| # taz.de -- Debatte Urlaub im Klimawandel: Fernweh ohne Reue | |
| > Der globale Tourismus belastet unser Klima besonders stark. Die | |
| > Reisebranche muss endlich ihrer Verantwortung dafür gerecht werden. | |
| Bild: Auch ohne Reisen im Orient-Express lässt sich Bangkok von Europa aus mit… | |
| Jedes Jahr strömen gegenwärtig 116 Millionen Europäer vom Norden ans | |
| Mittelmeer: es ist die größte Reisebewegung weltweit. Noch. Denn glaubt man | |
| den Prognosen zum Klimawandel, wird es Wohlfühltemperaturen um 31 Grad im | |
| Sommer bald eher an der Ostsee geben als an der Costa del Sol. Reisen die | |
| Deutschen dann in großer Zahl klimafreundlich mit dem Bus an den | |
| Nordseestrand? Das Klima würde dadurch nicht unbedingt geschont, denn das | |
| Tourismuskarussell dreht sich ja weiter: Begüterte Inder und Chinesen | |
| könnten dann in die Wellnessoasen auf Rügen einchecken, während Spanier und | |
| Italiener der Hitze des Südens ins deutsche Mittelgebirge entfliehen. | |
| Nach Expertenmeinung trägt der weltweite Tourismus rund 5 Prozent zu den | |
| globalen Emissionen bei. Die Welttourismusorganisation der Vereinten | |
| Nationen (UWTO) sagt weiteres Wachstum von rund 4,1 Prozent pro Jahr | |
| voraus, bei Fernreisen liegen die Prognosen sogar weltweit bei 5,4 Prozent. | |
| Aufstrebende Länder wie Indien, Thailand oder Malaysia gelten als große | |
| Zukunftsmärkte des Luftverkehrs, allein in China nehmen die Flüge um 7,6 | |
| Prozent jährlich zu. Flugreisen gehören für Asiens Mittelschicht immer mehr | |
| zum selbstverständlichen Lebensstil. | |
| Wer den Flugverkehr als Klimakiller Nummer eins anprangert, hat Recht. Doch | |
| die Lust am Reisen lassen sich die Deutschen dadurch nicht vermiesen. | |
| Klimaschonendes Verhalten, zeigte eine repräsentative Befragung, wird im | |
| Alltag höher geschätzt als im Urlaub. Akzeptiert wird allenfalls eine | |
| individuelle Klimaabgabe auf Flüge, die heute fast jeder Veranstalter und | |
| jede Fluggesellschaft zumindest als Zusatzleistung im Programm hat. | |
| Immerhin 21 Prozent der Befragten finden diese freiwillige Abgabe gut, aber | |
| nur rund 4 Prozent von ihnen haben sie schon bezahlt. | |
| Die Mehrheit der Deutschen begrüßt Anstrengungen zum Klimaschutz. Sie ist | |
| jedoch nicht bereit, dafür ihren eigenen Lebensstil zu ändern - schon gar | |
| nicht beim Reisen. Das gilt auch für die Hoffnungsträger des "grünen" | |
| Konsums: Statistisch gesehen fliegen gerade sie am meisten. Da jede | |
| Kurzreise mit mindestens 200 kg CO2 und jede Fernreise mit bis zu 4 Tonnen | |
| CO2 zu Buche schlägt, ist das - trotz Fahrrad, Kleinwagen, Ökostrom und | |
| langlebigen Konsumgütern - ein vernichtender Schlag für ihre Ökobilanz. | |
| Die meisten dieser aufgeklärten Konsumenten beschränken ihr persönliches | |
| Engagement auf die Klimaabgabe beim Fliegen. Diese Treibhausgaskompensation | |
| hat den Vorteil, dass man sein Reiseverhalten nicht ändern muss, weder bei | |
| der Wahl des Reiseziels noch des Verkehrsmittels. Ansonsten halten sich | |
| viele an die einfache, aber sinnvolle Formel: lieber seltener eine | |
| Fernreise buchen, dafür aber länger vor Ort bleiben. Bali guten Gewissens | |
| genießen, indem man einen Emissionsablass zahlt und mindestens vier Wochen | |
| bleibt - das klingt wie sich waschen, ohne sich dabei nass zu machen. Darin | |
| zeigt sich aber ein verantwortungsvoller Umgang mit Widersprüchen. Die | |
| Alternative wäre, vor diesen Widersprüchen zu kapitulieren oder auf | |
| Totalverzicht zu setzen. | |
| Nicht das Fernweh an sich ist von Übel - immerhin leben viele | |
| Entwicklungsländer davon. Von Übel ist, dass zwei Wochen Pauschalurlaub in | |
| der Dominikanischen Republik mit Flug und Vollpension heute so viel kosten | |
| wie zwei Wochen im Schwarzwald. Das hat System im weltweiten | |
| Verdrängungswettbewerb der Tourismusindustrie, und Billigflieger sind die | |
| Nutznießer einer verfehlten Mobilitätspolitik. Dem müsste man mit | |
| politischen Vorgaben entgegenwirken. Immerhin will die EU nun den | |
| Flugverkehr in den Emissionshandel miteinbeziehen. | |
| Wenn aber die meisten Touristen ihre Urlaubsentscheidungen nach dem | |
| Geldbeutel treffen, während die Malediven im Meer versinken, dann rückt die | |
| Verantwortung von Reiseveranstaltern und Fluggesellschaften in den Fokus. | |
| Die Welttourismusorganisation setzt ihre Hoffnungen auf die | |
| "Innovationskraft der Tourismusbranche" und appelliert an die ökologische | |
| und soziale Verantwortung der Unternehmen: an die Corporate Social | |
| Responsibility, kurz: CSR. | |
| Die großen Reisekonzerne allerdings blenden den Klimawandel fast völlig | |
| aus. Ihren Anteil am stetig anwachsenden Flugverkehr erklären sie zur | |
| Marginalie, ihr Krisenbewusstsein erschöpft sich in den PR-Strategien ihrer | |
| Werbeabteilungen: Diese verkünden, welchen imageträchtigen sozialen und | |
| ökologischen Projekte man fördert, welcher Wald aufgeforstet und welche | |
| Schule finanziert wurde. | |
| Was aber unternimmt die Lufthansa, um ihren CO2-Ausstoß zu drosseln? Welche | |
| emissionsarmen Angebote macht die TUI? Nähmen touristische Unternehmen ihre | |
| Verantwortung für eine intakte Umwelt, von der gerade sie profitieren, | |
| wirklich ernst, dann müssten sie ihr Kerngeschäft sozialer und ökologischer | |
| ausrichten. Sie müssten transparent machen, unter welchen Bedingungen eine | |
| Reise durchgeführt wird. Und sie müssten sich selbst verbindliche | |
| Emissionsziele setzen und Instrumente, Methoden und Produkte entwickeln, | |
| mit denen eine Reduktion erreicht werden kann. | |
| Ein Schritt in die richtige Richtung ist das touristische Siegel für | |
| Unternehmensverantwortung. Er wurde vom Unternehmensverband "forum anders | |
| reisen" entwickelt, dessen 150 kleine und mittlere Mitgliedsbetriebe anhand | |
| eines Leitfadens die Nachhaltigkeit eines touristischen Angebots prüfen. | |
| Dabei werden alle Aspekte der Wertschöpfungskette eines Reiseveranstalters | |
| bis hin zur Geschäftsstelle durchleuchtet. Das Siegel für | |
| Unternehmensverantwortung bewertet nicht ein einzelnes Produkt, sondern die | |
| gesamte Nachhaltigkeitsleistung eines Tourismusunternehmens. | |
| Das CSR-Siegel ist ein nachhaltiger Schritt zu mehr Qualität und | |
| Verantwortung im Tourismus. Es setzt neue Standards, fürs Klima genauso wie | |
| für die innerbetriebliche Fairness. Und es entlastet den Verbraucher, der | |
| die Wertschöpfungskette ohnehin nicht überblicken kann. Die Welt braucht | |
| mehr solcher ehrbaren Kaufleute, die ihre Produkte nach sozial- und | |
| umweltverträglichen Kriterien prüfen - vor allem in den Großkonzernen. | |
| EDITH KRESTA | |
| 8 Dec 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Edith Kresta | |
| Edith Kresta | |
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