# taz.de -- Verführerisches Fachsimpeln | |
> Mit „bee-dances“ geht ein berlinerisch-balinesisches Choreografinnenduo | |
> der Frage nach, warum bestimmte Tanztechniken überall verbreitet sind und | |
> andere nicht. Digital vorgestellt von der Tanzfabrik | |
Bild: Das „bee dances“ Ensemble von Kareth Scheffer und ninus | |
Von Astrid Kaminski | |
Eine oft unhinterfragte Annahme lautet, Tanz sei eine Art universelle | |
Sprache, ein Instrument der Völkerverständigung gar. Im Sinn der | |
dahinterstehenden naiven Sichtweise, dass Tanz irgendetwas mit genüsslich | |
zu konsumierender Bewegung zu tun habe, ließe sich seine Universalität | |
sogar noch auf das Tierreich erweitern. Denn Tanzen ist keine rein | |
menschliche Kulturleistung. In der Tierwelt existieren zahlreiche | |
Tanzsprachen. Gemeinsam ist jedoch den tierischen wie den menschlichen, | |
dass sie keinesfalls universell, sondern meist in ihrer kulturellen | |
Verankerung für Außenstehende nicht verständlich sind. | |
So brauchte der Zoologe Karl von Frisch mehrere Jahrzehnte, um den | |
sogenannten Schwänzeltanz der Bienen entziffern zu können. Er fand heraus, | |
dass eine „Vortanzbiene“ durch die Ausrichtung der geraden Linie, auf der | |
geschwänzelt wird, die Richtung einer Pollenquelle im Verhältnis zum | |
Sonnenstand angibt. Vor allem für seine Leistungen in Bezug auf die | |
Tanzsprachen der Bienen erhielt er 1973 den Nobelpreis. Während unser | |
gesamtes Ökosystem vom Schwänzeln der Bienen abhängt, bereitet es | |
Außenstehenden jedoch nicht unbedingt ein Hurra-Erlebnis. Ohne weiteres | |
Verständnis hätte ein Intendant im Theater der Natur diesen Tanz aus | |
ästhetischen Gründen vielleicht schon aus dem Spielplan gestrichen. | |
Die in Berlin und auf Bali arbeitenden Choreografinnen Kareth Schaffer und | |
ninus verbinden nun zwei Tanz-Fachsprachen – die der Bienen und des | |
traditionellen balinesischen Tanzes – zu einer neuen Produktion, den „bee | |
dances“. Sie wurden am Wochenende im Rahmen der Serie Open Spaces der | |
Tanzfabrik Berlin online zur Premiere gebracht. | |
Grundlage für „bee dances“ bildet das balinesische Liebesduett „Oleg | |
Tamulilingan“. Darin umwerben sich zwei Insekten – wobei es in der | |
Überlieferung und Wahrnehmung verschiedene Auffassungen darüber gibt, ob es | |
sich dabei um Bienen, Hummeln, Friedhofsschmetterlinge oder „schaukelnde | |
Käfer“ handelt. [1][Kareth Schaffer] – in Berlin vor allem durch ihren | |
hintergründigen Humor und inzwischen auch für ihren kulturpolitischen | |
Aktivismus bekannt – hat diesen Tanz bei einer Urlaubsreise gesehen und war | |
überwältigt. Ihre erste Frage galt aber, so erzählt sie im mit | |
Expert*innen besetzten und live übersetzten Web-Feedbackgespräch, nicht | |
der Insektenbestimmung als vielmehr der Technik: Wie kann es sein, dass | |
bestimmte Tanztechniken überall verbreitet sind und andere nicht? Sie | |
beschloss daran durch ihre eigene Körperpraxis etwas zu ändern, machte sich | |
ans Studium und knüpfte Kontakte zur balinesischen Szene. Es stellte sich | |
heraus, dass das „Oleg“-Duett, das keine sakralen oder rituellen Bezüge | |
aufweist, ein perfektes Stück zur künstlerischen Auseinandersetzung ist. | |
Das Duett wurde 1952 von I Mario bewusst geschaffen, um balinesischen Tanz | |
im westlichen Kontext zu präsentieren. Dennoch benutzt es das Körperwissen | |
des traditionellen Tanzes, der nicht über die Streckung und Raumeroberung | |
sondern durch Winkel, Impulse, Öffnen und Schließen von Körperpartien sowie | |
auffällig viel mit Augenspielen arbeitet. | |
„Wir haben durch unsere Körper und nicht durch Worte diskutiert“, startet | |
ninus im Feedbackgespräch und meint damit vor allem den Umgang des | |
internationalen Ensembles mit Fragen der Aneignung von Kulturgut. Im Sinn | |
einer Sensibilisierung für Kulturpraktiken – seien es menschliche oder | |
tierische – wurde in den letzten Jahren, im Wissen darum, dass die | |
Aneignung von Ästhetiken ohne entsprechendes Wissen und Mandat | |
zerstörerisch sein kann, stark nach einer moralischen Haltung gesucht. Was, | |
wie derzeit fast alles, teilweise ins Gegenteil des Intendierten umschlug: | |
statt zu Sensibilisierung zu einer identitätspolitisch definierten | |
Einengung, nur noch die Codices der jeweils „eigenen“ Kultur bedienen zu | |
dürfen. „bee dances“ bewegt sich heraus aus dieser Starre und stürzt sich | |
in die wechselseitige Verführbarkeit. Nicht blind, nicht ohne | |
kolonialgeschichtliches Wissen, sondern staunend, spielerisch und | |
forschend. | |
Die Videopräsentation ist bewusst kein Versuch einer Verfilmung, sondern | |
eine abgefilmte Bühnenversion mit aus Bali eingespieltem Gamelanorchester. | |
Das macht die Hoffnung deutlich, dass es in Zukunft noch zu Live-Premieren | |
kommen wird, dass aber die Fördergelder des Vorjahres abgerechnet werden | |
müssen und ohne die Arbeit des internationalen Ensembles unter | |
Pandemiebedingungen verloren wären. Tatsächlich ist die | |
Online-Präsentation in diesem Sinn mehr ein Verweis als eine Erfüllung. Ein | |
Verweis, der vor allem Lust darauf macht, mehr von Fachsprachen und den | |
möglichen Transfers zwischen ihnen (körperlich) zu verstehen. | |
2 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Astrid Kaminski | |
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