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# taz.de -- Vaclav Havel-Gefährte über Prager Frühling: "Wir Tschechen sind …
> Keine Panzer, kein territorialer Disput: Der tschechische Schriftsteller
> und Prager Frühling-Wortführer Pavel Kohout sieht keine Parallele
> zwischen Russlands Georgieninvasion und dem Prager Frühling.
taz: Herr Kohout, als Sie vom Einmarsch russischer Truppen in Georgien
hörten, mussten Sie da auch an die Niederschlagung des Prager Frühlings
denken?
Pavel Kohout: Überhaupt nicht. Ich wüsste nicht, warum ich daran denken
sollte. Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun.
Vielleicht liegt es ja auch am 40. Jahrestag. Aber viele, angefangen mit
Condoleezza Rice, sehen da Parallelen.
Das ist deren Sicht. Die Tschechen und Slowaken haben niemanden beschossen,
sie haben auch keinen territorialen Disput gehabt und nirgendwohin Panzer
geschickt. Das Einzige, was den Einmarsch in Georgien mit dem in der
Tschechoslowakei 1968 verbindet, ist, dass es in beiden Fällen um einen
russischen Überfall ging. Die russische Politik ist halt so.
Was haben denn die EU, die Nato oder Deutschland falsch gemacht in ihrer
Russland-Politik?
Die EU ist nach wie vor sehr schwach in ihrer Außenpolitik. Man muss ja nur
an das Kosovo denken. Das wurde nach ganz anderen Maßstäben beurteilt als
heute die Situation im Kaukasus. Das ist nicht in Ordnung.
Kosovo, die Nato-Erweiterung, der geplante US-Raketenschild in Tschechien
und Polen: Provoziert der Westen Russland nicht ein bisschen?
Die Russen wissen doch genau, dass der Raketenschild nicht gegen sie geht.
Das wurde doch alles schon zur Genüge erklärt. Ein politisches Spiel.
Haben die Tschechen Angst vor den Russen?
Wir Tschechen sind sehr rational. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man
Russland für den richtigen Schirmherrn gehalten, weil der andere, also
England und Frankreich, ja so versagt hatte. Die Russen haben dann den
großen Fehler gemacht, dass sie in ein Land einmarschiert sind, mit dem sie
nie in Konflikt waren. Tschechen und Russen haben ja nie gegeneinander
gekämpft. Deswegen war der Überfall ja auch so schrecklich. Dann hat man
sie natürlich gehasst, wie man eben alle Okkupanten hasst. Als die Russen
dann nach Hause gingen, haben manche tschechische Frauen geweint, weil
ihnen die jungen Soldaten leidtaten, die da, in Waggons gepfercht, ins
Ungewisse fuhren. Und jetzt sieht man, dass sich Russland im Prinzip nicht
geändert hat. Also zieht man Konsequenzen - indem man sich mehr an den
Westen hält.
Und Sie persönlich? Viele Tschechen schauen doch mit einem eher flauen
Gefühl gen Osten.
Ich beurteile Länder nicht nach ihrer politischen Führung. Ich bewundere
die Russen für ihre unheimliche Geduld, mit der sie wirklich alles
ertragen. Seit Jahrhunderten. Was den Russen fehlt, ist so etwas wie die
Französische Revolution. Die führte letztendlich zur Demokratie. Sieht man
sich die russische Revolution und die russische Geschichte an, wird klar,
dass man ihnen noch Zeit, aber auch auf sie Acht geben muss.
Fehlt den Tschechen nicht auch eine Revolution?
Warum auch? Hier gab es schon im Mittelalter bei den Hussiten demokratische
Ansätze. Und dann gab es es die braven Österreicher, die ihre Tschechen in
die Demokratie eingeführt hatten. Tschechien war schon am Ende des 19.
Jahrhunderts ein ziemlich demokratisches Land. So hat man zum Beispiel
seine Probleme mit Deutschen und Österreichern nicht in Straßenkämpfen
ausgetragen, sondern in Frankfurt und Wien in den Parlamenten gelöst.
Hat sich diese demokratische Tradition in den Reformversuchen des "Prager
Frühlings" widergespiegelt?
Von heute aus, also mit genügend Zeitabstand betrachtet, ging es nicht
darum, die Quadratur des Kreises zu lösen. Der Sozialismus sowjetischer
Prägung war nicht zu verbessern. Aber es ging darum, dieses Land bewohnbar,
das System erträglich zu machen. Und das hat man auf tschechische Art
gemacht. Denn die früheren Versuche in Berlin, Posen oder Budapest führten
nur zu Barrikaden und Blutvergießen. Die Tschechen haben versucht, die
Kommunistische Partei von innen zu öffnen. Das war auch nur hier möglich,
denn die Partei hatte damals eineinhalb Millionen Mitglieder.
Hunderttausende waren nach dem Krieg mit besten Absichten der Partei
beigetreten. Die waren dann die treibende Kraft des Reformversuches.
Sie hatten wohl nicht mit dem stalinistischen Terror gerechnet, der in den
50er-Jahren folgen sollte.
Ja, das waren anständige Menschen mit guten Vorstellungen. Als die merkten,
dass sie den Teufel mit dem Beelzebub austrieben, schämten die sich
plötzlich und wollten das System korrigieren.
Hat die Niederschlagung dieses Reformversuchs, also der letzte Beweis für
die Unreformierbarkeit des Systems, die Samen für 1989 gesät?
Der Niedergang der Sowjetunion war die Folge vieler Komponenten, vor allem
einer weisen Politik des Westens. Damals haben zwar Millionen Deutsche
gegen die Stationierung von Pershing-Raketen protestiert, aber die waren
der einzige Weg, die Sowjets an den Verhandlungstisch zu bringen. Die
Dissidenten, Bürgerbewegungen wie die Charta 77, waren natürlich auch
wichtige Komponenten. Aber sicher nicht die entscheidende. Auch die Sterne
waren uns diesmal gnädig.
War es nicht gerade die brüderliche Okkupation der Tschechoslowakei, die
vielen die letzte Illusion über die Zukunft des Sozialismus genommen hat?
Ja sicher. Im Gegensatz zur DDR wusste man hier am 21. August 1968, dass
die Partei nicht reformierbar ist. Deshalb musste ich lachen, als im Herbst
1989 der ehrwürdige Schriftsteller Stefan Heym und Stasi-Chef Mischa Wolf
gemeinsam von einem Lkw auf dem Berliner Alexanderplatz aus den Sozialismus
mit menschlichem Antlitz verkündeten.
Viele Tschechen stehen heute den Reformversuchen des Prager Frühlings kühl
bis kritisch gegenüber.
Aber das ist die Generation derer, die sich an der Normalisierung der 70er-
und 80er-Jahre mitschuldig gemacht haben. Die Parteiführung und die
Staatsführung hatten total versagt. Denn trotz der Unterstützung von 15
Millionen Menschen haben sie das schändliche Moskauer Protokoll
unterschrieben. Danach gab es viele, die den Lauf der Geschichte zu ihrem
Vorteil genutzt haben. Denn man hat eine halbe Million Menschen nicht nur
aus der Partei geworfen, sondern auch von ihren Posten entfernt. Und auf
die gab es dann einen großen Andrang. Die größten Antikommunisten traten
auf einmal der Partei bei und wurden konform. Viele haben heute ein
schlechtes Gewissen.
Wie erlebten Sie den 21. August 1968?
Im August 1968 fuhren meine Freundin und ich nach Salzburg, um dort zu
heiraten. Unsere Papiere kamen nicht, also fuhren wir inzwischen weiter
nach Italien. In San Marino stellten wir dann fest, dass wir nicht
miteinander leben können, weil wir in den wichtigsten politischen Fragen
verschiedener Meinung waren. Am Mittag des 21. August kamen wir in Perugia
an und trennten uns dort definitiv. In dem Moment kam ein Zeitungsverkäufer
die Straße entlang und rief "Cecoslovacchia è occupata". So sind wir
zusammengeblieben. Bis heute.
INTERVIEW: SASCHA MOSTYN
20 Aug 2008
## TAGS
Tschechien
Rote Armee
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