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# taz.de -- Debatte Antiziganismus: Blackbox Roma
> Die allermeisten wissen nichts über die Kultur und die Lebensbedingungen
> der Roma in Europa. Und so blüht das Ressentiment.
Bild: Aus Frankreich ausgewiesene Roma kommen in Rumänien an.
Rom heißt "Mensch". Doch wen interessiert das und wer beachtet das?
Journalisten schreiben über die real gar nicht existierende und auf jeden
Fall nicht von den Roma zu verantwortende "Roma-Frage". Mit ihrer Lösung
beschäftigen sich Sozialarbeiter und Kriminalisten, die dafür von
Politikern alimentiert werden, welche in den Roma bloße Objekte ihrer
Politik sehen, aber so gut wie nichts über sie wissen. Oder sie wie
Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy für den Wählerfang am rechten Rand
instrumentalisieren.
Dieses Nichtwissen haben die Politiker mit Geschichts- und sonstigen
Professoren gemein, die erfolgreich verhindern, dass ihre Lehrer- und
sonstigen Studenten etwas über die Roma in Erfahrung bringen, was sie ihren
künftigen Schülern vermitteln könnten.
Gezieltes Nichtwissen
Wissen wäre aber nötig, um die Vorurteile bekämpfen und überwinden zu
können. Und von denen sind gerade die Roma betroffen. Nach Umfragen, die
allerdings einige Jahre zurückliegen und nicht erneuert wurden, hassen über
60 Prozent der gegenwärtigen Deutschen die Roma, welche sie häufig und
ebenso fälschlich wie vorurteilshaft als "Zigeuner" bezeichnen.
In unseren östlichen und jetzt auch einigen westlichen Nachbarländern ist
der Antiziganismus noch weiter verbreitet. Hier werden die Roma nicht mehr
"nur" gehasst und diskriminiert, hier werden sie verfolgt, nachdem sie
ihrer Bürger- und Menschenrechte beraubt worden sind. Doch das interessiert
hierzulande kaum jemanden.
Dies ist zugegebenermaßen "viel Thesen-Holz", das der Begründung bedarf.
Fangen wir mit der Journalistenschelte an. Ständig wird über die
"Roma-Frage" berichtet, ohne zu erwähnen, dass für sie nicht die Roma,
sondern die Nichtroma verantwortlich sind. Nicht die Roma sind das Problem.
Das Problem ist die Roma-Feindschaft. Dafür hat sich der Begriff des
Antiziganismus eingebürgert. Genau wie man Antisemitismus nicht den Juden
anlasten darf, kann man die Roma nicht für den Antiziganismus
verantwortlich machen. Antiziganismus, Antisemitismus und andere Varianten
des Rassismus sind das Problem der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft.
In der Berichterstattung über die Roma wurde in den letzten Wochen und
Monaten ständig von der "Roma-Migration" geredet. Die aber gibt es gar
nicht. Es gibt Roma-Migranten, aber keine Massenwanderung von Roma. Für die
Auswanderung oder besser Flucht einiger Roma aus ihren Heimatländern wurden
zudem fast ausschließlich soziale Probleme verantwortlich gemacht. Aber
auch diese Feststellung ist in der Pauschalisierung nicht richtig.
Schließlich sind nicht alle Roma in allen Ländern arm, wie umgekehrt nicht
alle Armen in allen Ländern Roma sind. Armut ist ein soziales Problem, das
nicht ethnisiert werden darf. Bei der Kriminalität ist es ebenso. Sicher
gibt es neben deutschen oder italienischen auch kriminelle Roma. Es gibt
jedoch keine Roma- oder "Zigeuner- Kriminalität". Die Ethnisierung von
Armut und Kriminalität zeugt von einer antiziganistischen Denkweise. Dass
diese so weit verbreitet ist, liegt nicht nur, aber vornehmlich daran, dass
die Mehrheitsgesellschaft so wenig über die Roma weiß.
Armut als ethnisches Problem?
Schuld daran ist nicht nur, aber vor allem mein Berufsstand - die
Professoren. Denn die haben sich kaum mit der Geschichte und Gegenwart der
Roma und noch wichtiger und beklagenswerter so gut wie gar nicht mit der
Geschichte und Gegenwart des Antiziganismus beschäftigt. An keiner
deutschen und meines Wissens auch keiner europäischen Universität gibt es
ein Institut für Antiziganismusforschung, und auf der Welt werden so gut
wie nirgends Roma-Studien betrieben. Wie kann man in Schule und in der
politischen Bildung über Roma unterrichten - die mit insgesamt 12 Millionen
Angehörigen die größte Minderheit Europas stellen - und Antiziganismus
bekämpfen, wenn man über beides kaum etwas weiß?
Nun weiß ich aus eigener leidvoller und seit dreißig Jahren betriebener
Praxis, dass Wissen allein nicht hilft und Aufklärung auf unüberwindbar
scheinende Grenzen stößt. Doch man sollte es zumindest versuchen. Hier sind
zudem nicht nur Professoren, Lehrer und politische Bildungsarbeiter
gefragt, hier muss der politisch mündige Bürger ran.
Bürgerliche Saumseligkeit
Wo ist er geblieben? Wir protestieren gegen alles Mögliche. Gegen den
Abriss eines Bahnhofs und das Fällen von Bäumen. Doch wer protestiert gegen
die Diskriminierung der hiesigen und die Verfolgung der ausländischen Roma?
Gegen die Abschiebung beziehungsweise Deportation der Roma aus Frankreich
in diesem Jahr. Gegen die antiziganistischen Pogrome in Italien des letzten
Jahres. Gegen die bevorstehende Abschiebung von tausenden Roma, die während
des Kosovo-Krieges 1999 nach Deutschland flohen und nun wieder in den
Kosovo rückgeführt werden? Mithin in ein wirtschaftlich komplett marodes
Land, in dem der Antiziganismus sehr stark verbreitet ist. Wer schließlich
tritt ein gegen die seit Jahren und Jahrzehnten zu beobachtende rassistisch
motivierte Unterdrückung und Verfolgung der rumänischen, slowakischen,
ungarischen und bulgarischen Roma durch Parteien und Staaten, die eindeutig
faschistisch sind, aber meist als nur rechtspopulistisch bezeichnet werden?
Einige Roma- und Menschenrechtsorganisationen warnen bereits vor der Gefahr
eines Völkermordes. Doch bei uns nimmt das kaum jemand wahr. Wir wollen
wieder einmal von allem "nichts gewusst" haben.
Rom heißt Mensch. Doch für viele Deutsche und andere Europäer sind die Roma
immer noch "nur Zigeuner".
WOLFGANG WIPPERMANN
13 Oct 2010
## AUTOREN
Wolfgang Wippermann
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