümmert sich die Welt um den Sudan? Etwa weil allen das
Schicksal der Sudanesen so am Herzen liegt? Nein, es hat Rohstoffe und viel
fruchtbares Land. Das sind Triebfedern für das Engagement vieler Staaten
dort, wenn auch nicht die einzigen. Und trotz dieser Intervention ist die
Wahrscheinlichkeit für ein 15-jähriges Mädchen immer noch größer, bei der
Geburt ihres Kindes zu sterben, als ihren Schulabschluss zu machen.
Ein Vorwurf der Parteilinken lautet: Reformer wie Stefan Liebich wollen das
Nein zu Kriegseinsätzen aufweichen, um regierungsfähig zu sein. Sehen Sie
das auch so, Frau Buchholz?
Buchholz: Ich nehme seine Argumente ernst. De facto ist es aber so: Wenn
die Linke konsequente Antikriegspartei bleibt, wird es schwierig, zu
regieren. Ich will, dass unser Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr zum
Maßstab für Regierungsbeteiligungen wird. Wir müssen Pflöcke einschlagen,
sonst drohen unsere Positionen im Geschacher um Regierungsbeteiligungen
unterzugehen. Es gibt ja die Verlockungen der Macht.
Herr Liebich, werden Sie der Verlockung der Macht erliegen?
Liebich: Es sieht im Moment ja nicht gerade günstig für Rot-Rot-Grün aus.
Mit der Verlockung ist es also nicht weit her. Regieren ist kein Wert an
sich. Wir vertreten die Interessen unserer Wähler. Das geht mal besser in
der Opposition, mal besser in der Regierung. Regieren auszuschließen oder
mit unerfüllbaren Forderungen unmöglich zu machen, ist falsch.
Im Programmentwurf ist die Hürde fürs Mitregieren in den Ländern nun etwas
niedriger. Erst hieß es kategorisch: Die Linkspartei darf sich nie am Abbau
des öffentlichen Dienstes beteiligen, jetzt dürfen die Bedingungen für den
öffentlichen Dienst nicht "verschlechtert" werden.
Buchholz: Die alte Formulierung war klarer. Wir haben uns da nicht
durchsetzen können. Immerhin werden klar Kriterien für
Regierungsbeteiligungen genannt, etwa das Nein zu Bundeswehreinsätzen.
Damit kann ich leben.
Liebich: Ich auch. Mich stört, dass man ins Grundsatzprogramm schreibt, was
Genossen in bestimmten Situationen nicht dürfen. Ich verstehe auch nicht,
warum "kein Stellenabbau im öffentlich Dienst" ein Grundsatzziel einer
linken Partei sein soll. In Brandenburg leben halt weniger Menschen als
früher, es gibt Aufgaben wie die Regelung offener Vermögensfragen, die sich
erledigt haben. Trotzdem soll der öffentlich Dienst gleich groß bleiben?
Das ist kein sinnvolles Ziel auf Landesebene. Im Bund sieht die Sache
anders aus: Der öffentliche Sektor ist zu klein. Aber es ist es falsch zu
sagen: Die Linkspartei darf in Potsdam nicht regieren, weil Jobs im
öffentlichen Dienst wegfallen.
Buchholz: Es gibt auch in Brandenburg von Bildung bis Gesundheit viele
Aufgaben. Wir wollen konsequent den Ausbau des öffentlich Dienstes. Für die
Grünen war der Atomausstieg ein Kernanliegen, für uns sind das das Nein zu
Kriegseinsätzen und der Ausbau des öffentlichen Dienstes, die wir in
Regierungen nicht aufs Spiel setzen. Diese Haltelinien müssen ins
Grundsatzprogramm. Die Erfahrung mit Rot-Rot in Berlin hat gezeigt, dass es
uns niemand dankt, wenn wir in Regierungen Erkennbarkeit verlieren.
Liebich: Nur weil die PDS in Berlin mitregiert hat, wurde die
Privatisierung des größten deutschen Krankenhauskonzerns, Vivantes,
verhindert. Das ist linke Politik.
21 Oct 2011
## AUTOREN
A. Maier
S. Reinecke
## TAGS
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
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