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# taz.de -- Ein Staat in Angst: Ein Erbe des RAF-Terrors
> Der Terror und die Sicherheitshysterie der 70er Jahre treffen uns noch
> heute. Denn die damals erlassenen Gesetze schränken die Freihheitsrechte
> immer noch ein.
Bild: Nach dem Überfall des RAF-Kommandos "Holger Meins": Außenminister Hans-…
"Wer den Rechtsstaat zuverlässig schützen will, der muss innerlich auch
bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was im Rechtsstaat erlaubt
ist." Das ist kein neues Aufreger-Zitat von Innenminister Wolfgang Schäuble
(CDU). Sondern ein Satz, den der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt
(SPD) 1975 nach dem RAF-Überfall auf die deutsche Botschaft von Stockholm
sagte.
So wie heute der islamistische Terror zu heftigen rechtspolitischen
Debatten und neuen Gesetzen führt, tat dies in den 70er-Jahren auch die
RAF. Mit zahlreichen Gesetzen versuchte die sozialliberale Koalition der
Terroristentruppe beizukommen. Gemäßigte und radikale Linke sahen dadurch
elementare Freiheitsrechte bedroht. "Wenn der Gesetzgeber auf dem
eingeschlagenen Wege fortschreitet, wird er den freiheitlichen Rechtsstaat
zu Tode schützen", warnte damals der angesehene Bonner Strafverteidiger
Hans Dahs.
Viele der Anti-Terror-Gesetze sind in Vergessenheit geraten. Manche, wie
das 1977 erlassene Kontaktsperregesetz, wurden sogar nie wieder angewandt.
Das widerlegt auch die Vermutung, der Staat nutze jede neue Kompetenz
zwangsläufig exzessiv aus. Andere Vorschriften, wie die Strafbarkeit der
terroristischen Vereinigung, sind aber heute noch relevant - und
umstritten. Fünf Gesetzespakete wurden in den 70er-Jahren speziell gegen
die RAF beschlossen, fast alle sind noch in Kraft:
Als 1974 der große Stammheim-Prozess gegen die erste RAF-Generation
bevorstand, veränderte der Staat einfach die Spielregeln. Es war das erste
direkt auf die Terrorgruppe gemünzte Gesetz, auch "Lex RAF" genannt. Es
empörte vor allem die linke Anwaltschaft und führte später zur Gründung der
Bürgerrechtsorganisation Republikanischer Anwaltverein (RAV).
Ein Angeklagter darf seitdem nur noch drei Verteidiger haben. Damit wollte
der Gesetzgeber verhindern, dass jeder RAF-Gefangene Dutzende von Anwälten
beschäftigt, die freien Zugang zum Gefängnis haben und vor allem der
RAF-internen Kommunikation dienen. Die Regel ist heute ohne Bedeutung.
Selbst Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann kam im Mannesmann-Verfahren mit
zwei Anwälten aus.
Des Weiteren darf ein Anwalt pro Verfahren nur noch einen Angeklagten
verteidigen. Das verteuert Prozesse für Angeklagte bis heute, denn diese
können keinen gemeinsamen Anwalt beauftragen.
Außerdem konnten Anwälte, die im dringenden Verdacht stehen, Straftaten der
Angeklagten zu unterstützen, nach der "Lex RAF" vom Prozess ausgeschlossen
werden. Im Stammheim-Verfahren traf dies drei Verteidiger von Andreas
Baader, darunter den heutigen grünen Fraktionsvize im Bundestag, Christian
Ströbele. Auch heute wird die Regelung gelegentlich angewandt.
Eine weiterer Punkt der Neuregelung besagte, dass ein Prozess auch ohne
Angeklagte fortgeführt werden kann. Und zwar dann, wenn diese sich
beispielsweise durch einen Hungerstreik gezielt verhandlungsunfähig machen.
Heute hat diese Vorschrift kaum noch Bedeutung.
Neu eingeführt wurde 1976 das Verbot, Straftaten "verfassungsfeindlich zu
befürworten" und "anzuleiten". Trotz heftiger Kritik in der sozialliberalen
Koalition, wo Abgeordnete die neuen Paragrafen als Gefahr für freie
Diskussion, Kunst und Literatur empfanden, beschloss der Bundestag das
Gesetz einstimmig. Tatsächlich wurde nur wenige Monate später eine
bundesweite Razzia bei linken Buchläden auf die neuen Paragrafen gestützt,
freilich ohne dass dies zu Verurteilungen führte. 1981 schaffte die
Regierung die Paragrafen auf Wunsch der FDP wieder ab. Die "Anleitung zu
Straftaten" wurde allerdings 1986 erneut unter Strafe gestellt. Im
September 2007 sagte Justizministerin Zypries (SPD), sie plane, das
"Anleiten zu Gewalttaten" mit bis zu drei Jahren Haft zu bestrafen.
Darunter fiele unter anderem das Veröffentlichen von Tipps zum Bombenbau im
Internet.
Der 1976 ebenfalls neu eingeführte Paragraf 129 a des Strafgesetzbuches
stellte die Bildung einer terroristischen Vereinigung unter Strafe. Er
erlaubt das Ermitteln und Bestrafen, ohne konkrete Tatbeiträge zu einem
Anschlag nachweisen zu müssen. Auch Unterstützung und Werbung sollten
strafbar sein.
Die Einführung des 129 a sorgte damals für relativ wenig Wirbel, weil schon
seit Jahrzehnten der Paragraf 129 die Bildung krimineller Vereinigungen
unter Strafe stellte. Als solche galt bis dahin auch die RAF. Neu war vor
allem, dass bei terroristischen Organisationen generell die
Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernimmt und Verdächtige in solchen
Verfahren auch ohne Flucht- und Verdunkelungsgefahr in U-Haft genommen
werden können. In den Strafurteilen gegen RAF-Mitglieder spielte 129 a
meist keine eigenständige Rolle. Diese wurden oft zu lebenslanger Haft
wegen Mordes verurteilt, weil ihnen konkrete Tatbeiträge bei Anschlägen
zugerechnet wurden oder weil sie bei der Festnahme auf Polizisten schossen.
Die Bundesanwaltschaft nutzt diese Vorschrift aber immer wieder zu
Ermittlungen, hauptsächlich in der linken Szene. 1986 wurden auch militante
AKW-Gegner zu Terroristen erklärt, wenn sie Strommasten absägen oder
Bahnstrecken sabotieren. Seit 2003 ist die bloße Sympathiewerbung für eine
Terrorgruppe nicht mehr strafbar. Auch sollen militante Brandanschläge
nicht mehr als Terrorismus verfolgt werden. Die Bundesanwaltschaft versucht
jedoch bis heute, die Novellierung zu ignorieren, wie die aktuellen
Ermittlungen gegen militante linke Gruppen zeigen. Weil sich islamistische
Terroristen selten in festen Vereinigungen organisieren, plant die
Justizministerin derzeit die Einführung einer neuen Strafvorschrift für die
"Vorbereitung von Straftaten". Personen, die ein Terrorcamp besuchen und
danach einen Anschlag begehen wollen, sollen so bestraft werden können. Der
129 a ist heute das relevanteste und umstrittenste der damals erlassenen
Gesetze, weil stets die Gefahr droht, dass er nicht nur auf klassische
Fälle von Terrorismus angewendet wird.
Das erste Anti-Terror-Paket brachte auch neue Einschnitte für die
Strafverteidiger. In Terrorverfahren können diese seitdem ihre Post nicht
mehr unkontrolliert an Häftlinge schicken. Sie muss von einem
"Lese-Richter" kontrolliert werden, der sonst nichts mit dem Prozess zu tun
hat. Anwaltsverbände fordern die Abschaffung dieser Vorschrift. Anlass der
Regelung war ein von Anwälten betriebenes Info-System zwischen
RAF-Gefangenen, für das einige Anwälte strafrechtlich verurteilt wurden.
Kontaktsperregesetz
Am 6. September 1977, einen Tag nach der Entführung des
Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, begann eine Kontaktsperre für
rund 70 Gefangene, die der RAF zugerechnet wurden. Sie durften von nun an
weder untereinander noch mit der Außenwelt kommunizieren. Das hatte der von
Kanzler Helmut Schmidt (SPD) geleitete Große Krisenstab beschlossen. Er
wollte so verhindern, dass die inhaftierten RAF-Gefangenen die
Schleyer-Entführer steuern können. Eine gesetzliche Grundlage gab es für
die Kontaktsperre nicht. Die Bundesregierung berief sich deshalb auf
"rechtfertigenden Notstand". Gerichte erlaubten daraufhin einigen Anwälten,
ihre Mandanten zu besuchen. Als die Behörden diese Urteile missachteten,
starteten die Anwälte ein Eilverfahren beim Bundesverfassungsgericht. Erst
dann brachte die Bundesregierung das so genannte Kontaktsperregesetz in den
Bundestag ein. Nur drei Tage beriet das Parlament und beschloss das Gesetz
Ende September. Die Kontaktsperre endete am 20. Oktober 1977, zwei Tage
nach Schleyers Ermordung. Das Gesetz wurde nur dieses eine Mal angewandt.
Trotz der Sperre konnten sich die Stammheimer RAF-Gefangenen über eine
selbstgebastelte Gegensprechanlage verständigen. Möglicherweise hat der
Staat dies geduldet, um die Gespräche der Häftlinge illegal abhören zu
können.
Zweites Anti-Terror-Paket
Dieses Gesetz wurde wenige Tage nach dem Mord an Hanns Martin Schleyer im
Oktober 1977 auf den Weg gebracht und im folgenden Jahr beschlossen.
Seit dieser Zeit muss ein Verteidiger persönliche Gespräche mit einem
terrorverdächtigen Mandanten durch eine Trennscheibe führen. Zuvor war
bekannt geworden, dass RAF-Anwalt Arndt Müller in einer präparierten Akte
Waffen und Sprengstoff nach Stammheim geschmuggelt hatte. Die Trennscheibe
scheidet heute noch bei jedem Terrorverfahren Angeklagten und Verteidiger.
Anwaltsverbände halten das für überzogen.
Zudem erhielt die Polizei ausdrückliche Befugnisse für Methoden, die sie
schon vorher praktiziert hatte: für die Durchsuchung ganzer Hochhausblocks
bei der Terroristensuche und für das Errichten polizeilicher
Kontrollstellen, die zuvor als Verkehrskontrollen ausgegeben wurden. Die
vom damaligen Chef des Bundeskriminalamtes, Horst Herold, entwickelte
Rasterfahndung wurde dagegen erst 1992 gesetzlich geregelt.
18 Oct 2007
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Rote Armee Fraktion / RAF
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