# taz.de -- Ein Fall für den Rettungsengel | |
> ChoreograFie Beim Format Open Spaces in den Uferstudios überzeugt die | |
> Performerin Kareth Schaffer, die erkundet, wie Rhythmus und Struktur von | |
> Sounds ganz eigene szenische Energien freisetzen | |
Bild: Graues Leben, getanzt: Philip Gehmachers „my shapes, your words, their … | |
von Astrid Kaminski | |
Es wird geschlichen, wie um den Raum nicht aufzuwecken, vor allem aber, um | |
keine ungewollten Klangspuren zu hinterlassen. Denn der Raum ist | |
hyperhellhörig, überall Mikros. Wir befinden uns in der Versuchsanordnung | |
eines Studios, in dem das Sounddesign von Filmen hergestellt wird. Auf dem | |
Boden Stege mit verschiedenen Oberflächenstrukturen, eine Fußkugel, ein | |
Windmacher, verschiedene Kabel, eine Matratze, Gläser, die in die Brüche | |
gehen werden, am Rand irgendwo lugt Stangensellerie hervor. Gesmasht wird | |
er später ein herrlich faseriges Knistern für das Flügelentfalten eines | |
Mikro-Insekts von sich geben. | |
Kareth Schaffer hatte mal wieder eine gute Idee, schon mindestens die | |
zweite in diesem Jahr, und in diesem Fall sogar die rettende. Im Sommer | |
entwarf und moderierte die junge Performerin das „Dirty Money Mudwrestling“ | |
und löste damit im Rahmen des Festivals „Dreck“ (das sich mit | |
philosophischen Ansätzen des New Materialism beschäftigte) eine | |
spielerisch-brachiale Spekulationshysterie aus. In ihrem neuen Stückentwurf | |
„Unerhört“, den sie im Rahmen von Open Spaces in den Uferstudios zeigt, | |
beschäftigt sie sich nun mit der Postproduktion von Filmen und entdeckt, | |
dass Rhythmus und Struktur von assoziierten Sounds ganz eigene szenische | |
Energien freisetzen. | |
## Skurrile Gruselszenen | |
Geräuschmacher zu sein erfordert ein Sichleitenlassen vom Potential des | |
Materials. Und hier ist sie, im weitesten Sinn, wieder auf den Spuren des | |
New Materialism, der einen Teil der Tanzszene derzeit umtreibt. Auf eine | |
Verallgemeinerung heruntergebrochen, geht es um die Frage: Was passiert, | |
wenn die hierarchischen Ordnungen zwischen Natur und Kultur aufgehoben | |
werden? | |
In diesem Fall betritt Schaffer einen ganz praktischen Seitenpfad | |
materialistischer Fantasie. „Hit, hit, wusch, wusch, fall, break, hit, hit, | |
wusch, tap, fall“, so klingt es etwa, wenn sie im Team mit Manon Parent und | |
Niels Bovri einen Kung-Fu-Action-Streifen in Bewegungsmuster zerlegt, um | |
sie später an einem präparierten Drumset in Beats umzusetzen und durch eine | |
Raum-Klang-Strecke mit „Atmo“ zu unterfüttern. | |
Ihr Studio ist hauptsächlich für Thriller ausgestattet, und wenn die | |
Energie der Vorlagen auf die Darsteller überspringt, entstehen skurrile | |
Gruselszenen. Bei Kareth Schaffer deutet sich, wie etwa bei Kate McIntosh | |
oder Dani Brown, die sphinxenhafte Begabung an, kippende Atmosphären zu | |
schaffen. Mal sehen, ihr nächstes Stück wird im Januar 2016 bei den | |
Tanztagen laufen, „Unerhört“ geht im Sommer drauf in Premiere. | |
Der Grund, warum hier schon so viel verraten wird, ist einfach: Schaffer | |
ist die Rettung für das Format Open Spaces, mit dem die Tanzfabrik | |
Werkeindrücke aus der Choreografieküche assoziierter Künstler*innen zeigt. | |
Dabei soll es Premieren genauso wie Work-in-Progress zu sehen geben. Doch | |
während es in der ersten Folge, die mit einem Symposium ausgestattet war, | |
noch schien, als solle vor allem ein Austauschformat geschaffen werden, in | |
dem man über aktuelle Trends ins Gespräch kommen kann, ist die dritte Folge | |
ein reines Präsentierformat. | |
Die Art der Präsentation ist dabei für Work-in-Progress und Premieren die | |
gleiche: Man zahlt Eintritt, Showing, fertig. Zum Abgleich: In der New | |
Yorker Judson Church gibt es ein Format, bei dem Arbeitsproben gratis | |
gezeigt werden. Im Anschluss ein kritisches Gespräch, Berichterstattung ist | |
nicht erlaubt. Das ist sinnvoll. Was das Konzept der Tanzfabrik will, ist | |
dagegen ein Rätsel. Und das Unerfreulichste daran ist, dass die | |
Work-in-Progress-Arbeiten, wozu auch ein Rohbau von Felix Ott über den | |
russischen Militärkampfsport Systema gehört, weit ergiebiger sind als die | |
fertigen Stücke. Ganz ohne kuratorische Idee geht es vielleicht doch nicht. | |
Dass sich Christina Ciupke mit Nik Haffner und Mart Kangro für ihr „New | |
Work“ überschriebenes Stück überhaupt auf die Bühne wagt, mehr noch, dass | |
sich Nik Haffner, der immerhin künstlerischer Leiter des | |
Hochschulübergreifenden Zentrums Tanz ist, dafür hergibt, gröbste | |
Banalitäten über „Zeit und Geld“ ohne jede Spur einer künstlerischen | |
Zündung von sich zu geben, das muss unter Tiefpunkt des Jahres verzeichnet | |
werden. Open Spaces wirkt dieses Mal wie ein Format zur Erfüllung von | |
Präsentationsauflagen für die Vergabe von Fördergeldern. Das sollte zu | |
denken geben. | |
9 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Astrid Kaminski | |
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