# taz.de -- Dea Loher-Uraufführung in Hamburg: Rauchen, schlafen, weinen | |
> In "Das letzte Feuer",uraufgeführt von Andreas Kriegenburg am | |
> Thalia-Theater Hamburg, hilft nur die Wiederholung der kleinen Dinge | |
> gegen das große Unglück. | |
Bild: Markwart Müller-Elmau mit Hund, bei der Fotoprobe. | |
Ein Junge ist überfahren worden, ein tragischer Unfall ausgelöst durch eine | |
Verkettung unglücklicher Zufälle, aber von hier aus nimmt das Schicksal | |
seinen ungeahnten Lauf. In Dea Lohers neuem Stück ist solch ein Unfall der | |
Ausgangspunkt, der gleich auf den ersten Blick an den Kinofilm "Babel" | |
erinnert und den Vergleich nicht zu scheuen braucht. In "Babel" war es ein | |
Gewehrschuss in der marokkanischen Wüste, der dann quasi um den Globus ging | |
und die Geschichten mehrerer Menschen ineinanderfügte. "Das letzte Feuer" | |
verharrt einfach in dem Haus, vor dem der Unfall geschah. | |
In 34 Szenen kreuzen sich die Leben vieler verschiedener Figuren: der | |
Eltern und der hinterbliebenen Familie, der Nachbarinnen, der Polizistin, | |
die einen zugekoksten Autoraser verfolgte. Da ist Vater Ludwig, der nach | |
dem Tod seines Sohns Lotto zu spielen begann, weil ein Gewinn beweisen | |
würde, dass der Zufall das Leben bestimmt. Aber der doch die | |
Lottoquittungen verschenkt, um ins Schicksal anderer einzugreifen. Seit | |
acht Jahren, seit der Schwangerschaft seiner Frau, hat er eine Affäre mit | |
Karoline, deren Pkw in den Unfall seines Sohns verwickelt war. Schuldig | |
fühlen sich alle, Karoline, weil es ihr Auto war, Susanne, weil ihr | |
erschrockenes Kind zu ihr über die Straße laufen wollte. | |
Sprachgewaltig entwickelt Loher ein Netz aus Ebenen, Fragmenten, Monologen, | |
in dem sich die Zusammenhänge zeigen, wie sie sich in einer Chronologie | |
nicht herstellen würden. Wenn Lohers Name fällt, ist auch Regisseur Andreas | |
Kriegenburg meist nicht weit, der für viele ihrer Stücke die erste | |
Inszenierung eingerichtet hat. Im schnelllebigen Theaterbetrieb entfalten | |
solche Allianzen produktive Kräfte, weil man sich aneinander reiben und | |
weitertreiben kann. Wo Loher oft düster und morbid ist, bringt Kriegenburg | |
eine optimistischere Sicht ins Spiel. Andererseits teilen sie eine | |
gemeinsame Wahrnehmung und schauen beide mit genauem Blick auf das | |
Schicksal der Figuren. | |
Und der Blick soll tief hineinführen in Kriegenburgs Uraufführung von "Das | |
letzte Feuer", das signalisiert von Anfang an das Bühnenbild von Anne | |
Ehrlich. Immer wieder schaut man in einen schäbigen Flur, der als Schlitz | |
nach hinten schneidet, eng und schmal wie in einer Mietskaserne. Tür an Tür | |
schließen sich Wohnzimmer, Bad, Küche, Schlafzimmer an, angeordnet auf | |
einer Drehbühne, die Kriegenburg nonstop kreisen lässt. Manchmal möchte man | |
sie anhalten und die Bilder einfrieren, die von schöner leiser Trauer sind. | |
Wie bei der Großmutter (Katharina Matz), die immer wieder vergisst und | |
wieder erinnert, dass Edgar überfahren wurde, verloren auf dem | |
Badewannenrand sitzt und stumm in die Ferne starrt. "Es ist einfach so, | |
dass es immer weitergeht, das Leben. Es ist nicht fertig und wird nie | |
fertig sein, egal, was uns geschieht", heißt es einmal. | |
Das Weitermachen und Weitergehen wird mithilfe der Drehbühne | |
durchexerziert, die nimmermüde kreist. Wenn ein Zimmer im Uhrzeigersinn | |
nach hinten dreht und wiederauftaucht, dann ist mit jeder Drehung darin | |
gelebt worden: Wäsche, die eben noch im Haufen vor der Maschine lag, hängt | |
zum Trocknen. Die Küchen-Wachstischdecke ist gewechselt, die Noten vom | |
Klavier weggeräumt. Man sieht in eine Wohnung, in der die Zeit vergeht, in | |
der mal jemand raucht, schläft, weint oder stumm dasitzt. Vorne aber gehen | |
immer wieder die Türen auf und zu, und die, die mit ihrem Schicksal hadern, | |
wandern durch die Zimmer. Ein Hamsterrad ist diese Wohnung, und wenn etwas | |
passiert, dann ist es nicht unbedingt eine Wendung zum Besseren. | |
Die Musik von Laurent Simonetti ist von Anfang an präsent und gibt eine | |
melancholische Stimmung vor, während die Figuren zu erzählen versuchen, was | |
genau passiert ist. Deswegen rückt der Zeuge (Hans Loew) in den | |
Mittelpunkt, der als Einziger den Unfall beobachtete und doch vor der | |
Erinnerung kollabiert. Rabe, wie Loher ihn nennt, hat wie jeder hier ein | |
düsteres Geheimnis, scheint traumatisiert durch einen Kriegseinsatz. Bei | |
Loher münden die Beziehungen am Ende ergreifend in einer Tragödie, in der | |
sich Rabe mit Benzin überschüttet und das "letzte Feuer" sein will. | |
Kriegenburg schafft es zwar, den Raum mit Gefühlen zu füllen und ihn wieder | |
zu leeren, aber die glaubhafte Wendung ins schaurige Drama nimmt die | |
Inszenierung nicht. In der Wohnung mit den abgeschlagenen Kacheln, | |
vergilbten Tapeten und veraltetem Mobiliar erzählt sie mehr von sozialen | |
Problemen, von Armut, Ausgrenzung und Blindheit den nächsten Menschen | |
gegenüber. Und sie schaut mit liebevollem Blick auf die Wiederholungen des | |
Alltags: das tägliche Aufstehen, Anziehen, Kaffeekochen, in dem auch | |
tröstende Kraft stecken kann, immerhin. So entfacht der Abend kleine | |
Flämmchen, aber kein großes Feuer. | |
28 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Simone Kaempf | |
## TAGS | |
Theater | |
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