# taz.de -- 30 Jahre Deutscher Herbst: „Die RAF war nicht ganz so schlicht“ | |
> Grundlegenden Antisemitismus könne man den Terroristen auch nicht | |
> vorwerfen, meint Journalist Willi Winkler. Über die Beziehung der RAF zu | |
> Medien, Intellektuellen und Regierung. | |
Bild: Hätte der Staat 1972 milder auf die Terrorakte der RAF reagiert, wäre e… | |
taz: Herr Winkler, die RAF hat sich stets antifaschistisch genannt. War das | |
authentisch – oder nur eine Selbstrechtfertigung? | |
Willi Winkler: Joachim Fest war wie viele der Meinung, dass der | |
Antifaschismus eine nachträgliche, nachgeschobene Begründung der RAF war. | |
Er hätte es besser wissen müssen, weil er die Journalistin Ulrike Meinhof | |
ja in den 60ern gut gekannt hatte. Die Generation von Ulrike Meinhof ist | |
nicht unbeeindruckt von der NS-Zeit aufgewachsen. Das war schlicht | |
unmöglich. Die Verdrängung der NS-Zeit, die Eltern, die keine Antworten | |
wussten, eben das, was das ehemalige NSDAP-Mitglied Hermann Lübbe das | |
„kommunikative Beschweigen“ nannte: das waren prägende Erfahrungen. Die | |
verdrängte NS-Zeit wird Mitte der 60er Jahre durch den Vietnamkrieg und die | |
Nibelungentreue der Bundesregierung zu den USA aktualisiert. Es entstand | |
das Bewusstsein: Der Faschismus kommt wieder. Er war die ganze Zeit latent | |
vorhanden, jetzt wird er akut. | |
Der Faschismus kommt näher… Das hat Züge einer Dramatisierung, eines | |
theatralischen Effekts… | |
Ja, es ist typisch journalistisch: wie eine Inszenierung, und die | |
Journalistin Ulrike Meinhof hat daran nicht als einzige mitgewirkt. | |
Kann man die Geschichte der RAF eigentlich als Mediengeschichte erzählen? | |
Weitenteils, ja. Ulrike Meinhof war Chefredakteurin von konkret, die damals | |
eine einflussreiche Zeitung war. Das Gründungsmanifest der RAF von Ulrike | |
Meinhof erscheint im Spiegel. | |
Die Gründungserklärung der RAF war ein Spiegel-Text? | |
Ja, das kann man so sehen. Natürlich distanziert sich die Redaktion in der | |
Einleitung – aber Tatsache ist, dass Meinhof diesen Text für den Spiegel | |
diktiert hat. Der Stern hatte es übrigens abgelehnt diesen Text zu drucken, | |
weil Meinhof dafür 20000 Mark verlangte, als Spende für Heimkinder. | |
Welche Rolle spielt der Spiegel für die RAF? | |
Ich glaube, RAF und Spiegel haben sich gesucht, gefunden und gebraucht. Ein | |
Höhepunkt dieser Beziehung war, dass im Spiegel ein Interview mit den | |
Gefangenen in Stammheim erschien – Fragen und Antworten wurden per Kassiber | |
in das Gefägnis geschmuggelt. Der Spiegel war aktiv an diesem | |
Informationsfluss beteiligt. Später gehen die reuigen RAF-Täter natürlich | |
zum Spiegel, um ihre Beichten abzulegen. | |
Irritierenderweise gibt es bei den Linksradikalen und auch der RAF, trotz | |
ihres antifaschistische Selbstverständisses, eine antisemitische | |
Unterströmung… | |
Der RAF einen grundlegenden Antisemitismus vorzuwerfen, ist zwar groß in | |
Mode, aber das führt schon deshalb nicht weiter, weil nicht einmal die RAF | |
so schlicht war, wie sie heute gern verstanden wird. | |
Aber der Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus 1969 in Berlin und Ulrike | |
Meinhofs Lob der Entführung der israelischen Sportler 1972 in München sind | |
Fakten. | |
Nach allem, was man weiß, sind für den Anschlag auf das Jüdische | |
Gemeindehaus zwei Gruppen verantwortlich: die Berliner Tupamaros um Dieter | |
Kunzelmann und der Berliner Verfassungsschutz. War der etwa auch | |
antisemitisch? Aber es ist richtig, dass auch die RAF in den Antisemitismus | |
abstürzt. Ulrike Meinhof vergleicht den israelischen Verteidigungsminister | |
Moshe Dayan mit Himmler. | |
Und warum? Warum übersehen refektierte Intellektuelle, dass sie zufällig | |
die gleiche Feind bekämpfen wie die Nazis: die USA und die Juden? Woher | |
kommt dieser blinde Fleck? | |
Dass dies moralisch skandalös ist, dass kein denkender Mensch tun darf, was | |
die RAF tat, ist doch klar. Man muss den Zusammenhang sehen. 1967, als | |
Israel im Sechs-Tage-Krieg triumphiert, schreibt der Spiegel jubelnd vom | |
„Blitzkrieg“. In der westdeutschen Republik gab es damals einen | |
scheinheiligen verordneten Philosemitismus, der kompensieren sollte, was | |
man NS-Verarbeitung versäumt hatte. Diese Israel-Solidarität hatte etwas | |
Schlachtbummlerisches, sie war grauslig. In einer Schlüsselszene spricht | |
Günter Grass im Juni 1967 in Berlin vor Studenten und fordert sie auf, sich | |
mit Israel solidarisch zu erklären. Die Studenten sind taub aber dafür, sie | |
wollen nicht um Israel bangen, sondern um ihren Toten trauern, um Benno | |
Ohnesorg. Und sie haben das Gefühl, dass diese Trauer nichts gelten soll in | |
einer Stadt, die von der israelbegeisterten Springer-Presse beherrscht | |
wird. | |
Es gibt also eine Mechanik: Die Mehrheit ist proisraelisch, die meisten | |
Linksradikalen sind dagegen. Warum aber dauert es in linksterroristischen | |
Kreisen bis 1991, ehe dort, wenigstens bei den Revolutionären Zellen, das | |
Problem überhaupt erkannt wird? | |
Die RAF war allenfalls zu Beginn zur Reflexion in der Lage. Die Texte | |
werden schnell völlig hermetisch und nach innen gerichtet. Spätestens nach | |
1972 lebt die RAF völlig losgelöst im Raumschiff. Die deutschen | |
Revolutionäre ließen sich von den Palästinensern ausbilden, die ständig | |
damit drohten, die Juden ins Meer zu treiben. Diese Verbindung zu den | |
Palästinensern entstand aber nicht etwa aus einem gemeinsamen | |
Antisemitismus, sondern weil sich die Linksradikalen Ende der 60er Jahre | |
die Waffenbrüderschaft mit einer Befreiungsbewegung suchten. Die Guerilla | |
in Lateinamerika war zerschlagen, Vietnam war zu weit weg. In Palästina gab | |
es, ein paar Flugstunden entfernt, ein unterdrücktes Volk, und Israel ließ | |
sich da leicht zum Aggressor aufbauen. Dabei sollte man nicht vergessen, | |
dass sich auch andere mit der arabischen Sache solidarisiert haben. Zehn | |
Jahre zuvor führte der SPD-Mann Wischnewski, Spitzname Ben Wisch, das Konto | |
für die algerische Befreiungsbewegung FLN. Die FLN war auch keine | |
Organisation, der das Schicksal Israels sehr am Herzen gelegen hätte. Dass | |
die RAF antisemitisch und sonst nichts war, das ist viel zu schlicht. | |
Es geht nicht darum zu sagen: Die RAF war nun alles bösartige gleichzeitig, | |
totalitär, stalinistisch und antisemitisch. Sondern zu verstehen, dass sich | |
schon die Studentenbewegung und Gesellschaft gegenseitig als Nazis | |
verdächtigen. | |
Ja, der Vergleich war damals allgegenwärtig. Auch Adorno sagte: „Die | |
Studenten haben so ein wenig die Rolle der Juden übernommen.“ Peter Szondi, | |
der Bergen-Belsen überlebt hatte, hört sich wie ein RAF-Theoretiker an, | |
wenn er nach den Übergriffen der Berliner Polizei 1967 schreibt: „Hier wäre | |
das Zusehen entwürdigend.“ | |
Die RAF radikalisiert dieses Bild: Sie inszeniert sich, in der Tradition | |
des 2. Juni 1967, als Opfer des neuen Faschismus. Mit dieser | |
Selbstvictimisierung rekrutiert sie ihren Nachwuchs. Holger Meins, der sich | |
1974 zu Tode hungert , sieht aus wie ein KZ-Häftling.. | |
Meins sieht, auf dem Foto, das nicht die RAF, sondern der Stern | |
veröffentlichte, aufgebahrt eher aus wie ein Mönch. Das ist der katholische | |
Rest – der Märtyrer, der für uns gestorben ist und dem wir es nachtun | |
müssen. Hans Joachim Klein hat genau das beschrieben als er sagte: Ich | |
brauchtE dieses Bild nur ansehen, dann habe ich die Waffe in die Hand | |
genommen. | |
Jan Philip Reemtsma meint, dass für die RAF ein Motiv fundamental ist: Die | |
Machtausübung über Gewalt. Erklärt diese These die RAF? | |
Nein, ohne moralischen Furor wäre die RAF nie gegründet worden. Dieser | |
Furor hatte mit dem Vietnamkrieg zu tun. Niemand hat die USA so geliebt wie | |
die Westdeutschen, ohne die abgrundtiefe Enttäuschung über die USA wegen | |
des Vietnamkrieges kann man weder 68 noch die RAF verstehen. | |
Gab es eigentlich wirklich RAF-Sympathsianten? Oder war das nur eine | |
Erfindung der Reaktion, um die Linke zu denunzieren? | |
Beides. Die RAF führte aus, wovon damals eine eher kleine Gruppe träumte, | |
die selbst niemals zur Waffe. | |
INTERVIEW STEFAN REINECKE | |
17 Oct 2007 | |
## TAGS | |
Rote Armee Fraktion / RAF | |
Rote Armee Fraktion / RAF | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ein Staat in Angst: Ein Erbe des RAF-Terrors | |
Der Terror und die Sicherheitshysterie der 70er Jahre treffen uns noch | |
heute. Denn die damals erlassenen Gesetze schränken die Freihheitsrechte | |
immer noch ein. | |
Ein Staat in Angst: Ein Erbe des RAF-Terrors | |
Der Terror und die Sicherheitshysterie der 70er Jahre treffen uns noch | |
heute. Denn die damals erlassenen Gesetze schränken die Freihheitsrechte | |
immer noch ein. |