# taz.de -- „Himbeerreich“ von Andres Veiel: Kompetenz geht anders | |
> Banker, die zugeben, sehenden Auges auf einen Abgrund zugefahren zu sein: | |
> Das Stück „Himbeerreich“ von Andres Veiel feierte Premiere in Berlin. | |
Bild: Schauspielerin Susanne-Marie Wrage als Bankerin Dr. Brigitte Manzinger | |
BERLIN taz | „Das sind kleine Flirts mit Mephisto, keine Frage, am Anfang | |
arbeitest du mit ein paar Millionen, dann kommt ’ne Null ran und dann noch | |
eine ...“ So spricht Modersohn, groß, breitschultrig, Hemd und Krawatte | |
fliederfarben. Hände in den Hosentaschen seines glänzendgrauen Anzugs, so | |
steht er vor uns auf der Bühne des Deutschen Theaters in Berlin, neben | |
Kollegen, alle elegant. Eine Frau ist darunter, so streng ihr Kostüm, so | |
hart ihre Beurteilung der Leistung anderer. | |
Sie alle blicken im ersten Teil von Andres Veiels Stück „Das Himbeerreich“ | |
auf ihre Karrieren zurück – und genießen dabei noch einmal, wie die eigene | |
Macht, die eigene Bedeutung mit jeder Null mehr wuchs. Sie schmecken dem | |
Sieg nach, dem smarten Triumph, wie ein Artist auf dem Hochseil das Risiko | |
abschätzen und die Balance halten zu können. | |
Andres Veiel hat das Stück geschrieben, basierend auf Interviews mit | |
Bankern, die einmal an der Spitze ihres Geschäfts standen und unter dem | |
Vorbehalt, anonym zu bleiben, zur Zusammenarbeit bereit waren. Schon | |
deshalb war die Erwartung hoch an die Inszenierung, eine Koproduktion des | |
Schauspiels Stuttgart und des Deutschen Theaters in Berlin. Man staunt über | |
die Offenheit in dieser Innenansicht aus dem Zentrum der Finanzwelt. | |
## Angst vor dem Verlust von Status und Perserteppich | |
Hier reden Lenker von Geschäften, die nicht erst im Nachhinein | |
feststellten, damit auf einen Abgrund zugefahren zu sein, sondern zugeben, | |
schon sehenden Auges darauf zugefahren zu sein. Aber aus Angst vor dem | |
Verlust von Status und Perserteppich im Büro dabei blieben. | |
Und weil, wie einen Schild tragen sie diese Rechtfertigung vor sich her, | |
der Ausbau der Finanzgeschäfte politisch gewollt war. „Der Deal“ ist der | |
Mittelteil des Stücks überschrieben, er erzählt von der Fusion eines | |
deutschen Geldhauses mit einer US-Bank, der Finanzmarktplatz Frankfurt | |
sollte damit gestärkt werden. Aber der US-Partner handelt mit | |
Immobilien-Krediten, zum Beispiel für Siedlungen an der mexikanischen | |
Grenze, klar sind die faul – bloß, das wollen die Entscheider gar nicht | |
wissen. | |
Ignoranz erhöht Entscheidungsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit steigert die | |
Position, das lehrt Veiels Protokoll mehrfach. Kompetenz hat man sich | |
anders vorgestellt. Oder zumindest erhofft. Der „Deal“ ist eine | |
hochspannende Episode – und auch die Weiterentwicklung des Stücks, das die | |
Banker bis zu einem Moment begleitet, wenn sie sich vor den Aufständen | |
draußen in der Bank verbarrikadieren, hat das Zeug zum Drama. | |
## Seltsam hüftsteif und blutleer | |
Trotzdem bleibt die Inszenierung von Andres Veiel seltsam hüftsteif und | |
blutleer. Es will den Schauspielern über weite Strecken einfach nicht | |
gelingen, anders als Schauspieler zu wirken, die sich Banker nur wenig | |
anderes vorstellen können, als steif in der Gegend rumzustehen. Das hat | |
nichts Smartes, nichts von der Selbstermächtigung im Wahn von der | |
Beherrschbarkeit des Marktes. | |
Natürlich gibt es Ausnahmen: Ulrich Matthes hat die Rolle des Skeptikers, | |
den Blick immer ein wenig von schräg außen auf das eigene System – das | |
steht ihm wie eine zweite Haut. Aber es ist auch der einfachste Part, nahe | |
an einem finanzkritischen Konsens. Die interessanteste Figur ist Frau | |
Manzinger, deren Eiseskälte Susanne-Marie Wrage eben nicht überspitzt, das | |
Rationale auch im Gestus über das Extravagante stellt. | |
Man denkt an andere Stücke über die Hybris der Geschäftswelt, von Falk | |
Richter etwa, oder an Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns“ über | |
die Gier und über eine Sprachproduktion, die Subjekte, Handelnde und damit | |
Verantwortliche aus ihrer Grammatik tilgt, das „Das Himbeerreich“ bleibt | |
weit dahinter zurück. | |
## Eindimensional und konventionell | |
Der Inszenierung fehlt es an Ebenen der Vergegenwärtigung dessen, was | |
erzählt wird, über den Text hinaus. Sie ist ästhetisch eindimensional und | |
konventionell – was dem Dokumentarfilmer Andres Veiel zur Tugend gereicht, | |
das Festhalten an Figuren, die Langzeitbeobachtung –, kann auf der Bühne | |
keine eigene Kraft entfalten. | |
Die Stimmen eines Chores (eingespielt aus dem Off) unterbrechen die | |
Bekenntnisse der Banker, dunkel wird es dann über der Bühne und man hört | |
von schwierigen Kindheiten, oft aus der Nachkriegszeit. Sind das jetzt | |
biografische Schnipsel aus dem Vorleben der Banker, fragt man sich. Will | |
dieser Chor schicksalsschwer eine Verbindung nahelegen zwischen Darben in | |
der Jugend und späterem Aufstiegswillen? Keine triftige Spannung will sich | |
zwischen diesen Passagen und den anderen Texten einstellen, sie suggerieren | |
Tragik und bleiben banal. Da wäre ein Verzicht weise gewesen. | |
18 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
## TAGS | |
Theater | |
Schwerpunkt Finanzkrise | |
Banken | |
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