# taz.de -- Impfen gegen Corona: Anfang vom Ende | |
> Friedhelm Cario kümmert sich in Stendal um den Katastrophenschutz. Bisher | |
> hat er Hochwasser bekämpft, nun baut er das Corona-Impfzentrum auf. | |
Bild: Leitet das Impfzentrum in Stendal: Friedhelm Cario | |
Das Ende der Pandemie beginnt unter anderem hier: in einem ehemaligen | |
Kindergarten, etwas versteckt hinter einer Wohnhausreihe am Rand von | |
[1][Stendal], Sachsen-Anhalt. Der weiße Flachbau liegt noch im Dunkeln, als | |
sich am Dienstag nach Weihnachten Friedhelm Cario und sein Impfteam | |
versammeln, um den bevorstehenden Einsatz in einem Seniorenheim zu | |
besprechen. | |
Anwesend sind vier Sanitäter*innen der Johanniter, ein Sanitäter des | |
Deutschen Roten Kreuzes (DRK), ein Apotheker, zwei EDV-Mitarbeiter des | |
Landrats und Cario. Der 59-Jährige ist eigentlich Leiter der | |
Kreissanitätsbereitschaft beim DRK und in dieser Funktion auch | |
Katastrophenschutzbeauftragter. Doch für die kommenden Monate übernimmt er | |
einen Job, den es vor ein paar Tagen noch gar nicht gab. Cario ist Leiter | |
des Impfzentrums Stendal. | |
In Deutschland wurden in den vergangenen Wochen rund 440 solcher | |
[2][Impfzentren] aufgebaut. In der ersten Phase der Impfkampagne sollen | |
hier jene Menschen geimpft werden, die am dringendsten Schutz benötigen | |
oder einem besonders hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind. | |
Weil das vor allem alte Menschen und Pflegekräfte betrifft und weil die | |
Terminvergabe für die Impfzentren in den meisten Bundesländern noch im | |
Aufbau ist, beginnen die Impfungen aber zunächst nicht hier, sondern vor | |
Ort in den Pflege- und Senioreneinrichtungen, durchgeführt von mobilen | |
Impfteams. | |
Viele Landkreise und Städte lassen noch keine Medienbesuche in den | |
Impfzentren zu – ganz zu schweigen von einer Begleitung der Impfteams in | |
die Seniorenheime. In Stendal kann man immerhin – unter Einhaltung der | |
Hygienebestimmungen – bei den Vorbereitungen der Impfteams dabei sein und | |
sich ein Bild vom Aufbau des Zentrums machen. | |
Denn genug zu tun haben Cario und sein Team auch jetzt schon: 26 Alten- und | |
Pflegeheime gibt es im Landkreis Stendal. Jedes muss in den kommenden | |
Wochen zweimal angefahren werden, da die Impfung nach etwa drei Wochen | |
wiederholt werden muss. | |
Angespannt, aber nicht hektisch geht es zu an diesem Dienstagmorgen. In | |
einem der Räume des ehemaligen Kindergartens wurde eine Art Pop-up-Büro | |
errichtet. Ein paar Schränke, zwei Tische, zwei Rechner, in der Mitte ein | |
Drucker auf einem Metallwägelchen. Listen werden herumgereicht, die | |
anzufahrenden Senioreneinrichtungen noch einmal abtelefoniert. Erste | |
Erkenntnis des Tages: Das Impfteam kann heute nur zu einer der geplanten | |
zwei Einrichtungen fahren. Im zweiten Seniorenheim konnten bisher nur | |
drei Einwilligungen der Bewohner*innen eingeholt werden. | |
„Das spricht nicht zwangsläufig für eine geringe Impfbereitschaft“, erkl�… | |
Cario mit ruhiger Stimme. Viele Bewohner*innen hätten die Einwilligung | |
nicht mehr selbst unterschreiben können, das Pflegeheim müsse erst den | |
gesetzlichen Vormund kontaktieren, was einige Zeit dauern könne. | |
Das, worum es hier eigentlich geht, liegt in einem abgeschlossenen Raum in | |
einem Spezialkühlschrank. [3][Der Biontech/Pfizer-Impfstoff] kommt, in | |
Pulverform abgefüllt, in kleinen Fläschchen in den Impfzentren an und muss | |
bei mindestens minus 70 Grad Celsius gelagert werden. Ein Wachdienst | |
sichert das Gebäude Tag und Nacht. Am Einsatzort muss das Pulver mit | |
Natriumchlorid versetzt werden. Jedem Fläschchen kann man sechs Impfdosen | |
entnehmen. | |
In Sanitätsuniform und mit Handschuhen zählt Cario die benötigte Menge für | |
den heutigen Einsatz ab. 116 Einwilligungen liegen ihm für das Seniorenheim | |
im nördlich von Stendal gelegenen Seehausen vor. Das macht 20 Fläschchen | |
für den heutigen Einsatz, die der Apotheker zusammen mit Kühlakkus in einer | |
Umhängetasche für den Transport verstaut. | |
Währenddessen lassen sich die vier Johanniter-Sanitäter*innen mit einem | |
Schnelltest auf Covid-19 testen. Sollte eine*r positiv sein, müssen sie den | |
Einsatz absagen. Als auch der Test des Apothekers negativ ist, machen sich | |
die fünf auf nach Seehausen. Vor Ort werden sie von einer Ärztin | |
unterstützt, die die Spritze verabreicht. | |
Cario nutzt die kurze Zeit der Ruhe, um draußen ein paarmal an der | |
E-Zigarette zu ziehen. Man sieht die Abdrücke, die sein Mund-Nasen-Schutz | |
hinterlassen hat, und auch die Müdigkeit. Erst Mitte Dezember hat er | |
erfahren, dass er für den Aufbau des Impfzentrums zuständig sein soll. Das | |
sei okay, dafür sei das Rote Kreuz schließlich da, sagt Cario. Er sagt aber | |
auch: „Das ist ein bürokratischer Albtraum.“ | |
## Ständig ändern sich Abläufe | |
Neben Zeit- und Impfstoffknappheit bereitet die Dokumentation der Impfung | |
Cario und seinen Kolleg*innen Kopfzerbrechen. Von jedem, der sich impfen | |
lässt, muss das Impfzentrum den Einwilligungsbogen und das | |
Aufklärungsmerkblatt archivieren. Außerdem müssen Details der Impfung | |
dokumentiert werden. | |
Welche Vorerkrankungen gibt es, in welches Körperteil wurde injiziert, | |
traten Beschwerden nach der Impfung auf? Cario zeigt einen gut gefüllten | |
Leitz-Ordner. „Das ist allein von den 159 Impfungen gestern.“ Zwar tragen | |
seine Mitarbeiter*innen einige Daten auch digital ein. Da die Technik aber | |
noch nicht vollständig läuft, wird derzeit sowohl analog als auch digital | |
gearbeitet. | |
Friedhelm Cario ist Krisen gewohnt. Durch den Landkreis Stendal fließen | |
Elbe und Havel, er hat schon viele Hochwasserkatastrophen gemanagt. Da sei | |
man auch oft an seine Grenzen geraten, die Situationen hätten sich ständig | |
geändert. „Aber man wusste immer, was zu tun war.“ Bei dieser | |
Krisenbekämpfung sei es andersherum. Die Aufgabe – so viele Menschen wie | |
möglich impfen – bleibe immer gleich. Aber das Vorgehen und die Abläufe | |
änderten sich fast im Minutentakt, sagt Cario. | |
Erst an diesem Morgen habe das Robert-Koch-Institut etwa entschieden, dass | |
aus einem Fläschchen mit dem Wirkstoff statt wie bisher fünf jetzt sechs | |
Impfdosen gezogen werden können. Das ist auf der einen Seite gut, weil sich | |
so die Anzahl der knappen Impfdosen schlagartig um ein Fünftel erhöht. Auf | |
der anderen Seite braucht Cario nun dringend mehr Impfzubehör – Kanüle, | |
Tupfer, Pflaster. Fragt man ihn, ob er die Kritik teile, dass Deutschland | |
bisher zu wenig Impfstoff besorgt hätte, zuckt er nur mit den Schultern. | |
„Viel mehr hätten wir mit den Ressourcen derzeit eh nicht verimpfen | |
können.“ | |
Immerhin, die Impfstraße in seinem Zentrum ist so gut wie fertig. | |
Anmeldung, zwei Wartezimmer, zwei Ärzt*innenzimmer, ein Ruheraum zur | |
Beobachtung nach der Impfung und der Check-out. Alles recht karg – sieht | |
man von den Papierblumen und Wandbildern der Kinder ab, die hier einst | |
betreut wurden –, aber doch so gut wie einsatzbereit. Die Polsterstühle | |
müssten noch ausgetauscht werden, da man sie nicht desinfizieren könne, | |
sagt Cario. Dann kann es losgehen. | |
Wann es tatsächlich so weit sein wird, kann im Moment noch niemand sagen. | |
Auf einer Pressekonferenz im Landratsamt, die am gleichen Tag | |
stattfindet, bekräftigt Sebastian Stoll, Stellvertreter des Landrats, dass | |
die Terminvergabe über die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes der | |
Kassenärztlichen Vereinigungen organisiert werden soll. Eine entsprechende | |
Auswahloption gibt es unter 116 117 bereits. Noch sei jedoch unklar, wer | |
die Vielzahl der Anrufe bearbeiten soll. | |
Die Organisation der Impfzentren und die Terminvergabe ist Ländersache. | |
Anders als die Verteilung des Impfstoffes. Nachdem der Landkreis Stendal am | |
26. Dezember 490 Impfdosen zugewiesen bekam, erwartet Stoll nun für die | |
kommenden Tage eine Lieferung im vierstelligen Bereich. Das könnte durchaus | |
für die Erstimpfung der restlichen Senioren- und Pflegeeinrichtungen | |
reichen – sofern sie dort überhaupt impfen können. | |
Laut bisherigen Vorgaben darf nur in Einrichtungen geimpft werden, die | |
keine Infektionsfälle aufweisen. Das sind in Stendal mit einer | |
7-Tage-Inzidenz von über 250 gerade mal sieben von 26. Man sei dabei zu | |
prüfen, ob man auch häuser- oder stationsweise vorgehen könne, sagt Stoll. | |
Geklärt werden muss auch, wie Menschen, die das Impfzentrum nicht selbst | |
erreichen können und nicht in Pflegeeinrichtungen wohnen, geimpft werden | |
sollen. | |
Um kurz nach 16 Uhr kehrt das mobile Impfteam von seinem Einsatz in | |
Seehausen zurück. Cario ruft alle zu einem kurzen Feedbackgespräch | |
zusammen. Das Team ist unzufriedener als am Vortag – was vor allem daran | |
liegt, dass viele Bewohner*innen den Impfausweis nicht bei sich hatten. | |
Carios Mitarbeiter*innen mussten reihenweise Ersatzbestätigungen | |
ausstellen. Dennoch konnten sie in knapp sieben Stunden alle 120 Impfdosen | |
verabreichen. Die Impfbereitschaft sowohl unter Bewohner*innen als auch | |
unter Pflegekräften sei sehr hoch gewesen. | |
Ein Eindruck, den Regine Roger-Knade, Leiterin des Seniorenwohnheims in | |
Seehausen, einen Tag später am Telefon bestätigt. „Wir sind froh, dass wir | |
geimpft wurden“, sagt sie. „Das gibt uns ein Stück Sicherheit.“ Die hohe | |
Impfbereitschaft von etwa 80 Prozent führt sie auf eine gute | |
Aufklärungsarbeit in ihrem Haus zurück. Und auch auf eine Vorbildwirkung. | |
Sie selbst habe sich natürlich auch impfen lassen. | |
1 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Böldt | |
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