| # taz.de -- Berliner Verein evakuiert Flüchtlinge: „Moldawien ist überforde… | |
| > Der Verein „Be an Angel“ holt ukrainische Geflüchtete aus Moldawien mit | |
| > privaten Charterbussen aus dem Land. Gründer Andreas Tölke erzählt, wie. | |
| Bild: Geflüchtete am Grenzübergang in Palanca – Moldawien, Anfang März | |
| taz: Herr Tölke, wo sind Sie gerade? | |
| Andreas Tölke: Im Moment bin ich für vier Tage in Berlin, dann fahre ich | |
| wieder nach Kischinau, das ist die Hauptstadt vom Moldawien. | |
| Was machen Sie da? | |
| Wir von „Be an Angel“ evakuieren aus der Ukraine geflüchtete Menschen nach | |
| Deutschland – und das täglich, seit dem 4. März. Dafür haben wir Reisebusse | |
| gechartert. | |
| Damit fahren Sie zur Grenze und fragen: Wer will nach Deutschland? | |
| Das System ist ein bisschen anders: Wir bekommen Listen von der | |
| moldawischen Regierung. Die hat in der Hauptstadt sechs zentrale Lager, zum | |
| Beispiel in einem Fußballstadion, aufgebaut mit einer Kapazität von je 800 | |
| Menschen und dazu noch 26 Satelliten-Lager in ganz Moldawien verteilt mit | |
| einer Kapazität von jeweils 200 bis 300 Menschen. | |
| Und die sind voll mit Flüchtlingen? | |
| Ja, [1][das kleine Moldawien mit seinen 2,6 Millionen Einwohnern] hat | |
| bislang 320.000 Menschen aufgenommen, die mehr oder weniger lange im Land | |
| geblieben oder noch da sind. Aber damit ist man hier völlig überfordert, | |
| das ist ein richtig armes Land. Das Durchschnittseinkommen beträgt 600 | |
| Euro, das Sozialsystem ist, sagen wir mal, gerade im Entstehen. Und die | |
| Armut wird noch größer werden: Die Energiepreise explodieren hier durch den | |
| Krieg. | |
| Wie nah ist der Krieg von der moldawischen Hauptstadt aus? | |
| Von der Hauptstadt zur ukrainischen Grenze sind es zwei Autostunden, Odessa | |
| ist 20 Autominuten hinter der Grenze. Es gab eigentlich drei | |
| Grenzübergänge, aber die Russen haben einen bombardiert, da war eine Brücke | |
| über einen Fluss, die ist jetzt im Eimer. An den zwei verbliebenen Wegen | |
| stauen sich die Menschen bis zu 24 Stunden, weil die Grenze von 7 Uhr | |
| abends bis 7 Uhr morgens geschlossen ist. | |
| Und dann? | |
| Die meisten kommen jetzt am Grenzübergang Palanca im Süden auf die | |
| moldawische Seite. Von dort hat die Regierung einen sehr unregelmäßigen | |
| Shuttleverkehr in die Hauptstadt eingerichtet, ein bisschen auch von uns | |
| unterstützt. Zwei Kilometer von der Grenze entfernt, die muss man zu Fuß | |
| gehen, gibt es ein kleines Zeltlager zum Aufwärmen und zur Erstversorgung, | |
| auch von da gibt es Shuttles in die Hauptstadt. Dort kriegen wir von der | |
| Regierung die Information, wer nach Deutschland will und dafür die nötigen | |
| Papiere hat. Wir fahren die Unterkünfte ab, holen die Leute und fahren los. | |
| Wie verteilen Sie sie in Deutschland? | |
| Wir haben im Berliner Büro eine Koordinatorin, sie bekommt von uns aus | |
| Moldawien die Infos, wann Busse losfahren, mit wie vielen Menschen. Dann | |
| hat sie 36 Stunden Zeit – so lange dauert die Fahrt –, um | |
| Aufnahmemöglichkeiten zu finden. Sie telefoniert also unser Netzwerk ab, | |
| von Würzburg bis Bremen, quer durch die Bundesrepublik. Teilweise sind es | |
| Aufnahmelager wie in Gießen, teilweise sind es Privatpersonen, die zum | |
| Beispiel in Koblenz selber ein Helfer*innen-Netzwerk haben. Sie nehmen dann | |
| auch mal einen ganzen Bus in Empfang und verteilen die Leute auf Familien. | |
| Sie haben also inzwischen ein Netzwerk aus privaten und staatlichen | |
| Ansprechpartnern in ganz Deutschland? | |
| Genau, so etwa halb und halb. Das Problem ist, dass sich dauernd die | |
| Kapazitäten ändern. Das heißt, wir müssen tagesaktuell abfragen: Wer kann | |
| aufnehmen? Das ist eine echte Herkulesaufgabe! | |
| Wie machen Sie das, mit Ehrenamtlichen? | |
| Genau. Wir haben in Berlin vier Leute als harten Kern, die suchen | |
| Unterkünfte, verwalten die Spendengelder, machen Öffentlichkeitsarbeit. Wir | |
| brauchen ja Spenden für all das, jeder Bus kostet zwischen 5.000 und 7.000 | |
| Euro, bis Flensburg ist es viel teurer als bis München. Wir haben jetzt | |
| noch Kapazitäten für 30 Tage. | |
| Und in Moldawien? | |
| In Kischinau sind wir zu dritt. Außer mir ist dort ein Deutscher und ein | |
| ehemaliger russischer Offizier, der Russisch, Moldawisch und Ukrainisch | |
| spricht. Wir arbeiten wie gesagt mit der Regierung zusammen, die wurde vor | |
| Kurzem neu gewählt. Es ist die erste nichtkommunistische Regierung, | |
| wahnsinnig ambitioniert, ganz, ganz tolle Leute. Und wir arbeiten zusammen | |
| mit einer NGO aus der Ukraine, die in Moldawien aktiv ist, und mit Team | |
| Humanity. | |
| Wer ist das? | |
| Das ist eine Organisation, die 2015 mit Flüchtlingshilfe auf den | |
| griechischen Inseln gestartet ist. Die Leute von Team Humanity fahren bis | |
| nach Odessa, holen besonders gefährdete, kranke Menschen ab und fahren sie | |
| nach Kischinau. Vor ein paar Tagen haben sie einen russischen Angriff auf | |
| ihren Konvoi erlebt. Wir bringen die Leute nach ein paar Tagen | |
| Verschnaufpause weiter nach Deutschland. Insgesamt muss man leider sagen, | |
| [2][dass wir hier quasi die Einzigen sind, die helfen]. Moldawien ist mit | |
| der Versorgung der Flüchtlinge völlig allein gelassen. Alle schauen nach | |
| Polen oder Rumänien, hierher schaut niemand! | |
| Außenministerin Annalena Baerbock war doch da. | |
| Ja, sie war hier und hat annonciert, dass Deutschland eine Luftbrücke macht | |
| und 2.500 Leute rausholt. Ist da schon was passiert? Das haben wir | |
| erledigt: wir als kleine NGO. Wir haben einfach mal 2.500 Leute rausgeholt. | |
| Alles über Spenden finanziert, alles selber organisiert. | |
| 29 Mar 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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