# taz.de -- Forschung mit Droge: Urlaub auf Keta | |
> Ketamin ist im Nachtleben verbreitet. Das Narkosemittel hat aber auch | |
> eine antidepressive Wirkung. In einer Studie der Charité werden Patienten | |
> damit behandelt. | |
Bild: Voll psycho, auch ohne Ketamin: Party am Spreestrand | |
Zu dritt zwängen sie sich in die enge Toilettenkabine. Laute Bässe wummern | |
von außen gegen die Wände, Stimmengewirr. Samstagnacht in einem Berliner | |
Technoclub in der Rummelsburger Bucht. Die Toilette ist schmutzig. Auf dem | |
feuchten Boden kleben Toilettenpapierfetzen und Zigarettenstummel im grauer | |
Dreck. | |
Vorsichtig schüttet Basti* (23) etwas weißes Pulver auf das Display seines | |
Handys, das er auf die Armatur abgelegt hat. „Ketamin – wer will?“ Seine | |
Freunde grinsen und nicken. Sorgfältig und geübt verteilt Basti das Pulver | |
mit seiner Kreditkarte. Drei längliche Bahnen schiebt er zurecht. | |
Marktpreis: rund 40 Euro pro Gramm. Beim Feiern nehmen sie es regelmäßig. | |
Anfangs war sein Respekt vor der Droge groß. „Die Keta-Leute sahen nicht | |
wirklich appetitlich aus“, sagt Basti. „Viele waren kaum mehr ansprechbar | |
und schwankten ohne Kontrolle, wie betrunken, durch die Gegend.“ | |
Doch seine Neugier und die Erzählungen anderer überzeugten ihn. Anfangs | |
nahm er Ketamin nur entspannt zu Hause mit Freunden, in einer relativ | |
großen Dosis, etwa 180 bis 200 Milligramm bei 94 Kilogramm Körpergewicht: | |
„Ein wunderbarer Zustand, weit weg von der Realität“, beschreibt er den | |
Trip. | |
Eine Faszination, die Basti auch als beängstigend empfand. Er katapultierte | |
sich mit dem Stoff bewusst in ein psychisches Loch – das K-Hole – und | |
genoss das neue Körpergefühl: extrem verstärkte Wahrnehmung, psychedelische | |
Tagträume, Bewegungslosigkeit. | |
Seiner Erfahrung nach gibt es nicht „das eine Keta“ in der Clubszene. Basti | |
vermutet, dass verschiedene Substanzen als Ketamin verkauft werden. Es gebe | |
gravierende qualitative Unterschiede: Das eine macht schlapp und betrunken, | |
das andere wirkt wie LSD oder Pilze. | |
## „Keta passt zu Techno“ | |
„Ich hatte schon mal ein Keta, da sah ich psychedelische Bilder“, erinnert | |
er sich. „Ich konnte da auch extrem gut drauf tanzen. Da ist Techno einfach | |
wunderbar.“ | |
Ganz selbstverständlich rollt Basti jetzt einen 5-Euro-Schein zu einem | |
Röhrchen. Nacheinander ziehen er und seine Freunde das Pulver in die Nase. | |
Dann tanzen sie in den dunklen Hallen des Clubs: Gleitende, exstatische | |
Bewegungen im Takt der Musik, die Augen geschlossen, zufrieden lächelnd. | |
Ihre Psyche arbeitet scheinbar auf Hochtouren: „Man ist plötzlich mehr mit | |
seiner Umwelt verbunden und nimmt sehr viel wahr, zum Beispiel die | |
Körpersprache anderer“, beschreibt Basti den Zustand später, als sein Trip | |
nach einer Stunde nachgelassen hat. Oder zumindest glaube man das. Je nach | |
Dosis hält die Wirkung des Ketamins zwanzig Minuten bis eine Stunde. | |
Ob er Angst vor dem Absturz habe, den andere oft als Horror empfinden? „Ist | |
mir schon ein paar Mal passiert“, sagt Basti lachend und fährt sich durch | |
die Haare. Aber Angst habe er nicht. | |
Viele Gäste bleiben bis Montag früh, bis der Club um zehn schließt. Basti | |
geht heute schon am Sonntagnachmittag. Schlafen wird er wahrscheinlich | |
nicht können. Aber Hunger hat er. Und freut sich auf die selbst gekochte | |
Gemüsesuppe in der heimischen WG-Küche. | |
## Studie an der Charité | |
Szenenwechsel zum anderen Ende der Stadt: 11.30 Uhr in den hellen Gängen in | |
der Psychiatrie der Charité in Lichterfelde. Hier arbeitet Prof. Malek | |
Bajbouj (42). Der Psychiater behandelt im Rahmen einer Studie schwer | |
depressive Patienten mit Ketamin. Gerade kommt er von der Station in sein | |
Arbeitszimmer. In seinem weißen Arztkittel strahlt er Autorität und | |
Vertrauen aus. Seine ruhige Stimme und das feine Lächeln wirken beruhigend. | |
Seit 2013 arbeitet Bajbouj mit Ketamin. Die Substanz, die in der Human- und | |
Veterinärmedizin als Narkose- und Schmerzmittel eingesetzt wird, ist seit | |
Langem für ihre antidepressive Wirkung bekannt. Für einige depressive | |
Patienten kann das Ketamin, wenn andere Behandlungen erfolglos waren, die | |
letzte Rettung sein. Es reguliert Botenstoffe wie Glutamat, Serotonin, | |
Adrenalin und Dopamin, die bei depressiven Patienten gestört sind, erklärt | |
Bajbouj. Der Stoffwechsel normalisiert und der Zustand des Patienten | |
verbessert sich – bei einigen sogar schon nach wenigen Stunden. Die | |
Patienten sind jung, alt, männlich, weiblich. Ein eindeutiges Muster ist zu | |
diesem Zeitpunkt der Studie noch nicht erkennbar. | |
Allerdings ist nicht jeder Patient für die Behandlung geeignet. Etwa | |
solche, die eine Suchterkrankung hatten oder haben. „90 Prozent der | |
Patienten, die sich in der Sprechstunde vorstellen, kommen nicht infrage“, | |
erklärt Bajbouj. Darunter auch einige „scheinbare“ Kranke, die es bloß auf | |
das Ketamin abgesehen haben. Die Patienten müssen sich einem mehrstufigen | |
Screening unterziehen. | |
Bajbouj überrascht der Missbrauch des Stoffs in der Technoszene nicht: | |
„Gesunde Menschen erleben mitunter auch positive, dissoziierende Effekte | |
dabei“, sagt er nüchtern. „Man schwebt und nimmt Dinge nur aus der | |
Entfernung wahr.“ Ein bisschen wie Urlaub im Kopf. Dass der Stoff als | |
Partydroge in Berlin sehr beliebt ist, weiß er von den Kollegen aus der | |
Notaufnahme. Regelmäßig würden dort Menschen mit Vergiftungen und | |
Horrortrips eingeliefert. | |
Über so viel Verantwortungslosigkeit im Umgang mit dem Stoff schüttelt der | |
Arzt nur den Kopf. „Als wir mit dem Verfahren angefangen haben, waren die | |
Nebenwirkungen unsere größte Befürchtung“, sagt er dann. Doch bei weniger | |
als fünf Prozent seiner Patienten traten negative Effekte auf. Das liegt | |
auch an der Art der Verabreichung des Medikaments: Die Menschen bleiben | |
stationär an der Charité unter strenger ärztlicher Beobachtung und erhalten | |
maximal sechs Infusionen je vierzig Minuten lang. Die genaue Dosierung | |
möchte Bajbouj nicht verraten – Missbrauchsgefahr. | |
Wirkt das Mittel, muss der positive Zustand aufrechterhalten werden. „Doch | |
das können wir nicht mit Ketamin“, sagt Bajbouj. Es fehlt noch an | |
Untersuchungen, um die Langzeitwirkungen des Medikaments zu beobachten. In | |
der Regel machen die Patienten anschließend eine Therapie oder bekommen | |
andere Medikamente. Deshalb warnt Bajbouj vor voreiligen Schlüssen: „Es ist | |
kein Wundermedikament.“ Nach bisherigen Untersuchungen wirkt es bei etwa | |
einem Drittel der Patienten sofort, bei einem Drittel verzögert, aber auch | |
bei einem Drittel gar nicht. Um herauszufinden, bei wem, will Bajbouj | |
weiterforschen – um eine Zulassung als Antidepressivum möglich zu machen. | |
In der Geschichte der Medizin wurden schon häufig medizinische Experimente | |
mit Rauschmitteln gemacht. Keines davon wurde zugelassen. „Kokain zum | |
Beispiel wirkt wahrscheinlich brillant als Antidepressivum“, erklärt | |
Bajbouj verschmitzt, „aber es hätte einfach ein zu hohes Suchtpotenzial.“ | |
Nicht so bei Ketamin. Deshalb forschen die Mediziner weiter. Ab Frühjahr | |
2015 beginnen Bajbouj und seine Kollegen an der Charité eine Studie, um die | |
Langzeiteffekte zu beobachten – mit Ketamin als Nasenspray. Basti fände das | |
praktisch: „Obwohl dann natürlich der obligatorische Toilettengang | |
wegfällt, ohne den ein Clubbesuch kein Clubbesuch wäre.“ | |
## * Name geändert | |
24 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Sophie Krause | |
## TAGS | |
LSD | |
Studie | |
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