# taz.de -- Ausstellung „Es ist also ein Mädchen“: Diese flamboyanten Gesc… | |
> Das Schwule Museum* widmet sich den beiden ältesten Kindern Thomas Manns: | |
> Erika und Klaus Mann sind bis heute Ikonen queerer Welten. | |
Bild: Rinaldo Hopf: Literary Mann Twins | |
Das Extraordinäre an der Familie Thomas und Katia Mann war nicht in erster | |
Linie, dass sie als Eltern mit etlichen Kindern ein Rollenmodell für eine | |
künstlerische Familie abgaben. Der Vater ein Schriftsteller sondergleichen, | |
die Mutter seine Managerin und des Familienbetriebs überhaupt. Ein | |
bohemistisches Sonderrudel wie kein anderes im Deutschland des 20. | |
Jahrhunderts. | |
Was sie von anderen abhob, war, dass Homosexualität kein Skandalthema war. | |
Nur mussten die jeweiligen Liebhaber*innen bella figura machen, | |
ungebildeter Pöbel hatten die betroffenen Kinder vom Familientisch | |
fernzuhalten. | |
Und da waren zunächst die Erstgeborenen, Erika, Jahrgang 1905, und Klaus, | |
etwas mehr als ein Jahr später geboren. Sosehr das Homosexuelle später | |
nicht den feinsten Rang einer familiären Schande hatte, so doch in den | |
Augen Thomas Manns die Tatsache, dass sein, wie man damals frank formuliert | |
hätte, Stammhalter vom falschen Geschlecht war. | |
Kurz nach ihrer Geburt schrieb er: „Es ist also ein Mädchen; eine | |
Enttäuschung für mich, wie ich unter uns zugeben will, denn ich hatte mir | |
sehr einen Sohn gewünscht und höre nicht auf, es zu thun.“ Das hatte auch | |
sehr persönliche Gründe: „Ich empfinde einen Sohn als poesievoller, mehr | |
als Fortsetzung und Wiederbeginn meiner selbst unter neuen Bedingungen.“ | |
Und das hieß, einen Sohn zu haben, der jenes schwule Leben führen würde, | |
wie es Thomas Mann niemals möglich gewesen wäre: Wie hätte er denn sonst, | |
ohne nobel-bürgerliche Familie, der größte deutschsprachige Schriftsteller | |
seit Goethe werden können? | |
Das Schwule Museum* hat zum 110. Geburtstag Klaus Manns eine Ausstellung | |
über die beiden ersten der sechs Thomas-und-Katia-Mann-Kinder vorbereitet. | |
Ausstellungen über Thomas Mann und sein drittes Kind, Golo, waren hier | |
bereits zu sehen – besonders interessant war die über den späteren | |
Historiker und Publizisten Golo, ebenfalls schwul, aber dies wesentlich | |
diskreter lebend. | |
Für Erika und Klaus Mann galt dies nicht. Beide waren die Stars der | |
Familie, Erika nicht weniger flamboyant wie ihr Bruder Klaus. Beide hingen | |
aneinander wie Allerengste, kein Abenteuer als Teil der Münchner Jeunesse | |
d’orée war ihnen zu aberwitzig. | |
Eine Fülle von Fotografien ist über zwei sehr große Räume zu sehen. Erika | |
Mann, die Geliebte von Therese Giese und Pamela Wedekind, verheiratet auch | |
mit Gustaf Gründgens, dem Theaterkaiser der Nazis, dem Angepassten, | |
Opportunisten, Verräter an den Ideen des Nichtvölkischen.Klaus Mann | |
hingegen der Sohn des großen Schriftstellers, der so gern auch berühmt | |
geworden wäre, dies aber mit offen schwulem Oeuvre, und nie die Popularität | |
seines Vaters erreichte. | |
Die familiäre Dichte der Manns beschrieb exzellent der Autor Tilmann Lahme: | |
Deren Geschichte belegt auf das Delikateste, dass Familie auch einen | |
Schutzraum darstellen kann, vor allem wird man sie nie los, einzig möglich | |
ist, sie als Fakt des eigenen Lebens zu akzeptieren – und mit ihr | |
auszukommen. | |
Erika und Klaus Mann taten dies auf ihre Weise: Die erheblichen Einkünfte | |
des Vaters waren Alimentationstopf für die eigenen Ansprüche im Leben. | |
Wobei nicht vergessen werden darf, dass die beiden es waren, die ihren | |
Vater frühzeitig vor der nationalsozialistischen Verheerung der deutschen | |
Kultur warnten und ihn nach 1933 überzeugten, ins Exil nach Kalifornien zu | |
gehen, wo dieser zur – viele sagen mit Recht: wichtigsten – Stimme der | |
Exilierten gegen das nationalsozialistische Regime wurde. | |
Die Ausstellung allerdings unterbreitet vor allem das Leben von Erika und | |
Klaus: Weltreisende, Werbende für eine bessere Welt. Sie waren Rastlose, | |
beide drogenabhängig, wie es in ihren Kreisen üblich war. Immer wieder | |
Drogen. Kein einschläfernder Stoff, etwas zum Aufdrehen, Durchhalten, | |
Wachsein. Alles war dienlich, um den elterlichen Ansprüchen auf Weltgeltung | |
zu genügen – und sei es, als deren würdige Kinder. | |
Klaus Mann nahm sich am 21. Mai 1949 selbst das Leben, er liegt in Cannes | |
begraben. Sein Grab ist eine Stätte schwuler Erinnerungsfähigkeit, Spur | |
eines Idols, das sich selbst (und andere) nicht schonte. Erika starb jung | |
mit 63 Jahren in Zürich, in den letzten Jahren Nachlassverwalterin ihres | |
Vaters, die Chronistin ihrer Familie. Sie war am Ende das, was ein Sohn | |
auch gewesen wäre: eine Hüterin der Dynastie. | |
Beide waren und können noch heute Idole sein von Menschen, die schwul oder | |
lesbisch sind und darum ringen, sich von der heteronormativen Welt nichts | |
nehmen zu lassen, was sie selbst als Liebende und Begehrende ausmacht. | |
Und weil das alles so komplex ist, weil die Welt der bürgerlichen Boheme so | |
global war und nicht alle Besucher*innen alle auf Anhieb gleich historisch | |
korrekt einordnen können, wird der Kurator Wolfgang Theiß Führungen | |
anbieten. Sie lohnen, denn es gibt keinen Kundigeren auf diesem Feld. | |
Das Praliné der Ausstellung ist im Übrigen ziemlich lästerliche Skizze des | |
bekennend heterosexuellen Schriftstellers Kurt Tucholsky zu Erika und Klaus | |
Mann. Sie liest sich streckenweise abfällig, aber sie ist herrlich boshaft | |
verfasst: lesenswert. | |
Ein Jammer, schließlich, dass es keinen Katalog zu der Ausstellung gibt. Es | |
fehlt an Geld, um ihn zu finanzieren. Man muss hingehen, um zwei der | |
wichtigsten Protagonist*innen der queeren deutschen Geschichte | |
kennenzulernen. Das lohnt! | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
26 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
## TAGS | |
Thomas Mann | |
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