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# taz.de -- Debatte Naziterror: Nie wieder "Döner-Morde"!
> Bei der Neonazi-Mordserie haben auch die Medien versagt: Sie ordneten die
> Taten unter rassistischen Gesichtspunkten ein. Konsequenzen gab es keine.
Bild: Rassismus beginnt eben nicht erst da, wo Nazibanden durch die Straßen zi…
Die Politik hat reagiert: "Beschämend" nannte es Angela Merkel, dass die
Mordserie der Neonazis aus Zwickau so lange unentdeckt blieb; der Bundestag
hat sich unisono bei den Opfern der rechten Terrorzelle entschuldigt. Und
gleich mehrere Untersuchungsgremien sollen nun klären, wie es dazu kommen
konnte, dass die Behörden angesichts dieser europaweit einmaligen
Verbrechensserie so versagt haben. Die Politik hat aus dem Skandal also
schon erste Konsequenzen gezogen.
Versagt haben aber auch die Medien. Nicht dass irgendwer erwartet hätte,
dass sie den Tätern hätten auf die Spur kommen sollen - für die Aufklärung
von Straftaten sind noch immer die Sicherheitsbehörden zuständig. Aber nach
dem Schock von "Zwickau" wäre es doch immerhin denkbar gewesen, dass sich
ein paar Journalisten nun stärker den eigenen Vorurteilen stellen, die
ihren Blick auf die Welt und ihre Berichterstattung bisher getrübt haben.
Doch von einer vergleichbaren Bestürzung, Selbstbefragung, ja gar
Selbstkritik wie bei Politikern und Sicherheitsbehörden fehlt bei den
meisten Medien bislang fast jede Spur.
Dabei waren es Journalisten, die das Wort von den "Döner-Morden" erfunden
haben. Der SPD-Politiker Sebastian Edathy, der jetzt den
Untersuchungsausschuss zur Zwickauer Zelle leitet, hat den
Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags beauftragt, herauszufinden, wie
das Wort einst in die Welt kam. Das Ergebnis: Schon Ende 1992, als der
Ägypter Gamal Hegab in seinem Imbiss mitten in Berlin von unbekannten
Tätern erschossen wurde, titelte der Berliner Kurier: "Döner-Mord am Alex".
Die Zeit griff den Vorfall später in einer Geschichte über "alltägliche
Gewalt" auf und wählte dafür die Überschrift: "Ali Baba und die Mörder".
Das Wahrnehmungsraster, nach dem solche Taten eingeordnet werden, ist also
weit älter als die Blutspur aus Zwickau. Bevor der Begriff "Döner-Morde"
kürzlich zum "Unwort des Jahres" gewählt wurde, weil er die rassistischen
Morde folkloristisch verharmloste, hatten sich daher weder Spiegel, FAZ
noch "Aktenzeichen XY" an ihm gestört. Erst ein paar Tage nachdem die
wahren Hintergründe dieser Mordserie aufgeflogen waren und der Zentralrat
der Juden monierte, wie geschmacklos diese Bezeichnung sei, ließ man sie
plötzlich sein.
Trotz dieser peinlichen Blamage ist Rassismus in den deutschen Medien aber
noch immer kein Thema - und auf Rassismusvorwürfe reagiert man weiterhin
eher unwirsch.
## Didi Hallervordens Vorurteile
Das mussten zuletzt jene afrodeutschen Aktivisten erfahren, die sich im
Internet über das Berliner Schlosspark-Theater empörten, weil dort ein
schwarz geschminkter Schauspieler einen Afroamerikaner spielt. Kaum eine
Zeitung konnte ihren Ärger nachvollziehen. Dabei hatte sich Theaterchef
Didi Hallervorden eher unbeholfen damit verteidigt, es gebe an deutschen
Theatern eben "zu wenige Rollen" für schwarze Schauspieler, die ein
"Festengagement rechtfertigen" würden. Mit anderen Worten: Weiße können
zwar Schwarze spielen, wenn sie sich entsprechend schminken - aber Schwarze
offenbar noch lange nicht "Charlie's Tante" oder einen Hamlet.
Rassismus beginnt eben nicht erst da, wo Nazibanden durch die Straßen
ziehen. Sondern schon in den Köpfen - zum Beispiel von Journalisten und
Theatermachern, die das Thema einfach wegwischen, weil sie sich selbst
nicht davon betroffen fühlen.
Auffällig ist in diesem Zusammenhang, wie sehr sich die mediale Empörung
über die einmalige Blutspur der Neonazis aus Zwickau in Grenzen hält: Dem
Leitmedium Spiegel etwa war der Terror von rechts gerade mal eine
Titelgeschichte wert - danach widmete sich das Blatt lieber den Affären des
Bundespräsidenten Wulff, die seither zweimal auf dem Spiegel-Cover
landeten. Und auch bei Talkkönig Günther Jauch war "Zwickau" nur einmal
Thema (zum Vergleich: Wulff viermal), und seine Talkshow-Kollegen reden
inzwischen über Alzheimer. Auch beim Thema Rassismus, so scheint es, leiden
einige Medien an Alzheimer.
An diesem Phänomen ist möglicherweise auch eine personelle Unausgewogenheit
in den Redaktionen schuld. Gerade mal ein Prozent aller Journalisten in
Deutschland weist einen Migrationshintergrund auf - und das in einem Land,
in dem jeder fünfte Einwohner einen besitzt. Hier bestehe "weiterhin
Handlungsbedarf", damit Medien mehr Sensibilität für Minderheiten
entwickeln und dem Wandel in der Gesellschaft nicht hinterherhinken, heißt
es dazu nüchtern im "Nationalen Aktionsplan Integration" der
Bundesregierung vom Januar 2012. Das ist wohl etwas dran.
## Wandel erst an der Oberfläche
Zwar haben einige Medien inzwischen das Defizit erkannt:
Öffentlich-rechtliche TV-Sender haben in den letzten Jahren bewusst
Moderatoren mit Migrationshintergrund in den Vordergrund geschoben, manche
Zeitungen haben gezielt türkischstämmige Kolumnistinnen eingestellt. Aber
das ist kaum mehr als Kosmetik, wenn in vielen Redaktionsstuben und
Chefetagen noch ein alter Geist weht.
Seltsam ist jedenfalls, wie häufig es den Kollegen mit
Migrationshintergrund überlassen bleibt, über Integrationsthemen zu
schreiben - als wäre dies das einzige Feld, auf dem man ihnen echte
Kompetenz zutraut. Mag sein, dass die Auseinandersetzung mit alltäglichem
Rassismus auch einfach keine guten Quoten und keine Auflagensteigerung
verspricht. Aber zumindest der öffentlich-rechtliche Rundfunk hätte einen
anderen Auftrag als den, sich mit der Marktlogik gemein zu machen.
Doch es besteht Grund zur Hoffnung. Denn die deutschen Medien haben schon
einmal bewiesen, dass sie mehr Sensibilität für vermeintlich
vernachlässigbare Minderheiten zeigen können, wenn sie erkennen, dass dies
in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse ist. So haben Sujets, die früher
als "Frauenthemen" galten, in den meisten Medien heute längst einen
selbstverständlichen Platz. Auch der Anteil von Frauen im Journalismus hat
über die Jahre immer mehr zugenommen - nur in den Chefetagen sieht es da
noch mau aus. Aber Frauen können über alles schreiben, sie werden nicht
mehr automatisch auf bestimmte Themen festgelegt. Und Sexismus gehört in
den meisten Medien nicht mehr zum guten Ton.
14 Feb 2012
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Video
Schwerpunkt Rechter Terror
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