| # taz.de -- Kunstprofessor über Technokraten: „Das System braucht Kritik“ | |
| > Pierangelo Maset hat das „Wörterbuch des technokratischen Unmenschen“ | |
| > geschrieben. Ein Gespräch über Datenmissbrauch und Antiamerikanismus. | |
| Bild: Instrument des Stadtmarketings? Park Fiction in Hamburg. | |
| taz: Wenn ich ein Technokrat wäre – würden Sie mir dieses Interview | |
| überhaupt geben? | |
| Pierangelo Maset: Auf jeden Fall. Erstens weil niemand frei von | |
| technokratischen Anwandlungen ist und zweitens weil ich mir ja Wirkung | |
| erhoffe. Da würde ich niemals sagen, es sei zu spät. | |
| Technokraten könnten sich allerdings vom Titel Ihres Buches verunglimpft | |
| fühlen. Sie haben es „Wörterbuch des technokratischen Unmenschen“ genannt… | |
| Das hat auch historische Gründe. Von Dolf Sternberger gibt es das sehr | |
| bekannte „Wörterbuch eines Unmenschen“, das zu meiner Zeit in Auszügen | |
| Schullektüre war, in den 80er-Jahren gab es dann einen Versuch der | |
| Erweiterung mit vielen Autoren. Daran knüpfe ich an. | |
| Bei Sternberger ging es um die NS-Ideologie, bei Ihnen um den homo | |
| oeconomicus, um Effizienz- und Optimierungsdenken und Datenauswertung. | |
| Suggerieren Sie mit der Verwendung des Begriffs des Unmenschen nicht eine | |
| Kontinuität, die es nicht gibt, und verharmlosen zugleich jene | |
| Vergangenheit, die Sternberger sezierte? | |
| Klar, es handelt sich um zwei verschiedene Zeiten und verschiedene | |
| Stoßrichtungen. Andererseits fiel das Erscheinen meines Buches gerade | |
| zusammen mit dem Bekanntwerden eines Datenmissbrauchs, der alles | |
| übertroffen hat, was man sich vorstellen konnte. Die jetzt offenbar | |
| gewordene Totalität der virtuellen Kontrolle beeinflusst, wie wir denken, | |
| wie wir uns als Subjekte verstehen, wie wir handeln. Und es ist | |
| erschreckend, wie wenig Proteste das ausgelöst hat. | |
| Warum bleibt der Protest aus? | |
| Ich könnte mir vorstellen, dass viele heute schon so durchdrungen sind von | |
| der digitalen Welt, dass wir diesen Prozessen gegenüber einen gewissen | |
| Fatalismus an den Tag legen. Die Kontrolle, sagt man dann, liege halt im | |
| System begründet … | |
| In welchem Zusammenhang sehen Sie denn die Überwachung des Internets: Ist | |
| das eine Verlängerung des Technokratischen in die virtuelle Welt? | |
| Ich würde es verschränkt sehen. Man muss sich nur anschauen, wie viele | |
| Computerzeitschriften heute in einem Kiosk angeboten werden, oder bedenken, | |
| wie jeder von uns hochkomplizierte Internetadressen, wwwsoundsopunktde, | |
| herunterbeten kann, während jedes einfache Fremdwort, „subversiv“ etwa, auf | |
| Misstrauen stößt. Das zeigt doch, wie das rechnende Denken der Computerwelt | |
| mittlerweile zur menschlichen Subjektivität dazugehört. | |
| Auffällig ist, wie viele der Begriffe im Wörterbuch aus dem | |
| Angelsächsischen kommen: Controlling, Apps, Feedback … Läuft das nicht auf | |
| die These hinaus, dass der heutige Technokratismus zumindest in Teilen aus | |
| US-Hegemoniebestrebungen zu erklären sei? | |
| Da ist was dran. Jochen Krautz vertritt zum Beispiel die These, dass die | |
| OECD deshalb solche Bildungsreformen mit für unser Land fatalen Folgen | |
| empfohlen hat, weil die Amerikaner das deutsche Bildungssystem attackieren | |
| und schädigen wollten. | |
| Und das ist mehr als ein Erbe des alten Antiamerikanismus? | |
| Man muss natürlich auch hier differenzieren. Es gibt ja sehr viel Positives | |
| aus Amerika, das ja auch lange geehrt wurde, besonders auf der kulturellen | |
| Ebene, in der Musik, der Kunst, der Literatur. Aber was diesen imperialen | |
| ökonomischen Anspruch betrifft, der sich unter dem technokratischen Gewand | |
| verbirgt, da sollte man eine sehr kritische Position beziehen. | |
| Was genau ist ein Technokrat? | |
| Jemand, der auf der vermeintlichen sicheren Basis wissenschaftlicher | |
| Erkenntnisse und der Basis des technischen Fortschritts seine | |
| Entscheidungen trifft und sie dann in einer Art administrativer Weise auf | |
| alle Lebensverhältnisse anwendet. Mit Horkheimer gesprochen ist der | |
| Technokrat das entscheidungsmächtige Subjekt der verwalteten Welt. | |
| Sitzen Technokraten also immer oben an der Macht? | |
| Nein. Es reicht ja auch, wenn jemand als technokratischer Erzieher oder als | |
| technokratischer Busfahrer unangenehm auffällt, man kann ihnen leider | |
| überall begegnen. | |
| Wo ist das bei Ihnen der Fall? | |
| Zuerst an meinem Arbeitsplatz, an der Uni. Da wimmelt es von Technokraten. | |
| Wissensbasierte Institutionen sind Brutstätten der Technokratie, | |
| Anziehungspunkte für Technokraten, weil sie ja dort ausgebildet und erzogen | |
| werden können. Die großen Forschungsgemeinschaften setzen viel Geld in | |
| technokratische Erzeugnisse. Die Umstellung von Magister und Diplom auf | |
| Bachelor war eine ganz und gar technokratische Reform, mit all ihren | |
| Konsequenzen: Überbürokratisierung und Hierarchisierung, die für alle | |
| Beteiligten mit Momenten des Unglücks behaftet sind. | |
| Sie unterrichten ja Kunst – wenigstens dort müsste es doch noch Freiräume | |
| geben; etwas, das sich nicht evaluieren ließe, das technokratische | |
| Steuerungsprozesse durchkreuzt. | |
| Auch in der Kunst sind die Räume enger geworden. Bei der letzten Documenta | |
| wirkten Medienformate schon sehr stark auf die Ausstellung, im Sinne eines | |
| Überangebots: Die Kunst war so extrem weit über die Stadt verteilt, dass es | |
| genauso unmöglich war, sich alles in zwei Tagen anzusehen, wie an einem Tag | |
| das komplette Programm eines Fernsehsenders zu schauen. Da ist die Kunst | |
| unter Fremdinteressen geraten, denn für das Stadtmarketing in Kassel war es | |
| natürlich gut, dass man länger in der Stadt verweilen musste. | |
| In Hamburg bemüht sich das Stadtmarketing auch sehr eifrig um die Kunst. | |
| In Hamburg kann man gar nicht als Künstler überleben, denn als ausführendes | |
| Organ des Stadtmarketings. Sehr schön zeigt sich das an einem Projekt wie | |
| Park Fiction … | |
| … dem von Anwohnern mitgestalteten Park an der Hafenkante von St. Pauli. | |
| Das war vom Ansatz her radikal. Und fünf Jahre später ziert das Projekt | |
| entsprechende Werbebroschüren der Stadt Hamburg. Da können die Künstler | |
| natürlich nichts dafür. | |
| Oder liegt es auch am Werk selbst? Eine Palme, eine Rasenwelle über dem | |
| Hafen: das sind sehr nahe liegende maritime Assoziationen. | |
| Stimmt, die Künstler haben ihren Anteil daran. Weil sie dann oft zu weiche | |
| Formen nutzen, die zu schnell vereinnahmt werden können. Hermetischere, | |
| abweisendere Formen böten da andere Möglichkeiten des Schutzes. | |
| Andererseits ist Park Fiction in einer Art und Weise zustande gekommen, | |
| dass viele Leute an der Entscheidung beteiligt waren. Das Projekt war auf | |
| unwahrscheinliche Kommunikation angelegt, da konnte man nicht erwarten, | |
| dass geschlossene Werke herauskommen. | |
| Dann war dem Projekt von vornherein ein Widerspruch eingeschrieben. | |
| Man könnte auch sagen, dass Park Fiction eine Plattform sein sollte, eine | |
| Gelegenheit, Widersprüche im öffentlichen Raum auszutragen. | |
| Wobei man mit dem Slogan: „Widersprüche im öffentlichen Raum austragen“ | |
| wohl auch schon gut für die Mercedes A-Klasse werben könnte. Bleibt etwas, | |
| das sich nicht vereinnahmen lässt? | |
| Ich glaube schon. Der Grundgedanke von Park Fiction, dass man gemeinsam mit | |
| Anwohnern eine ästhetische Form auch gegen Widerstände der Administration | |
| gestaltet, das bleibt weiterhin beispielhaft. | |
| Der Hamburger Autor und Künstler Hans-Christian Dany setzt stattdessen in | |
| seinem gerade erschienenen Buch „Morgen werde ich Idiot“ auf Verweigerung, | |
| auf jene Nicht-Identität und radikale Negativität, für die Herman Melvilles | |
| Bartleby mit seinen Worten steht: „Ich möchte lieber nicht.“ Was halten Sie | |
| von diesem Weg? | |
| Den würde ich zum Teil als eine mögliche Strategie sehen. Aber das | |
| funktioniert nicht in jedem Fall. An bestimmten Stellen muss man auch ein | |
| „Gegen“, ein „Anti“ setzen und damit hat man eine Identität, die auch … | |
| anderen gedreht und vereinnahmt werden kann. | |
| Wie weit sind Sie selbst von Vereinnahmungsmechanismen betroffen? | |
| Als Lehrender an einer technokratisch ausgerichteten Universität stecke ich | |
| mittendrin. Und im Übrigen kann auch die Figur des Kritikers eine | |
| technokratische werden. Man weiß mittlerweile, dass Kritik ein Bestandteil | |
| dessen ist, wie das System funktioniert, dass es Kritik zu seiner | |
| Perfektionierung und Erneuerung braucht. Und ich bin auch nicht ein Brain, | |
| das alles durchschaut. Mein Buch ist eine Aufforderung, sich einige | |
| Begriffe anzuschauen und zu sehen, ob man einige nicht mehr verwenden oder | |
| sie sich wiederaneignen oder neue Begriffe finden sollte – um sich so vom | |
| technokratischen Unwesen ein Stück weit zu distanzieren und andere | |
| Möglichkeiten zu eröffnen. | |
| ## Wörterbuch des technokratischen Unmenschen, Radius-Verlag, Stuttgart, | |
| 141 Seiten, 16 Euro | |
| 24 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Maximilian Probst | |
| ## TAGS | |
| Kunst | |
| Öffentlicher Raum | |
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