# taz.de -- Demo: Atomkraftgegner trauen Braten nicht | |
> 20.000 Menschen glauben noch nicht an den baldigen Atomausstieg - und | |
> selbst wenn, gebe es genug zu tun, sagen viele. | |
Bild: 20.000 Menschen demonstrierten am Samstag gegen Atomkraft. Mit Transparen… | |
Matthias Krümmel hat ein Herz für Last-Minute-Demonstranten. Das Mitglied | |
des BUND steht an einem Stand auf dem Platz vor dem Roten Rathaus und | |
versorgt kurzentschlossene Teilnehmer der Anti-Atomkraft-Demo mit Material. | |
Vom Button bis zum Transparent ist gegen eine kleine Spende alles zu haben. | |
In ganz Deutschland gehen an diesem Samstag laut Veranstaltern mehr als | |
150.000 Menschen auf die Straße, um gegen Atomenergie zu demonstrieren. Am | |
selben Tag, an dem die von der Bundesregierung eingesetzte Ethikkommission | |
sich für den Ausstieg in den nächsten zehn Jahren ausgesprochen hatte, | |
wollen sie noch einmal Druck machen. Schließlich steht die entscheidende | |
Sitzung der schwarz-gelben Koalition zum Thema am Sonntagabend noch aus. | |
Anfang Juni sollen deren Vorschläge dem Bundestag vorliegen. Der Ausstieg | |
scheint in greifbarer Nähe, aber der genaue Zeitpunkt bleibt ein | |
Streitpunkt. | |
Von den am BUND-Stand angebotenen Plakaten am kurzen Stock lacht die | |
Atomkraft-Nein-Danke-Sonne. Neben ihr prangt eine Sprechblase, in der Platz | |
für Notizen und damit eigenen Ideen ist. "Mein Kollege hat mir eins | |
gebastelt, auf dem ,Krümmel abschalten steht", erzählt Krümmel. Was das | |
namensgleiche Atomkraftwerk angehe, sehe er das genauso. Nur selbst wolle | |
er noch nicht Ruhe geben, auch wenn alle politischen Weichen mittlerweile | |
auf Ausstieg stünden. "Aber bislang hat sich nur die willkürlich | |
legitimierte Ethikkommission für das endgütige Abschalten ausgesprochen", | |
meint er. Das sei zwar ein Etappensieg, aber längst noch keine politische | |
Entscheidung. "Die kommende Woche kann auch die des Anschaltens werden." | |
Eine Meinung, die viele teilen. Etwa 20.000 Demonstranten sollen es sein, | |
die vom Alexanderplatz bis vor die Bundesgeschäftsstelle der CDU am | |
Wittenbergsplatz ziehen, wird die Polizei später berichten. Von einem Wagen | |
der Grünen schallt der passende Soundtrack: Freundeskreis singen | |
"Esperanto", dann folgt "The Final Countdown". | |
Alexander Beck-Ratzka ist selbst kreativ geworden und hat einen | |
Federballschläger mit zwei Papp-Platten zum Plakat umgebaut. "Es gibt keine | |
sichere Endlagerung", hat das Mitglied des Spandauer Energietisches darauf | |
geschrieben. "Dieses Problem ist noch lange nicht gelöst", meint er. Selbst | |
wenn der Atom-Ausstieg, für den er sich seit 30 Jahren engagiere, endlich | |
beschlossen sei, gebe es somit noch genügend, für das man sich einsetzen | |
könne. Zumal die meisten anderen Länder da ja noch nicht so weit seien wie | |
die Deutschen, ergänzt seine Begleiterin, die ihren Namen lieber nicht in | |
der Zeitung lesen möchte. "Wie wenig Menschen sich etwa in Japan für einen | |
Atomausstieg einsetzen, finde ich erschreckend", sagt sie. Ein Ende des | |
Kampfes sei noch lange nicht in Sicht. | |
Der Demozug zieht sich Unter den Linden entlang. Die zehnjährige Elisa wird | |
von ihren drei älteren Schwestern in die Höhe gehoben, damit sie dem "O" in | |
Staatsoper in der Beschriftung des Bushaltestellenhäuschens einen | |
Atomkraft-Nein-Danke-Sticker verpasst. Gemeinsam mit ihrer Mutter sind die | |
Berlinerinnen schon zum zweiten Mal in diesem Jahr auf einer Demo. "Das | |
erste Mal ging es gegen Gentechnik", sagt die 15-jährige Hanna, die sich in | |
ihrer Freizeit in einer Greenpeace-Gruppe gegen das Auftreten von | |
Wildtieren im Zirkus einsetzt. "Ich finde es wichtig, sich zu engagieren", | |
meint sie. "Ich war gestern Abend auf einer Party und habe noch gefragt, | |
wer alles mitkommen wolle. Aber die anderen hatten keine Zeit oder keine | |
Lust." | |
Solche Fragen stellen sich Rosel Wunderlich-Marsing nicht. Die akkurat | |
gekleidete Dame sieht zwar eher aus, als wolle sie zu einem | |
Bridge-Nachmittag, doch als Mitglied der "Mütter gegen Atomkraft" ist sie | |
erfahrene Demonstrantin. "Wir demonstrieren seit Tschernobyl." Damals wurd | |
ihr Sohn geboren. "Wir haben einige Stimmungsschwankungen in der | |
Atom-Politik mitbekommen. So ganz mag ich der aktuellen Entwicklung daher | |
nicht trauen", sagt sie. Und was, wenn der Ausstieg tatsächlich kommt? | |
"Unser Verein kümmert sich auch um Kinder aus Tschernobyl. Da gibt es genug | |
zu tun." | |
29 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Juliane Wiedemeier | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Anti-AKW | |
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