# taz.de -- DDR-Jugend: Ein Farbklecks in der grauen Zone | |
> Eine Ausstellung in der Friedrichshainer Galiläakirche beschäftigt sich | |
> mit Jugendopposition in der DDR - und der Frage, was davon vielleicht | |
> bloße Teenagerattitüde war. Der Ausstellung soll ein Museum folgen. | |
Bild: Marc Weiser in der Galiläakirche | |
Das spektakulärste Teil der Ausstellung sieht gar nicht spektakulär aus. Es | |
ist ein rund 400 Kilo schwerer Betonklotz, aus dem ein auseinander | |
gebogener Stahlträger herauswächst, gewidmet "Dem unbekannten Deserteur". | |
1988 wurde das Denkmal im Rahmen einer Friedenswerkstatt in der | |
Lichtenberger Erlöserkirche gegossen und an wechselnden Orten aufgestellt, | |
bis es im Garten einer evangelischen Kirchengemeinde in Wartenberg dem | |
Vergessen anheim fiel. Nun ist der Betonklotz Prunkstück der Ausstellung | |
"Wir lassen uns nicht nehmen, was uns sowieso nicht gehört!", die sich dem | |
Jugendwiderstand und der Jugendopposition 1969 bis 1989 in der DDR widmet. | |
Rund um den Gedenkbrocken für die unbekannten DDR-Deserteure stehen diverse | |
Schautafeln. Die dürften für heutige Jugendliche wohl zum Weglaufen sein. | |
Zu altmodisch, zu unspektakulär, zu wenig aufreizend. Vor einer kleinen | |
Vitrine mit zwei Paaren Sandaletten und Tramperschuhen steht Lutz Baumann, | |
ein quirliger Mittfünfziger mit angegrautem Vollbart, und sagt: "Mit diesen | |
Römerlatschen ist mein Kumpel Walter 1975 durch Bulgarien, Rumänien | |
marschiert." In die Vitrine gelangten sie, nachdem Baumann seinen Kumpel | |
gefragt hatte: "Mensch Walter, haste nich noch wat für unsre Ausstellung?" | |
Walter hatte noch ein Fleischerhemd, das nun ebenfalls in einer Vitrine | |
liegt, um ein Stück alternatives Lebensgefühl in der DDR zu | |
veranschaulichen. Nach meiner Erinnerung als Fleischerhemden- und | |
Latschenträger empfanden viele derart Uniformierte die Klamotten vor allem | |
als späthippiemäßig cool, weniger als Systemwiderstand durch | |
"Jugendmode"-Verweigerung. | |
Jugendopposition und Jugendwiderstand sind große Worte, die in | |
Friedrichshain allerdings auch größer als anderswo geschrieben wurden. Der | |
Bezirk habe eine lange Tradition als Ort des zivilen Widerstands und | |
Ungehorsams gegen Unterdrückung, Unfreiheit und Bevormundung, betonen die | |
Ausstellungsmacher. Sie verweisen auf die Nazigegner in der Bekennenden | |
Kirche im Dritten Reich, auf die Bluesmessen zu DDR-Zeiten und den | |
Kirchentag von unten 1987 sowie auf den Ausstellungsort selbst: Pfarrer | |
Cyrus bot seine Galiläakirche bereits 1976 als Zufluchtsort für Punks. | |
In den letzten zehn Jahren stand das Gotteshaus leer, was die kirchliche | |
Seite gern ändern würde. Wie sinnvoll es ist, den Leerstand gerade mit | |
dieser Ausstellung zu beenden, bezeugen aktuelle Studien, wonach die | |
Jugendlichen in Ostdeutschland (die im Westen natürlich auch) erschreckende | |
Wissenslücken haben über die DDR, die immerhin wesentlicher Teil der | |
Lebensgeschichte ihrer Eltern ist. Die Geschichtswerkstatt der | |
Hedwig-Wachenheim-Gesellschaft e. V. hat mit Unterstützung des Jobcenters | |
Kreuzberg diese Ausstellung konzipiert, die einerseits "das Wirken einer | |
jugendkulturell geprägten DDR-Oppositionsbewegung" und ihre Impulse für die | |
friedliche Revolution im Herbst 1989 zeigen will (das Jubiläum naht!), die | |
aber auch zum Nachdenken über Unangepasstheit heutzutage einladen will. | |
Die Ausstellung ist kaum eröffnet, da haben deren Macher schon erkannt, | |
dass sie von einem Grundproblem eingeholt wurden, nämlich der Frage: Was | |
ist überhaupt Widerstand? Was war vielleicht nur Teenagerrebellion in | |
Punkklamotten? Wo wirds politisch? | |
Da die Herrschenden in der DDR praktisch alles als extrem politisch | |
werteten (von der Stones-Begeisterung bis zur Mail-Art), hat sich eine | |
Menge Material angehäuft, das den vermeintlichen Systemwiderstand | |
dokumentiert. Auf schmucklosen Schautafeln werden die glanzlosen Seiten der | |
realsozialistischen DDR beschrieben und veranschaulicht mit oft verwischten | |
Schwarz-Weiß-Fotos aus Privatarchiven. | |
Von der Kommune 1 Ost, die 1969 in der Samariterstraße 26 von mehreren | |
Leuten, darunter Frank Havemann, gegründet wurde, gibt es leider keine. So | |
erfährt man nur schriftlich, dass das Experiment des Zusammenlebens trotz | |
prominenter Sympathisanten wie Rudi Dutschke und Wolf Biermann letztlich | |
gescheitert ist, weil auch hier die Frauen den Haushalt machten. Andere | |
Tafeln informieren über Jugendwerkhöfe als Erziehungsheime für "schwierige | |
Jugendliche", die schon fürs Schulschwänzen ohne Zustimmung der Eltern | |
eingeliefert werden konnten. Neben ausgestellten Pionierausweisen und | |
DSF-Wimpeln ("Deutsch-Sowjetische Freundschaft") kann man einen Songtext | |
der (Erfurter) Punkband Schleimkeim von 1985 lesen: "Norm, Norm, Norm, du | |
bist zur Norm geboren / schaffst du keine Norm, bist du hier verlorn". Man | |
erfährt auch, dass die Normverweigerer sich bei "Schwerter zu Pflugscharen" | |
organisierten, in der Kirche von unten die Wahlfälschungen 1986 und 1989 | |
aufdeckten und mit einer kircheneigenen Vervielfältigungsmaschine made in | |
Westgermany "Morning Star"-Flugblätter druckten (beides ausgestellt). | |
Dahinter standen eher anarchistisch denn revolutionär gesinnte Aktivisten | |
wie Dirk Moldt, der heute Mittelalter-Historiker ist, aber auch an der | |
Ausstellung mitarbeitete. Moldt lästert gegen die "Gedenkmafia" und ihre | |
extreme Humorlosigkeit. "Die erzählen immer nur, wie schlimm alles in DDR | |
war. Es prallen oft zwei Grundansichten aufeinander: Die einen starren nur | |
auf das Monster SED. Die anderen, so wie ich, fühlten sich trotzdem frei. | |
Gerade auch die Punks kotzt die Opferdebatte an. Die wollten damals einfach | |
einen Farbklecks setzen und haben das gemacht." | |
Ein paar Farbkleckse gibts auch zu sehen, auf einer Original-Punkerjacke. | |
Vom Farbanschlag auf die graue DDR-Welt, Ecke Storkower Straße, am 26. | |
Januar 1983 ist dagegen nur die Story überliefert. Damals hatten | |
Jugendliche die alte Fußgängerbrücke bunt angemalt und mit Zeichnungen | |
versehen. Das Happening im Storkower Tunnel verstand die Stasi als | |
subversive politische Aktion von Umwelt- und Friedensbewegten und | |
verhaftete die Beteiligten auf frischer Tat. Nach der Wende wurden sie | |
übrigens nicht rehabilitiert, weil der Richter meinte, Graffiti sei halt | |
auch im Westen strafbar. | |
Dies ist einer der wenigen Hinweise aufs Heute. Dabei betonen die | |
Ausstellungsmacher ausdrücklich, eine Brücke schlagen zu wollen in die | |
Gegenwart, wo aufrechter Gang und Zivilcourage ebenso gebraucht würden. | |
"Widerstandsgeschichte als Demokratiegeschichte im Bezirk", so zieht Andy | |
Hehmke von der Hedwig-Wachenheim-Gesellschaft den großen Kreis. "Wir wollen | |
Schulklassen einladen, Bands könnten hier auftreten und Filme zum Thema | |
gezeigt werden, um den Jugendlichen einen Zugang zu ermöglichen." | |
Auch der multimediale Charakter der Ausstellung soll verstärkt werden. Ein | |
löblicher Vorsatz. Bisher kann man in einer Ecke am PC nur | |
Zeitzeugen-Interviews anschauen. Hehmke wünscht sich, dass die | |
Galiläakirche irgendwann ein "kleiner Knotenpunkt im Museumsnetzwerk" wird. | |
Dass, wer Hohenschönhausen oder Mielkes Arbeitszimmermuseum besucht, | |
vielleicht auch in der Rigaer Straße 9/10 vorbeikommt. Die Galiläakirche | |
soll langfristig ein festes Museum für Jugendwiderstand werden. Das hat | |
Berlin nun wirklich noch gefehlt. | |
12 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Leue | |
## TAGS | |
DDR | |
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