# taz.de -- Initiative No-Covid: Ja zum Nein zum Virus | |
> Die Initiative #YesToNoCovid strebt einen einstelligen Inzidenzwert an. | |
> Dies soll auf regionaler Ebene erreicht werden. | |
Bild: Mit der #YesToNoCovid-Strategie zu einstelligen Inzidenzwerten | |
In der Einschätzung der Lage wird man schnell Einigung finden: Im zweiten | |
Jahr der Pandemie befindet sich das Land nach einer Folge von Lockdowns mit | |
wechselnden Zielen und Zahlen in einem [1][Zustand sozialer Lähmung]. Viele | |
haben sich in ihren kleinen Lebenswelten eingerichtet, manchen steht das | |
Wasser bis zum Halse, und gar nicht so wenige geben sogar zu, dass sie die | |
Freiheit, selbst disponieren zu können, genießen. | |
Die Wirkung dieser vielgestaltigen Rückzüge unter der Decke der | |
schrittweisen Stillstellung des öffentlichen Lebens geht allerdings nicht | |
unbedingt mit der Beherzigung der Verhaltensregeln zur Kontaktvermeidung | |
einher. Im Gegenteil: Es hat sich ein Phlegmatismus beim Umgang mit dem | |
Virus eingeschlichen. Man will’s schon gar nicht mehr so genau wissen: wie | |
hoch die Prozentzahl der Übersterblichkeit ist, wie schnell sich die hoch | |
ansteckenden Mutanten in Großbritannien ausbreiten, und wann in Deutschland | |
für alle ein Impfangebot existiert. Beobachtern mit tiefenpsychologischem | |
Gespür wie dem Psychologen Stephan Grünewald erscheinen die Deutschen | |
seltsam abgebrüht und abgestumpft. | |
Diese Lage erscheint den InitiatorInnen von #NoCovid oder besser | |
#YesToNoCovid, um den prinzipiellen Unterschied zur Initiative „[2][Zero | |
Covid]“ zum Ausdruck zu bringen, brandgefährlich. Es kann durch neue | |
Virusvarianten alles schlechter werden, bevor nichts besser wird. Wir | |
stehen in Deutschland in der Gefahr, uns hinter der Fassade eines endlosen | |
Lockdowns zu verstecken. Die Umfragen reportieren zwar nach wie vor große | |
Zustimmung zur Politik der Kurvenverflachung, aber welche Zweifel, welches | |
Ermüden und welche Resignation sich dahinter verbergen, kommt nicht zur | |
Sprache. Wir warten anscheinend nur noch darauf, dass das Warten zu Ende | |
geht. | |
#YesToNoCovid ist kein Notschrei vor der Apokalypse, die dann doch nicht | |
eintritt, sondern der Vorschlag für einen Blick nach vorn und einen Weg mit | |
Ziel. Man braucht niemandem zu erklären, dass sich das Virus in der | |
Gesellschaft eingenistet hat und beim Überspringen von Wirt zu Wirt den | |
verdutzten menschlichen Gesellschaftsmitgliedern scheinbar immer einen | |
Schritt voraus ist. #YesToNoCovid will uns alle schlauer, beweglicher und | |
entschiedener machen. | |
## Soziales Experiment als Methode | |
Wie soll das gehen? Drei Gedanken können uns vom endlosen Warten erlösen. | |
Der erste ist die Methode des sozialen Experiments. Wir schauen uns in der | |
Welt um und erkennen, dass es in Taiwan, in Vietnam, in Neuseeland oder in | |
Australien geglückt ist, dem Virus auf Dauer die Stirn zu bieten. Der | |
experimentelle Geist fragt, wie die das gemacht haben, und ist dabei sehr | |
sparsam mit kulturellen Erklärungen. Das Ergebnis ist nämlich verblüffend | |
einfach: Die haben sich darauf verpflichtet, dem Virus keinen Raum zu | |
geben. Man muss mit dem Virus leben, aber man darf es nicht von Wirt zu | |
Wirt springen lassen. Und zwar nie und nimmer. | |
Da kommt der zweite Gedanke ins Spiel. Die Gesellschaft existiert nicht in | |
den Köpfen an der Spitze oder in den Milieus in der Mitte, sondern in den | |
Städten, in den Dörfern und in den unklaren Gebieten dazwischen. Das sind | |
die Räume, in denen das gemeinsame Leben stattfindet. Hier entscheidet | |
sich, inwieweit uns das Virus beherrscht. | |
„If Mayors ruled the World“ hieß ein bemerkenswertes soziologisches | |
Gedankenexperiment in Buchform von Benjamin R. Barber aus dem Jahre 2013. | |
In den Großstädten, den Kleinstädten und den Mittelstädten organisiert sich | |
der politische Wille der Leute. Da gibt es jemanden, den man gewählt hat | |
und den man kennt, der nach vorne geht und vor Ort Bündnisse zwischen den | |
großen Betrieben, dem kleinen Handel, den aktiven Bürger:nnen aus der | |
Mittelklasse, den misstrauisch zuschauenden Einwohnern, die nicht auf der | |
Sonnenseite der Straße wohnen, zwischen den Gewerkschaften, den Vereinen | |
und den Kirchen schmiedet. | |
Warum könnten die nicht die Parole #YesToNoCovid ausgeben? Wir würden so zu | |
einem „Wir“, das viel intelligenter und stärker als dieses teuflische Virus | |
ist, das uns so lange terrorisiert, bis wir ihm den Garaus gemacht machen. | |
Dann stellen wir wieder die Tische und Stühle auf die Straße, gehen ins | |
Kino oder in die Kirche oder treffen uns zu einem Plausch auf dem | |
Recyclinghof. | |
Dazu müssen wir allerdings gemeinsam handeln. Es reicht nicht, dass die | |
Einzelnen die Abstands- und Hygieneregeln einhalten, wir werden uns darauf | |
verständigen müssen, wie wir das Aufflackern der Sprungbewegungen schnell | |
erkennen, die Spuren nachverfolgen und den betroffenen Bürger:innen | |
unserer Stadt und unseres Dorfes beim befristeten Rückzug aus dem | |
gemeinsamen Leben zur Seite stehen können. | |
Das hört sich ganz so an, als wolle man aus dem gemeinsamen Lebensort ein | |
freundliches Gefängnis machen. Was ist mit den Jungmenschen, die nachts im | |
Stadtpark gemeinsam „I don’t care!“ singen? Was mit der | |
Zeitungsausträgerin, die bei jedem Schnelltest um ihren Job bangt? Was mit | |
dem Chiropraktiker, der sich keine periodischen Tests leisten kann? Wenn | |
diese Menschen dann plötzlich nicht mehr zu dem „Wir“ gehören, das ein | |
Gefühl kollektiver Selbstwirksamkeit beim Mitmachen mit #[3][YesToNoCovid] | |
verspürt? | |
Deshalb ist das alles ein befristetes Experiment, das sich dem Wert der | |
Demokratie unterstellt. Das ist der dritte Gedanke. Die Legitimität für | |
eine #YesToNoCovid-Strategie ist nicht durch Wahlen zu gewinnen. Es braucht | |
den Sitz im gemeinsamen Leben. Wenn eine Bürgermeisterin dafür den Sinn | |
verliert und sich in der Selbstgewissheit wiegt, dass sie doch alle liebe, | |
dann ist alles vertan. | |
Wenn man eine Leitlinie für dieses Denken formulieren will, dann wäre es | |
der „demokratische Experimentalismus“ von John Dewey, der aus dem Land | |
kommt, in dem Lady Gaga für die ganze Nation die Nationalhymne singt. | |
28 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Gedanken-in-der-Pandemie/!5743800 | |
[2] http://4641249 | |
[3] https://www.anerkennung-nrw.de/tag/yestonocovid/ | |
## AUTOREN | |
Heinz Bude | |
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