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# taz.de -- Ausstellung über den Schlaf: Der lächelnde Bruder des Todes
> Ausgehend von Arbeiten seiner Hausheiligen erkundet das Bremer
> Paula-Modersohn-Becker-Museum Hypnos' dunkle Lande – den Schlaf.
Bild: Der Künstler als hölzerner Liebhaber? Michael Triegel, „Schlafende Ar…
BREMEN taz | Manche der Bilder sind wie ein kalter Griff ans Herz. Zum
Beispiel diese Farbfotografie von Ricarda Roggan aus dem Jahr 012: Mit
kleiner Blende, minuten-, vielleicht sogar stundenlang belichtet, hat
Roggan ein Bett im Freien aufgenommen. Es steht irgendwo zwischen
Containern auf wellig-brüchigem Asphalt, der feucht aussieht. Erhellt wird
es in der Nacht vom fahlbläulichen Schein von Peitschenlampen, die den
Versuch scheitern lassen, sich in der postindustriell-urbanen Umwelt in
einer Nische zu verbergen. Die Laken sind überraschend weiß im Halbdunkel.
Man wird sie für klamm halten. Sie verraten: Hier ruht ein Mensch. Der
Blick ist ein gestalteter Zufall, ein Fundstück, denn Roggan manipuliert
ihre Bilder nicht, sie setzt nichts in Szene. Sie nutzt nur die
Inszenierung der Stadt, in der kein Schutz der Dunkelheit mehr existiert.
Wahrscheinlich ist es ja ein Zufall, sonst hätte der Katalog das Jubiläum
erwähnt oder wenigstens die Museums-PR es aufgegriffen. Aber fraglos passt
die Ausstellung „Schlaf – eine produktive Zeitverschwendung“ bestens zum
350. Jahrestag der wohl schärfsten Zäsur in der Geschichte der Nacht:
Anfang Herbst 1667 lässt der Pariser Polizeipräfekt Gabriel Nicolas de la
Reynie 2.736 Kerzen in Glasgehäusen, wie sie seinerzeit auf den
Theaterbühnen üblich sind, in der ganzen Stadt aufstellen. Das ist im
Grunde nur eine simple innenpolitische Maßnahme wegen der Überfälle und
eher ein Notbehelf; man kann schließlich nicht den Staatsschatz plündern,
um Nachtwächter zu bezahlen, wenn gleichzeitig Versailles zu finanzieren
ist.
Aber damit hat de la Reynie die Straßenbeleuchtung als kulturelle Praxis
etabliert: Sie wird rasant ausgebaut und macht künftig die Stadt zur Bühne
und die Nacht zum Tag. Die Salons sind begeistert, die Astronomen ahnen
noch nicht, wie schlimm das alles werden wird, ganz Europa übernimmt das
Modell – und die Aufklärung beginnt.
Dadurch ändert sich, kaum bemerkt auch der Schlaf. Bis dahin hatte er nur
dazu gedient, „die Nacht sowohl kürzer als auch sicherer scheinen zu
lassen“, wie Roger E. Ekirch schreibt, der bedeutende Historiker der Nacht.
Jetzt aber kann er ganz neu bewertet und gestaltet und betrachtet werden.
Er bleibt, was er war, ein Bruder des Todes und das Medium der Träume und
Visionen anderer Welten. Aber er kann jetzt auch als Zeitvertreib, als
Sünde, als überflüssiger Luxus angegangen werden – und als Selbstzweck:
„Warum kann man sich den Schlaf nicht abgewöhnen?“, wird schließlich der
Göttinger Johann Christoph Lichtenberg in seinen Sudelbüchern fragen. Und
im selben Tintenzug ein gegenläufiges Projekt ins Spiel bringen: „Unsere
ganze Geschichte“, schreibt er, „ist bloß Geschichte des wachenden
Menschen. An die Geschichte des schlafenden hat noch niemand gedacht.“
Die bildende Kunst allerdings hat früh schon damit angefangen, Schlaf
darzustellen. Und sei es als sanft lächelnden, hellhaarigen und bartlosen
Sohn der Nacht, der mit seinem grimmigen schwarzgelockten Zwilling
angeschlagene Helden zu einem Platz jenseits der Schlacht schleppt. Mit dem
Schlaf geraten stets auch Schlafende in den Blick, die, bei näherem
Hinsehen, möglicherweise Tote sein könnten: Wie will man das entscheiden?
Der zitierte Lichtenberg könnte falsche Erwartungen wecken: Eine Geschichte
des Schlafenden schreibt die Bremer Ausstellung nicht, nicht einmal eine
Kunstgeschichte. In schöner assoziativer Freiheit stellt sie Werke sehr
unterschiedlicher Epochen schroff nebeneinander, und das steigert die
reizvolle Vieldeutigkeit der Arbeiten: In diesen Bildern, Grafiken,
Installationen und Plastiken könnten sich, selbst wenn sie Geborgenheit zu
vermitteln scheinen, aus einer anderen Perspektive Spuren von Trauer
abzeichnen. Sie könnten auch von Gewalt handeln – im roh behaunen
Marmorrand von Max Klingers Plastik „Schlafende“ lauert, den Blick auf die
Brüste der tiefenentspannten nackten Schönen gerichtet, ein Faun.
Das erfährt man überraschend deutlich schon im ersten Raum, vor den
Gemälden Paula Modersohn-Beckers, der Schutzheiligen des Museums. Und die
sind auch Keimzelle der Ausstellung. Nur zum Beispiel ihren schlafenden
Gemahl: Den hat sie um 1907 in einer merkwürdigen Diagonale auf die
Leinwand geklemmt, den Kopf zwischen weiße Plümeaus. Die Augen sind zu, die
Brille hat er noch auf. Total entspannt liegt er da, wie erschlagen.
In der Entstehungszeit des Gemäldes hat Paula ihren Ehemann Otto Modersohn,
das ist bekannt, mitunter als ausgesprochen lästig empfunden. Kurz zuvor
hat sie ihm das sogar recht deutlich geschrieben: „Ich mag Dich nicht zum
Manne haben“, heißt es in einem Brief von September 1906. Sie empfiehlt
ihm, „mit der Vergangenheit abzuschließen“, alles andere würde „nur die
Qual verlängern“.
Berühmter sind ihre Gemälde stets schlafender Kinder, das „Kind in der
Wiege“ von 1904 etwa, das durch seine grandiose Farbgebung komplett mit dem
Bettbezug zu verschmelzen scheint. Möglich, dass diese Obertönigkeit der
Gemälde nur dadurch entsteht, dass rechts in der Ecke Ron Muecks
lebensgroße Plastik eines „gepuckten Babys“ steht: Pucken – in
Süddeutschland lautet das Verb „fatschen“ und hat denselben Ursprung wie
das Wort „Faschismus“ – bedeutet, einen Säugling so stramm in ein Tuch
einzuwickeln, dass sich seine Beine und Arme nicht rühren können; eine
schädliche Technik, die früher weit verbreitet war, und sehr beliebt: Sie
verlängert den Schlaf. Mueck hat die Grausamkeit der Methode noch
optimiert, indem er die Kinderpuppe einfach in eine Ecke legen lässt, fast
ebenerdig, wie weggeworfen: eine Ikone der Lieblosigkeit.
Systematisch hat sich das Museum des Schlafmotivs angenommen, mitunter
übersystematisierend. Wenig durchdacht wirkt zum Beispiel der Versuch, den
„privaten“ vom „intimen“ und vom „Künstlerschlaf“ zu trennen.
Schlimmstenfalls verengt so etwas den Blick, denn oft genug passen die
Werke in mehrere Schubladen zugleich und beziehen gerade aus dieser
Vielschichtigkeit ihre Stärke.
So wie Michael Triegels fotorealistisches Ölgemälde „Schlafende Ariadne“:
Es zeigt, sie wirkt fast lebensgroß, in Aufsicht eine bleiche Frau,
geschlossene, Augen, hingestreckt auf orangener Draperie. Neben ihr liegt,
ihr zugewandt, das rechte Bein besitzergreifend angewinkelt über ihre Knie,
anstatt wie im Mythos Dionysos, der Gott der Sangeskunst, des Rauschs,
größer als sie – eine hölzerne Gliederpuppe, die als das Accessoire des
Malers von heute gelten kann. Ist das intim oder privat? Oder ein
Selbstbildnis der Künstlers als hölzerner Liebhaber?
Sehr schlüssig hingegen ist es, den häuslichen Schlaf anders zu betrachten
als den in der Öffentlichkeit: Es ist dort, wo Moralisierung stattfindet,
wo Schlaf sich mal als skandalöses Versagen der unterkühlten
postindustriellen Gesellschaft offenbart, mal als Zeitverschwendung und
Versagen gilt, verurteilt und verspottet wird. Wunderschöne
Daumier-Karikaturen fallen hier auf, und, von bizarrer Komik, ein Video mit
Animationen von Jochen Kuhn, „Immer müder“, ein scheinbar autobiografisches
Stück zeigt einen Mann, einen Politiker, der ständig einschläft, bei jeder
Gelegenheit – einfach auf der Straße, bei einem Sektempfang und als er im
Parlament eine Rede halten soll: Das ist sehr lustig, selbst wenn das Opfer
eines so unwiderstehlichen Drangs auch Mitleid verdienen könnte. Oder Neid.
1 Nov 2017
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Schlaf
Paula Modersohn-Becker
Schlaf
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