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# taz.de -- Interview mit Stiftungsleiter: „Es gibt keine Alternative“
> Der Repräsentant der regierungsnahen Denkfabrik SETA, Zafer Meşe, spricht
> über Erdoğan, die Wirtschaftskrise und türkeistämmige Deutsche.
Bild: „Die Stimmung ist nicht so negativ, wie Sie sagen“
taz.gazete: Herr Meşe, Ende September besuchte Präsident Erdoğan Berlin und
Köln, es war ein Staatsempfang auf höchster Ebene. Herrscht nun zwischen
den beiden Ländern wieder Friede, Freude, Eierkuchen?
Zafer Meşe: Der Besuch im September war schon deshalb ein Erfolg, weil
beide Seiten viele kontroverse bilaterale Themen offen angesprochen haben.
Es gibt viele Themen, bei denen Übereinstimmung herrscht – aber auch
einige, bei denen Dissens besteht. Das wird zwar ein langer Weg, aber ich
bin zuversichtlich.
Deutschland beschwert sich zum Beispiel über die politischen Gefangenen …
Sie meinen die in Untersuchungshaft gehaltenen Personen, deren
Anklageschrift noch nicht verlesen wurde? Auf der anderen Seite macht die
türkische Seite der Bundesregierung den Vorwurf, dass die terroristische
PKK in Deutschland trotz Verbot frei agiert und die Terrororganisation FETÖ
…
… Sie meinen die Anhänger des Gülen-Netzwerks, die der türkische Präsident
für den Putschversuch 2016 verantwortlich macht und die seitdem von der
türkischen Regierung als Terrororganisation eingestuft werden …
… sich in Deutschland reorganisiert. Hinzu kommt, dass geflohene
FETÖ-Mitglieder, die die türkische Armee infiltriert haben und am Putsch
beteiligt waren, in Deutschland in Rekordzeit Asyl erhalten haben. FETÖ
wird die Achillesferse der künftigen deutsch-türkischen Beziehungen werden,
falls die deutschen Sicherheitsbehörden gegen FETÖ nicht vorgehen sollten.
Die türkische Seite kann aber nicht umfassend belegen, dass die Anhänger
des Predigers Fethullah Gülen an dem Putschversuch beteiligt waren.
Die türkische Regierung hat der deutschen Seite Beweise vorgelegt. Es
finden auch bilaterale Gespräche zwischen den Sicherheitsbehörden beider
Staaten statt.
Schauen wir in die Zukunft: Könnte die derzeitige Wirtschaftskrise ein
Stolperstein für Erdoğan werden?
Präsident Erdoğan genießt weiterhin die Unterstützung der türkischen
Bevölkerung. Die Türkei ist wie alle Schwellenländer, die auf Investitionen
angewiesen sind, von der Zinserhöhung der US-Notenbank betroffen. Die
Investoren gehen lieber in die USA. Hinzu kommt die politische Spannung mit
Trump, die inzwischen behoben wurde. Bei Trump weiß man es aber nie so
genau.
Aber schon seit 2016 überlegen deutsche Investoren, ob sie in der Türkei
bleiben können. Die fatale Lage der Menschenrechte hebt nicht gerade ihre
Stimmung.
Ich rede viel mit deutschen Unternehmen, die in der Türkei investiert
haben. Die Stimmung ist nicht so negativ wie Sie sagen. Auch die türkische
Regierung gibt zu, dass es wegen des Ausnahmezustandes nach dem
gescheiterten Putsch nicht möglich war, die rechtsstaatlichen Standards
einzuhalten. Dieser wurde nicht verlängert. Wir werden in nicht ferner Zeit
erleben, dass die Bürgerrechte ausgeweitet werden.
Wird Erdoğan jemals zu mehr Rechtsstaatlichkeit zurückkehren?
Wer meint, dass die Türkei kein Rechtsstaat ist, der ist weltfremd. Mit der
Konsolidierung des neuen Präsidialsystems werden Bürgerrechte ausgeweitet
werden. Wie Willy Brandt einst sagte: „Mehr Demokratie wagen.“ Das ist auch
im Interesse der Türkei.
Eine Frage, die uns auch immer wieder gestellt wird: In Deutschland leben
2,8 Millionen türkeistämmige Menschen. Viele wählen bei den türkischen
Wahlen eine autokratische Regierung, die AKP. Können Sie das erklären?
Weder wird Deutschland von einem Naziregime regiert, noch ist die Türkei
eine Diktatur oder Autokratie. Präsident Erdoğan genießt eine große
Popularität bei den Türkeistämmigen in Deutschland, da er die Sprache des
einfachen Volkes spricht. Er gibt ihnen eine Stimme. Davon kann die
deutsche Politik lernen. Es gibt einen Grund, warum Volksparteien in
Deutschland dramatisch an Zustimmung bei der Wählergunst verlieren.
Machen Sie sich Gedanken, was nach Erdoğan kommt?
Es gibt keine Diskussion über eine Alternative.
Aber wenn sich die Wirtschaftskrise verschärft, könnte es zu einer
politischen Krise kommen.
Was wäre dann die Alternative?
Die wollen wir von Ihnen hören.
Es gibt keine Alternative zu Erdoğan. Es gibt keine vernünftige, sondern
eine sich selbst zerfleischende Opposition. Und Erdoğan hat mit seiner AKP
seit 2002 alle Wahlen gewonnen.
Die Opposition sitzt ja auch zu großen Teilen im Gefängnis.
Die Opposition sitzt im türkischen Parlament, die außerparlamentarische auf
den Straßen.
Die AKP wirbt heftig um die türkeistämmigen Wähler*innen in Deutschland.
Erdoğan wünscht sich, dass die Türkeistämmigen weder dem Land, in dem sie
leben, den Rücken kehren, noch dass sie ihre Herkunftsgeschichte vergessen.
Das ist die Grundlage seiner Diasporapolitik. Auf die Botschaft „Nehmt teil
am gesellschaftlichen Leben, aber assimiliert euch nicht“ an die Adresse
der Türkeistämmigen im Ausland wurde in Deutschland überzogen reagiert. Was
ist falsch daran, wenn die Türkeistämmigen sich mit ihrer Heimat Türkei
identifizieren?
Erklären Sie es uns.
Ich bin ein Mitglied der sogenannten zweiten Generation. Meine Kinder
blicken mehr in Richtung Deutschland als in Richtung Türkei, weil sie hier
leben. Ich wünsche mir, dass sie über meine Herkunftsgeschichte mehr
erfahren und dass sie ihre Herkunft kennen. Aber im Grunde genommen führen
wir eine sehr antiquierte Diskussion. Wir leben in einer globalen Welt mit
vielen Identitäten.
Und wenn Sie nach Ihren Identitäten gefragt werden, was antworten Sie da?
Ich glaube an den Islam, ich bin deutscher Staatsbürger, ich bin
patriotischer Rheinländer, fanatischer 1.FC Köln-Fan. Gleichzeitig fühle
ich mich als Türke mit türkisch-kurdischen Wurzeln. Da sehe ich keinen
Interessenkonflikt. Ich bin jemand, der seine Herkunftsgeschichte und seine
Vorfahren ehrt und das auch an die Nachkommen weitergeben will.
Was hat Sie eigentlich aus den Armen der CDU und Kanzlerin Angela Merkels
in die Arme der AKP und Präsident Recep Tayyip Erdoğans getrieben?
Zur Richtigstellung: Ich bin kein Mitglied der AK Partei, habe aber große
Sympathien für die Errungenschaften der AK Partei bei der Modernisierung
der Türkei. Ich bin CDU-Mitglied, ich identifiziere mich mit vielen
programmatischen Inhalten der CDU. Ich will meinen Beitrag leisten, dass
die Beziehungen besser werden. Ich war schon immer auf beiden Seiten.
Zafer Meşe, Jahrgang 1971, ist seit 2017 Leiter des Berliner Büros der
SETA. Die Stiftung für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche
Forschung (SETA) ist eine Denkfabrik und gilt als türkische Kaderschmiede.
Er studierte in Bonn und in Jerusalem Politische Wissenschaften. Für zwei
Legislaturperioden beriet das CDU-Mitglied seine Partei im Parlament in der
Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik.
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17 Dec 2018
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## AUTOREN
Ebru Tasdemir
Andreas Lorenz
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Politik
Schwerpunkt Türkei
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