# taz.de -- Denkmalstreit in Tschechien: Held versus Verräter | |
> Ein Prager Politiker will dem früheren russischen General Wlassow ein | |
> Denkmal setzen. Der lief im 2. Weltkrieg zur Wehrmacht über. Moskau | |
> protestiert. | |
Bild: Liebt die Provokation: Pavel Novotný | |
Prag taz | Hinter den Plattenbauten, wo Tschechiens Hauptstadt Prag von der | |
Stadt ins Land übergeht, liegt Řeporyje: 74 Straßen, 787 Häuser, 4.500 | |
Einwohner. 1974 als Prag 13 eingemeindet, hat sich Řeporyje seinen | |
dörflichen Charakter dennoch erhalten. Wahrzeichen ist neben der | |
romanischen Peter-und-Paul-Kirche ein riesiger Getreidesilo. | |
Und Pavel Novotný. Der 38-Jährige vertritt seit 2010 die konservative ODS | |
im Ortschaftsrat und steht seit 2018 an dessen Spitze. Als Sohn eines | |
Entertainers ist Novotný, bekennender Lokalpatriot, in Řeporyje | |
aufgewachsen. Bevor er seine politische Karriere zum Fulltimejob machte, | |
war Novotný als Boulevardjournalist bekannt, der ziemlich respektlos mit | |
C-Promis umzugehen wusste. | |
Aber auch mit sich selbst. In dem Dokumentarfilm „Arbeiter des Boulevards“ | |
stellte Novotný den Zynismus der Branche bloß. Und dann auch sich selbst. | |
Bis heute berüchtigt, weil wohl dokumentiert, ist sein Auftritt, in dem er | |
seinen nackten Hintern in die Kameras streckt. Spätestes seitdem ist klar: | |
Gesegnet mit dem Selbstbewusstsein der „goldenen Jugend“, wie die Tschechen | |
ihre Promikinder nennen, ist Novotný einer, der es versteht, Gestik mit | |
Provokation zu verbinden. | |
Einer, der sich nicht sagen lassen muss, wie er seinen Job machen soll. Und | |
schon gar nicht von irgendwelchen Russen. Hat Russland es doch gewagt, | |
gegen Novotnýs Pläne zu protestieren, dem russischen General Andrej Wlassow | |
in Řeporyje ein Denkmal zu bauen. Nicht nur Řeporyje, ganz Tschechien würde | |
so seine internationalen Verpflichtungen verletzen, denn Kriegsverbrechen | |
verjähren nicht, erklärten die Russen in einer diplomatischen Note. | |
Wlassow gilt in Russland als der größte Verräter im Großen Vaterländischen | |
Krieg und überhaupt. Zuerst ein gefeierter Kriegsheld, wechselte Wlassow | |
1942 die Seite und verbündete sich mit der Wehrmacht. An deren Seite | |
kämpfte er mit seiner Russischen Befreiungsarmee gegen Stalin, bis er sich | |
im Mai 1945 plötzlich in Řeporyje befand. In Prag war am 5. Mai ein | |
Aufstand gegen die deutschen Besatzer ausgebrochen, die, obwohl auf dem | |
Rückzug, brutal zurückschlugen. In Řeporyje wechselte Wlassow erneut die | |
Seite und half so, schlimmere Massaker an der Zivilbevölkerung zu | |
verhindern. Grund genug für Pavel Novotný, dem General ein Denkmal zu | |
widmen. | |
Die Russen haben ihm da gar nix zu sagen. Schließlich beharren die auf dem | |
Denkmal für Marschall Konew ein paar Kilometer weiter nördlich in Prag 6. | |
Iwan Stepanowitsch Konew wird bis heute in Russland als der Held gefeiert, | |
der Auschwitz befreit hat. In Řeporyje hingegen gilt der spätere | |
Oberkommandant der Truppen des Warschauer Pakts als Unterdrücker. | |
Diplomatische Noten austeilen kann Pavel Novotný als Stadtteilbürgermeister | |
nicht. Zurückschlagen ja. Bewaffnet mit der blau-weiss-gelben Fahne von | |
Řeporyje, setzte sich Novotný am vergangenen Mittwoch in eines von zwei | |
städtischen Nutzfahrzeugen und machte sich auf zur russischen Botschaft in | |
Prag 6, um einen Brief an Wladimir Putin zu übergeben. „Ich habe andere | |
Sorgen, als auf eine inhaltlich und argumentativ schwache Erklärung eines | |
Staates zu reagieren“, schreibt er an die „liebe, freche Russische | |
Föderation“. Řeporyje schulde den Russen nichts. „Wenn wir meinen, wir | |
schulden Wlassow ein Denkmal, bauen wir das.“ Russlands Reaktion kam | |
prompt: Es verbot Tschechiens Landwirtschaftsminister, der mit einer | |
Delegation in Russland unterwegs war, nach Tatarstan zu fliegen, und | |
schickte ihn nach Tschechien zurück. | |
30 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
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